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#Exarchia: Sei dieser Tropfen! – Ein Bericht aus #Athen

Ein Teil des Enough – Kollektivs reiste am 10. Dezember gemeinsam mit dem Cars of Hope – Kollektiv nach Athen. Ein Bericht.

Publiziert von Enough 14. Geschrieben von Riot Turtle. Lektoriert von Sebastian Lotzer.

Ich war seit etwa 9 Monate nicht mehr in Athen und seitdem hat sich viel verändert. Im Februar und März dieses Jahres waren wir auch mit dem Cars of Hope – Kollektiv in Athen, um die Besetzungen der Migrant*’innen Azadi und Babylon zu unterstützen. Wir diskutierten wir mit den Leuten in den beiden besetzten Projekten, was sie am Dringendsten benötigten und so wurden dann ein Kühlschrank, Waschmaschinen und Baumaterial, um die Duschen in Azadi und Babylon zu reparieren, angeschafft. Außerdem kauften wir Lebensmittel und Hygieneartikel für das tägliche Leben. Die Zusammenarbeit hat gut funktioniert, aber in den folgenden Monaten gab es etliche Räumungen in Athen und auch Azadi und Babylon wurden im Zuge dieser Repression am 11. April geräumt. Das war für alle dort nicht wirklich überraschend, da die griechische Regierung, die damals noch von Syriza gestellt wurde, immer wieder Bereitschaftspolizisten nach Exarchia schickte. Im Februar 2019 zogen die Bullen sogar während einer ihrer repressiven Operationen ihren Knarren und gaben Warnschüsse in die Luft ab.

Die Repression gegen Anarchist*innen, andere Aktivist*innen und Migrant*innen fand in den Syriza – Jahren versteckter statt. Innerhalb der Bewegung gab es viele interne Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen und Individuen über den Umgang mit dieser Repression und um die allgemeine politische Ausrichtung.

Im Juli dieses Jahres gewann die konservative und zum Teil auch rechtsextreme Nea Demokratia die Parlamentswahlen und seitdem ging alles sehr schnell. Die neue griechische Regierung kündigte an, Exarchia von den Anarchist*innen „säubern“ zu wollen, und illegale Migrant*innen zu inhaftieren. Außerdem wurde das Universitätsasyls, was im Grunde genommen bedeutete, dass die Bullen keine Hochschulen betreten durften, und das seit dem Ende der griechischen Militärdiktatur galt, abgeschafft.

Bei der jährlichen Demonstration zum Gedenken an den Aufstand an der Polytechnischen Universität 1973 gingen in Athen am 17. November 50.000 Menschen auf die Straße, in Exarchia kam es anschließend zu extremer Polizeigewalt, was sich auch am 6. Dezember, dem 11. Jahrestag des Polizistenmordes an Alexandros Grigoropoulos, wiederholte.

Wir kamen ein paar Tage danach an und bemerkten sofort eine „Ruhe vor dem Sturm“ – Stimmung, man konnte die Anspannung geradezu körperlich spüren. Seit August sind die Bullen dauerhaft in Exarchia stationiert. Wir verzichteten auf den Kontakt mit den zwei Kontrollpunkten der Bereitschaftspolizei auf der Tositsa Straße und umgingen diese. Die Bullen haben mehr oder weniger das von Migrant*innen besetzte Haus Notara 26 mit Kontrollpunkten ein paar Straßenzügen hinter der Notara Straße und den beiden Kontrollpunkten in der Tositsa Straße umzingelt.

Video von Repression der Polizei in Exarchia am 17. November 2019:

Videos von Polizeigewalt in Exarcheia am 6. Dezember 2019:

Ich war schon im Januar 2018 in der Notara 26, aber diesmal war die Stimmung von Anspannung gekennzeichnet. Der ständige Nervenkrieg kostet allen viel Kraft, aber die Stimmung war dennoch sehr entschlossen. Gemeinsam mit den Leuten von Notara 26 erstellten wir eine Liste von Dingen, die sie benötigten, im Wesentlichen Lebensmitteln, also kauften wir Reis, Nudeln, Zucker, schwarzen Tee und viele andere Lebensmittel und brachten sie in das besetzte Haus.

Ich war schon viele Male in Exarchia, aber für die beiden anderen Gefährt*innen, mit denen ich unterwegs war, war es das erste Mal. Da die Situation im Viertel immer noch ruhig war, beschlossen wir, in den nächsten Tagen durch die Nachbarschaft zu schlendern, um die Gegend besser kennen zu lernen, falls die Dinge eskalieren sollten. Es war, als ahnten wir schon, was uns ein griechischer Genosse einige Tage später erzählen sollte: Dass viele Genoss*innen aus Nordeuropa immer wieder festgenommen werden würden. Er erzählte uns, dass seiner Meinung nach einer der Gründe dafür sei, dass einige von ihnen die Gegend nicht oder nur wenig kennen würden, was sie zu einem leichten Ziel für die Polizei machen würde.

