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Wie kam es zur Rebellion der Weißruss*innen gegen die Diktatur

Eine schnelle Übersetzung eines Artikels von weißrussischen Anarchist*innen über die Situation in Weißrussland (Belarus): Wie kam es zur Rebellion der Weißruss*innen gegen die Diktatur? Wir bitten euch, kleine Fehler in dieser Übersetzung zu verzeihen. Wir wollten diesen Artikel so schnell wie möglich auf Deutsch zugänglich machen.

Ursprünglich von Pramen veröffentlicht. Übersetzt von Enough 14.

Wenn man die Menschen in Weißrussland Anfang 2020 gefragt hätte, wie lange die Diktatur von Lukaschenko noch existiert, hätte man dich für einen Narren gehalten. In einer respektierten Diktatur werden solche Fragen nicht gestellt, denn du weißt, was passieren kann. Und im Allgemeinen ist es so, dass die Herrschaft des großen Führers zeitlos ist. Aber die Situation hat sich in den letzten 8 Monaten so radikal verändert, dass die Weißruss*innen auf die Straße gingen und zum ersten Mal in der neuen Geschichte von Weißrussland in mindestens 33 verschiedenen Städten des Landes gegen die Polizei gekämpft haben.

Heute sind die Weißruss*innen in einem neuen Land aufgewacht. Darin sprechen die Menschen offen über den Hass auf die Regierung und bereiten sich auf eine gewalttätige Konfrontation mit Polizei und Staat vor. Sie diskutieren online und leben wirksame Methoden des Kampfes. Mehrere Fabriken streikten am Tag nach den Wahlen.

Und obwohl die Wahlkommission wieder einmal über den Sieg des Diktators berichtet, verlor Lukaschenko objektiv gesehen die Wahl. Er verlor die Wahl nicht gegen einen bestimmten Kandidaten, sondern gegen die weißrussische Bevölkerung, die sagte, 26 Jahre seien genug.

Wie hat sich Weißrussland von einer stabilen Diktatur, in der die friedlichsten Menschen leben, in ein europäisches Protestzentrum verwandelt?

Wirtschaftliche und politische Krise

Wirtschaftlich gesehen ist Weißrussland kein unabhängiges Land. Viele Jahre lang konnte das weißrussische Wirtschaftswunder nur auf Kosten des billigen Öls von Putin und der direkten Geldüberweisungen aus dem Kreml überleben. Im Gegensatz zu der Tatsache, dass Lukaschenko und Putin keine Freunde sind, funktionierte dieser Plan relativ lange, während die russische Regierung in Ölgeld gebadet hat.

Angesichts der fallenden Preise des schwarzen Goldes stand die russische Regierung vor der Frage der Umverteilung der Ressourcen. Die Beamt*innenen begannen zu prüfen, wo das investierte Geld irgendein Ergebnis erbrachte. Weißrussland lieferte keine besonderen Ergebnisse. Im Gegensatz zu allen Investitionen dehnte Lukaschenko seine Macht aus und behinderte die Integration von Weißrussland in Russland – ein Prozess, der bereits in den 90er Jahren unter Jelzin eingeleitet worden war.

Die Instabilität von Lukaschenko in den letzten 10 Jahren hat gezeigt, dass sich die russischen Behörden kaum auf ihn verlassen können. Im Jahr 2015 wandte sich Lukaschenko dem Westen zu, wodurch das Feuer der Zwietracht zwischen Moskau und Minsk noch weiter angefacht wurde. Anfang 2020 befand sich Lukaschenko in einer sehr schwierigen Lage. Der Abschluss neuer Öl- und Gasverträge ist viel schwieriger geworden. Die weißrussischen Behörden wollten zumindest einige minimale Zugeständnisse, aber Russland war erst dann bereit, diese Zugeständnisse zu machen, wenn das Projekt des Unionsstaates mit der gemeinsamen Währung und anderen Punkten für die Aufnahme von Weißrussland in Russland aktiviert wurde.

Politische Schwierigkeiten mit Russland führen traditionell zu wirtschaftlichen Problemen im Land. In den letzten 5 Jahren hat Lukaschenko versucht, diese Abhängigkeit durch die Zusammenarbeit mit dem Westen zu neutralisieren, aber westliche Zuschüsse und Kredite können die weißrussische Wirtschaft nicht allein anziehen. Anfang 2020 begann der weißrussische Rubel gegenüber anderen Währungen stark zu fallen. In den letzten 20 Jahren haben es die Weißruss*innen geschafft, mehrere Wellen eines solchen Falls zu überstehen, die größte davon im Jahr 2011. Der Fall des weißrussischen Rubels bedeutet für viele Weissruss*innen auch einen Rückgang ihrer Realeinkommen. Darüber hinaus begannen Probleme mit der Zahlung von Gehältern in staatlichen Unternehmen zu entstehen.

Mit Traktoren gegen Coronavirus kämpfen

Lukaschenko erklärte, es sei auf wirtschaftliche Probleme zurückzuführen, dass sich Weißrussland keine Quarantänemaßnahmen gegen das Coronavirus leisten könne. Wenn der Diktator zu Beginn der Epidemie noch schrie, dass die Weißruss*innen es vermeiden könnten, sich bei der Arbeit auf dem Feld und beim Saunabesuch anzustecken, musste er einen Monat später die wahren Gründe für die fehlende Quarantäne zugeben.

Das Coronovirus erwies sich als eine der größten Herausforderungen für die weißrussische Diktatur, an der sie scheiterte. Statt des typischen Populismus und der Sorge um ihre Bevölkerung überließen die Behörden die Bevölkerung der Selbstversorgung.

