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#StuttgartRiots: „Die Behauptung, Plünderungen seien ‚unpolitisch‘, mag unseren Machthaber*innen gefallen, hat aber nichts mit der Realität zu tun“

Die rätselhafte ideologische Behauptung, dass Plünderung gewalttätig und unpolitisch sei, ist eine Behauptung, die von der herrschenden Klasse sorgfältig aufgestellt wurde, weil gerade die gewaltsame Aufrechterhaltung des Eigentums sowohl die Grundlage als auch das Ende ihrer Macht ist.

In Defense of Looting

Publiziert von Enough 14. Geschrieben von Riot Turtle.

Stuttgart explodierte am Samstag, und viele Linksliberale im „Happyland“ [1] schienen überrascht zu sein. Aber gut, die meisten von ihnen leben nicht nur im “ Happyland „, sie leben auch auf der „Insel der Seligen“, einer Parallelgesellschaft, die dafür bekannt ist, die Realität zu verdrängen. Eine Gesellschaft, die auf struktureller Gewalt basiert.

Polizeibehörden, Polizeigewerkschaften und politische Clowns aus verschiedenen politischen Parteien verurteilen die Auseinandersetzungen natürlich. Viele Linksliberale und Politiker*innen werden nicht müde zu wiederholen, dass sie hinter die Polizei stehen und brabbeln über etwas, das sie Rechtsstaat nennen. Natürlich tun sie das. Die Polizei ist der Garant für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung, der rassistischen Ordnung, die Menschen ausbeutet, deportiert und tötet. Eine Gesellschaft, die den Planeten plündert… Die Priorität ist und war immer, mit allen Mitteln so viel Profit wie möglich zu machen. Das ist eines der Grundprinzipien dieser Gesellschaft, und das hat sich nicht geändert, weil unsere Herrscher uns während der Ausnahmezustand etwas ezählt haben, was sie „Solidarität“ nannten.

Natürlich distanzierten sich Teile der Linken von den „Vandalen“ in Stuttgart. Jene Teile der Linken, die sich als Linke bezeichnen, in Wirklichkeit aber Liberale sind, die sich distanziert haben, müssen erleichtert gewesen sein, als sie hörten, dass Franz Lutz, der Präsident der Stuttgarter Polizei, sagte: „Die Krawallen hatten keinen politischen Hintergrund“. Was natürlich totaler Schwachsinn ist. Diese Verweigerung der Solidarität durch Teile der Linken macht es dem Staat leichter, zurückzuschlagen. Die Kriegsrhetorik der Bullen und einiger Politiker*innen dient vor allem zwei Zielen: Menschen, die an den Krawallen beteiligt waren, zu dämonisieren und den Weg für Repressionen zu ebnen. Beide Zwecke sind für die herrschende Klasse notwendig, um eine Erzählung festzulegen und die Macht zu erhalten. Sie animiert Menschen dazu, sich zu distanzieren und so die „Randalierer“ zu isolieren.

Festgenommene, die angeblich an den Stuttgarter Ausschreitungen beteiligt gewesen sein sollen, wurden am Montagmorgen beim Haftrichter*in vorgeführt. Sie mussten barfuss laufen und wurden dämonisiert. Bild von @xileffff.

Die Behauptung, Plünderungen seien „unpolitisch“, mag unseren Machthaber*innen gefallen, hat aber nichts mit der Realität zu tun. Plünderungen sind eine starke Waffe im Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse und eines der Dinge, die die herrschende Klasse wirklich nervös machen (im Gegensatz zu den oft ritualisierten Protesten von Teilen der Linken).

Plünderungen sind für die Reichen (und die meisten weißen Menschen) extrem gefährlich, denn sie offenbaren mit einer Unmittelbarkeit, die wegmoralisiert werden muss, dass die Idee des Privateigentums genau das ist: eine Idee, eine dünne und kontingente Struktur der Zustimmung, unterstützt durch die tödliche Kraft des Staates. Wenn sich „Randalierer*innen“ Territorium aneignen und plündern, zeigen sie genau auf, wie in einem Raum ohne Bullen die Eigentumsverhältnisse zerstört und Dinge umsonst bekommen werden können.

In Defense of Looting

Die Ausschreitungen in Stuttgart waren kein isolierter Vorfall, abgesehen davon, dass es das dritte Mal innerhalb weniger Wochen war, dass Menschen in Stuttgart mit Polizist*innen aufeinander prallten (jedes Mal nach Polizeikontrollen), sind diese Ausschreitungen Teil einer Reihe von Riots und Revolten in vielen verschiedenen Ländern. Der gegenwärtige Zyklus von Aufständen begann mit dem Gilets-Jaunes-Aufstand in Frankreich im Jahr 2018, der Revolte in Chile im Jahr 2019 und den anhaltenden Unruhen im Libanon, um nur einige davon zu nennen. Die Wirtschaftskrise und der Bullenmord an George Floyd in Minneapolis haben den gegenwärtigen Zyklus der Aufstände zusätzlich beschleunigt. Und das ist eigentlich nicht überraschend, da rassistische Polizeipraktiken in vielen Ländern weit verbreitet sind. Auch in diesem Land, der „Insel der Seligen“, sind rassistische Polizeipraktiken weit verbreitet. Denn viele Menschen leben zwar auf dem gleichen Territorium, werden aber von der „Insel der Seligen“ Gesellschaft ausgeschlossen.