An den meisten Abenden, die wir in Athen verbrachten, gingen wir ins K*VOX, dem sozialen Zentrum am Exarchia Platz, ein großartiger Ort, in dem viele wichtige Aktivitäten stattfinden, so gibt es z.B. ein freies und selbstorganisiertes Gesundheitszentrum im K*VOX. Es gibt dort auch eine Bar, sowie Angebote für Kinder und es finden regelmäßig Info-Veranstaltungen statt: Nicht zu vergessen die Bibliothek des K*VOX. Zweimal schon wurde das K*VOX in diesem Jahr von den Bullen angegriffen, aber die Leute schafften es, das K*VOX vor den Angriffen der Polizei zu verteidigen. Die Bullen hatten daraufhin nichts Besseres zu tun, als Tränengas in das Haus zu schießen, in dem sich zu diesem Zeitpunkt viele Menschen aufhielten. In der Woche, in der wir da waren, gab es jede Menge Aktivitäten, aber wir sahen keine Bereitschaftsbullen dort, aber natürlich gibt es immer wieder Zivilbeamte in der Gegend.

Das Migrant*innen – Kollektiv der Notara 26 organisierte in der Woche unseres Aufenthalts eine Nachbarschaftsdemo. Wir zogen mit ca. 150 Menschen aller Altersgruppen durch Exarchia. In der Tositsa gab es einen kurzen Moment der Spannung, als sich die Leute dem Kontrollpunkt der Bereitschaftspolizei näherten, aber die Cops mischten sich nicht ein und alles blieb ‚friedlich‘.

In einem Statement auf der Facebook-Seite von Notara 26 schrieb Maria: „Am Freitag, den 13. Dezember, protestierten die Kinder aus der besetzten Notara 26 in ihrer Nachbarschaft gegen den staatlichen Autoritärismus, der die Menschen quält, Exarchia in eine militarisierte Zone verwandelt und damit droht, alle besetzten Häuser zu räumen. Es war eine Aktion, die die Geflüchtete, die in Notara leben, die ganze Woche über organisiert haben. Sie entwarfen die Parolen, machten ihre eigenen Transparente und Materialien, bereiteten ihre Kinder mit der gleichen Sorgfalt vor, wie sie es jeden Morgen für die Schule tun, und gingen auf die Straße. Auf einem der Transparente stand: ‚Es ist nicht schwer, mit uns zu kämpfen. Es ist unmöglich'“

Und wie Recht sie haben. Wie viele „Horrormeldungen“ vor den Räumungen auch immer in den Medien kursieren mögen, es ist unmöglich, die Solidarität zu brechen, es ist unmöglich, den Kampf um Leben und Würde zu unterdrücken.“

Notara 26 Kiez-Demo am 13. Dezember.

Eine lange Diskussion mit einem anarchistischen Gefährten war sehr inspirierend. Wir sprachen über die Situation in Athen und darüber hinaus. Die meisten der inneren Auseinandersetzungen haben aufgehört, seit der griechische Staat seinen Krieg gegen die Hausbesetzungen und Aktivist*innen im Allgemeinen eröffnet hat. Es gibt wieder mehr Menschen, die sich an Vollversammlungen beteiligen, um die aktuelle Situation zu diskutieren und den Widerstand gegen die Angriffe des griechischen Staates zu organisieren. Die Mobilisierungen nehmen wieder zu, an der Demo zum Gedenken an Alexandros Grigoropoulos beteiligten sich etwa 10.000 Menschen, mehr als in den vergangenen Jahren. Die Polizeigewalt, nicht nur gegen Aktivist*innen, sondern oft auch wahllos gegen Nachbar*innen, die nicht einmal aktiver Teil der Aktionen sind, löst immer mehr Wut gegen die Polizei von allen möglichen Leuten aus. Die Stimmung ist entschlossen.

Die griechische Regierung kündigte an, dass sie mehr als 20 Hausbesetzungen vor Beginn des neuen Jahres räumen will. Es scheint, als wolle die Regierung von Nea Demokratia die Dinge mit allen Mitteln eskalieren lassen. Aber der Widerstand wächst. Heute wurde das geräumte Squat Kouvelou in Marousi von 150 Personen wieder besetzt.

„10, 100, 1.000 besetzte Häuser;
Gefährten*innen in Athen, Griechenland, besetzten das geräumte Kouvelou-Haus in Marousi wieder. Demonstration in der Gegend, umgeben von Bullen mit extremen Einsatz von Tränengas“

Fortsetzung folgt…

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