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Chroniken des Ausnahmezustandes Nr. 9 – Wandzeitung aus #Trentino

Genoss*innen aus Trentino (italienisches Territorium) veröffentlichten ihre neunte Wandzeitung über den aktuellen Ausnahmezustand, welche nun in mehreren Städten geklebt wird.

Ursprünglich veröffentlicht von il Rovescio. Übersetzt von Enough 14.

Ihr könnt Nr. 1 hier und Nr. 2 hier, Nr. 3 hier , Nr. 4 hier , Nr. 5 hier , Nr. 6 hier, Nr. 7 hier und Nr. 8 hier lesen.

18. Mai 2020.

Die Stimme des Herren

Vor einigen Wochen hat der Präsident der Confindustria Trento, Fausto Manzana, bei der Vorstellung des „Nachhaltigkeitsberichts“ die Notwendigkeit bekräftigt, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und gleichzeitig die Umwelt zu schützen: „Aber diese Priorität – fügte er hinzu – darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl auf nationaler Ebene, um unser Land besser mit dem restlichen Europa zu verbinden, als auch in unserer Provinz große Projekte durchgeführt werden müssen“. Anschließend nahm er ausdrücklich Bezug auf Valdastico (mit seinem nördlichen Auslauf), die dritte Fahrspur der Brennerautobahn, die Umgehungsstraßen von Trento und Rovereto sowie die Arbeiten im Zusammenhang mit dem Brennertunnel. Dass der Führer der Industriellen, indem er behauptet, Großprojekte mit katastrophalen Auswirkungen auf das Territorium (und auf den Klimawandel) zu realisieren, von Nachhaltigkeit und Respekt für die Umwelt spricht, ist bezeichnend dafür, wie die Logik des Profits und die Unterwerfung der Sprache immer Hand in Hand gehen. Wahrnehmung der Begrenzung, Einbeziehung der Bevölkerung, Veränderung der Lebensweise, durch die Quarantäne ausgelöste Nachdenklichkeit und die anderen Geschichten, mit denen uns Meinungsführer in den vergangenen Wochen des Hausarrests in Zeitungen, Fernsehen oder Radio unterhalten haben? Hier werden sie von Manzana zusammengefasst: „Die Forschung wird Lösungen finden, der Markt wird Lösungen finden“.

Die Arbeit der Bediensteten

Und die Suche nach Antworten wird sie auch finden, ja tatsächlich sie wird sie finden. Allerdings wäre da noch ein winziges Detail: Stellen Sie niemals die Bedeutung von Fragen in Frage. Die Auswirkungen der Treibhausgase führen uns in den ökologischen Kollaps. Sollten wir den Wettlauf abbrechen? Nein, das tun wir nicht. Versuchen wir es mit „Solar Radiation Management“ (Srm), d.h. mit einer Aerosol-Injektion von Sulfaten in die Atmosphäre, um einen Teil der Sonnenstrahlen in den Weltraum abzulenken und so der globalen Erwärmung entgegenzuwirken. Führt die Überhitzung zur Versauerung der Ozeane, was wiederum die Zerstörung des Korallenriffs zur Folge hat? Am Politecnico di Milano wurde ein System zur künstlichen Alkalisierung des Wassers eingerichtet, um die Auswirkungen der industriellen CO2-Emissionen einzudämmen.

Monitor

Die Fernsehzeitschrift, welche wöchentlich zusammen mit der Tageszeitung „l’Adige“ verteilt wird, ist ein kleines Beispiel dafür, wie die herrschende Ideologie durch solch ein Medium reproduziert werden kann. Nachdem die Luft angezogen hat, hat „Monitor“ in den letzten Wochen einige Artikel über 5G, Fahrassistenz und selbstfahrende Autos veröffentlicht. In beiden Fällen ist in den Stichpunkten vermerkt, dass diese formidablen Innovationen „kritische Punkte“ enthalten und „viele Fragen“ aufwerfen. Dinge, von denen die Leser*innen in den Artikeln, welche eher unterwürfigen Lobeshymnen gleichkommen, keine Spur finden. Wenn sie diese lesen, werden sie entdecken, dass sie mit 5G in wenigen Minuten einen Film auf ihr Smartphone herunterladen können, aber nicht – auch nicht aus Versehen, nicht einmal mit einer Floskel „die böswilligste und voreingenommenste Behauptung…“. – dass sie überall beobachtet werden und dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit an Krebs erkranken werden. Das selbstfahrende Auto wird ihnen vermitteln, dass sie ihm erlauben werden, „zu lesen, zu essen, fernzusehen, zu telefonieren und – warum nicht – zu schlafen“. Und die vielen Fragen? Sie erfordern computerisierte Städte, in denen Sensoren verstreut sind, sie beeinflussen Routen, Haltepunkte, Einkäufe, Versicherungspolicen, erweitern die Erfassung unseres Lebens durch Giganten wie Google … Nein, hier sind sie „die vielen Fragen“: „Wir brauchen die Autos, um zu beweisen, dass sie 100% sicher sind, und in diesem Punkt ist noch ein langer Weg zu gehen.“