Die Mischung aus rassistischen Bullenkontrollen (eine Polizeipraxis, die bereits seit Jahren praktiziert wird), rassistischer Polizeigewalt während der Black Lives Matter-Demonstrationen in Hamburg und Berlin vor zwei Wochen, Migranten, die letzte Woche in Bremen und im Emsland von Bullen getötet wurden, steigender Arbeitslosigkeit und der Tatsache, dass Menschen während des COVID-19 Ausnahmezustands wochenlang in ihren Wohnungen eingesperrt waren, verwandelte die „Insel der Seligen“ in ein Pulverfass.

In Göttingen wird eine lokale Quarantänezone mit Zäunen und Bereitschaftsbullen durchgesetzt. Die Bullen schubsten, schlugen und pfefferten Menschen, darunter auch Kinder, wenige Stunden vor Beginn der Auseinandersetzungen in Stuttgart. Nach den Polizeigewalt kam es auch in Göttingen zu Auseinandersetzungen mit Bullen. Mehr und mehr Menschen scheinen genug zu haben von autoritären staatlichen Maßnahmen, institutioneller Rassismus und seiner Ordnungskräften.

Bereitschaftscops am Zaun der Quarantänezone in Göttingen. Bild von Redical [M.]

Der gegenwärtige Zyklus der Revolten wurde nicht von den üblichen Verdächtigen begonnen, aber er ist hochpolitisch. Der Kampf gegen Rassismus im Allgemeinen, rassistische Polizeipraktiken, (Neo)Kolonialismus, aber auch gegen den Kapitalismus ist in eine neue Phase getreten. Für viele Menschen, die nicht sehen (wollen?), was außerhalb ihrer eigenen Blase geschieht, ist es vielleicht (noch?) nicht sichtbar. Aber es geschieht vor unseren Augen.

Genoss*innen von Vamos Hacia La Vida schrieben: „Es hat begonnen! Dies ist ein Klassenkrieg!“ Die Frage, die sich jede(r) stellen sollte, lautet: Auf welcher Seite steh ich?

Bedeutet dies, dass die Revolution morgen auf der „Insel der Seligen“ stattfinden wird? Nein, aber die Fassade beginnt zu bröckeln.Und das ist ein wichtiger Schritt.

[1] Happyland ist eine Welt, in der Rassismus das Vergehen der Anderen ist. https://www.migazin.de/2017/03/31/willkommen-in-happyland/



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10 Gedanken zu „#StuttgartRiots: „Die Behauptung, Plünderungen seien ‚unpolitisch‘, mag unseren Machthaber*innen gefallen, hat aber nichts mit der Realität zu tun“

  1. […] #StuttgartRiots: „Die Behauptung, Plünderungen seien ‚unpolitisch‘, mag unseren M… […]

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  4. […] In Stuttgart hat dieser Protest letztes Wochenende eine andere Form angenommen. Es ist das Bild einer Jugend, welche sich nicht weiter von der Polizei schikanieren lassen will, welche sich solidarisiert mit betroffenen von Polizeikontrollen, welche erkannt hat das die Polizei nicht Ihr Freund und Helfer ist. […]

  5. […] #StuttgartRiots: „Die Behauptung, Plünderungen seien ‚unpolitisch‘, mag unseren M… […]

  6. […] #StuttgartRiots: „Die Behauptung, Plünderungen seien ‚unpolitisch‘, mag unseren M… […]

  7. […] sofort mitbekommen und begriffen. Von dort aus war es nur noch ein kleiner Schritt zum Riot in Stuttgart. Neukölln war eine nette Geschichte, aber die wirklich wichtigen Dinge spielen sich schon lange […]

  8. […] ich lehne deren Positionen entschieden ab, ich spreche von Jugendlichen, wie die Jugendlichen, die Anfang des Jahres in Stuttgart explodierten. Es gab massive Auseinandersetzungen mit Bullen und Plünderungen, nachdem die Bullen versucht […]

  9. […] racial profiling diesen Sommer in den deutschen Städten und die darauf reagierenden Riots in Stuttgart und Frankfurt so schnell wieder vergessen, sodass man nun eine Beibehaltung bzw. gar eine […]

  10. […] wird sie scheitern. Sogenannte linke Aktivist:innen, die eine Vielfalt von Taktiken ablehnen und spontane Aufstände wie in Stuttgart nach einer Racial-Profiling-Operation durch Bullen im letzten Sommer ablehnen, sind Teil des […]

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