„Wir erlauben der kontaktlosen Welt nicht, sich zu etablieren“

Mit diesem Titel – der Untertitel ist ein Aufruf zum Boykott der Stop-COVID19 -App – erschien vor einigen Wochen in Frankreich ein von einigen Dutzend Personen, Verbänden und Kollektiven unterzeichneter Text. Es lohnt sich, einige der Aufforderungen zu erwähnen, mit denen dieser Aufruf endet:

„Derzeit scheint es, dass viele Menschen ihr Smartphone zu Hause lassen, wenn sie ihre Wohnungen verlassen. Wir rufen dazu auf, diese Art von Gesten zu verallgemeinern und private oder öffentliche Applikationen zur elektronischen Verfolgung zu boykottieren. Ganz allgemein rufen wir alle dazu auf, ernsthaft über die Möglichkeit nachzudenken, ihr Smartphone aufzugeben und den Einsatz von Spitzentechnologien massiv zu reduzieren. Lasst uns endlich in die Realität zurückkehren“.

„Wir laden die Öffentlichkeit dazu ein, sich über die wirtschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Folgen des geplanten Aufbaus des sogenannten „5G“-Netzes zu informieren und sich aktiv dagegen zu wehren. Im weiteren Sinne laden wir alle ein, sich über die bereits bestehenden Mobilfunkantennen zu informieren und sich gegen die Installation neuer Repeater-Antennen auszusprechen.“

„Ein weiterer wesentlicher Kampf um die Zukunft der Gesellschaft ist die Ablehnung der digitalen Schule. Die kritische Phase, die wir gerade erleben, wird genutzt, um den Fernunterricht über das Internet zu normalisieren, und nur eine starke Reaktion von Lehrer*innen und Eltern wird dies verhindern können. Trotz aller Kritik, die aus verschiedenen Blickwinkeln an der Institution Schule geübt werden kann, sollte die gegenwärtige Periode vielen Menschen zeigen, dass es sinnvoll ist, gemeinsam zu lernen und dass es für Kinder von nutzen ist, mit echten Lehrer*innen in Kontakt zu stehen“.

„… Einige von uns prangern seit Jahren die Computerisierung der Arbeit an; es ist klar, dass die Ausweitung der vorgeschriebenen Telearbeit ein Prozess ist, welcher mit neuen Formen des Kampfes, des Boykotts, der Verweigerung gestoppt werden muss“.

Gerade jetzt

„Gerade jetzt, wo das Internet und smartes Arbeiten so wichtig sind“, beschwerte sich der Bürgermeister von Rovereto darüber, dass anonyme Personen in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai fünf (oder sechs, wir wissen es nicht) Telekommunikations-Austauschboxen sabotiert hatten. Die kleinen Blechhäuschen wären aufgebrochen und die Drähte, die die Leitung zur Box und von der Box zu den Häusern führen, durchtrennt worden. Von dem “ Blackout “ wären zweitausend Benutzer*innen betroffen gewesen, wodurch „eine halbe Armee von Techniker*innen“ in die Stadt geschickt worden wäre, um den Netzdienst wiederherzustellen, was eine Woche Arbeit erfordert haben dürfte. „Lasst uns die Technologiekäfige loswerden“, lautet ein Satz, der von den anonymen Saboteuren hinterlassen wurde.

Vor achtzig Jahren hat einer…

Giaime Pintor, ein antifaschistischer Intellektueller, welcher im Alter von vierundzwanzig Jahren durch eine deutsche Mine zerfetzt wurde, schrieb in den 1940er Jahren: „Heute ist in keiner zivilisierten Nation die Kluft zwischen den lebenswichtigen Möglichkeiten und dem gegenwärtigen Zustand so groß: Es liegt an uns, den Ausnahmezustand auszurufen“. Jetzt, da der Griff – zwischen der industriellen Produktion von ökologischen und sanitären Katastrophen und den technologischen Lösungen, ihre Auswirkungen noch weiter verschlimmern – uns erdrückt, liegt es an uns, den Ausnahmezustand wirkungsvoll umzusetzen.


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