Die medizinische Versorgung in Weißrussland ist nominell kostenlos, aber viele Leistungen müssen bezahlt werden, da aus dem Haushalt nicht genügend Geld für Medikamente und medizinische Geräte zur Verfügung steht. In vielen Fällen war es unmöglich, auf Coronaviren zu testen. Viele konnten es sich nicht leisten, zu Hause zu bleiben und zur Arbeit zu gehen. Es ist schwierig, das tatsächliche Ausmaß der Coronavirus-Epidemie in Weißrussland einzuschätzen. Der Staat ist die einzige Institution, die über echte Zahlen verfügt, und diese Zahlen werden geheim gehalten. Darüber hinaus wurden viele Fälle von Coronavirus als Lungenentzündung bezeichnet, darunter auch tödliche.

Um die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, haben sich kleine Unternehmen und eine große Zahl von Einzelpersonen in der Tat für eine dezentrale Unterstützung des medizinischen Personals eingesetzt. Einige Restaurants und Bars bereiteten aus den Spenden der Stadtbewohner*innen Essen für das medizinische Personal zu. Wie in anderen Ländern wurden auch hier durch Initiativen an der Basis Schutzmasken hergestellt. Taxifahrer*innen transportierten medizinisches Personal ohne Bezahlung.

Einige Monate später hatten viele Menschen das Gefühl, dass der Staat sie im Stich gelassen hatte. Aber auf der anderen Seite gab es ein Gefühl der Solidarität, die Gewissheit, dass Nachbar*innen, Freund*innen und sogar Fremde aus dem Internet einen nicht in Schwierigkeiten bringen würden. Dieses Gefühl hat den Weißruss*innen die Bedeutung der Öffentlichkeit im Gegensatz zum Staat zurückgegeben. Solidarität ist nicht nur ein Wort, sondern eine direkte Praxis geworden.

Und wenn in vielen Ländern, die unter dem Einfluss des Coronavirus standen, mit dem Rückgang der Zahl der Infizierten auch die Solidarität zu sinken begann, so wirkten die Strukturen der Solidarität in Weißrussland auch in anderen Bereichen weiter. So verlor beispielsweise im Juni die Hälfte von Minsk den Zugang zu sauberem Wasser. Und während die Beamt*innen darauf beharrten, dass es keine Probleme mit Wasser gebe, organisierten und versorgten die Bewohner*innen der Wasserbezirke die bedürftigsten Teile der Stadt mit Wasser.

So war eines der wichtigsten Ergebnisse des Coronavirus (die Epidemie hat im Land nicht aufgehört) das wachsende Bewusstsein für die kollektive Stärke und die Ergebnisse, die durch gemeinsame Aktionen erreicht werden können.

Wahlen während dem Virus

Es war ein Fehler, dass Lukaschenko sich entschied, die Wahlen mitten im Coronavirus anzukündigen: Anfang Mai kündigten sie an, dass die Wahlen im August stattfinden würden. Man wählte den Moment der größten Unzufriedenheit mit den Behörden. Dank dessen begannen die Wahlkampagnen seiner Gegner*innen buchstäblich von den ersten Tagen an eine enorme Unterstützung zu gewinnen. Einer der Präsidentschaftskandidat*innen, der Blogger Sergej Tichanowski, begann am Ort der Unterschriftensammlung Kundgebungen mit offenem Mikrofon abzuhalten. Dieses Format zog eine große Zahl von Menschen im ganzen Land an, die eine Plattform erhielten, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Wenige Wochen später wurden Tichanowskij selbst und viele andere wichtige Oppositionspolitiker*innen in weit hergeholten Strafverfahren festgenommen und angeklagt.

Anstatt den Protest und die Unzufriedenheit mit den Behörden auszulöschen, provozierte die Repression eine noch stärkere Organisation um einen anderen Kandidaten – den Bankier der Belgazprombank (Tochter von Gazprom) Viktor Babariko. Im Gegensatz zu anderen Kandidaten war Babariko nicht am politischen Kampf beteiligt, und für viele sah er aus wie ein „gemäßigter“ Kandidat, der faire Wahlen forderte und keine illegalen Demonstrationen im ganzen Land plante. Im Gegensatz dazu wuchs Babarikos Popularität auch bei den gemäßigteren Teilen der Bevölkerung.

Daraufhin beschlossen die Behörden, Babariko und seinen engsten Kreis wegen Korruptionsvorwürfen zu verhaften. Dieser Schritt löste eine weitere Welle der Unzufriedenheit aus, deren letzte Etappe die Ankündigung war, dass die beiden größten Kandidat*innen der Opposition im Rennen um die Präsidentschaft nicht registriert werden sollten. Diese Entscheidung führte zu großen Protesten im ganzen Land mit den ersten Zusammenstößen mit der Polizei in Minsk: Die Demonstrant*innen widersetzten sich der Inhaftierung und sahen, dass die OMON völlig unvorbereitet auf eine gewaltsame Konfrontation mit der Bevölkerung war.

Die Zusammenstöße mit der Bereitschaftspolizei im Juli dieses Jahres waren für viele in der Gesellschaft ein Wendepunkt. Die Diktatur, die 26 Jahre lang zum Teil auf ihrer Unzerstörbarkeit durch die Unterstützung der Sicherheitskräfte aufgebaut worden war, war plötzlich äußerst zerbrechlich. Videos der verwirrten OMON-Bereitschaftspolizei verbreiteten sich schnell über das Internet und zeigten, dass man nicht 3 Jahre lang in Camps in Russland oder der EU trainieren muss, um gegen die Polizei zu kämpfen.

Lukaschenko hat nur einem einzigen ernsthaften Gegner*in, der Frau von Sergej Tichanowskij, Swetlana Tichanowskaja, die Registrierung nicht verweigert. Tichanowskaja hatte ursprünglich geplant, für das Präsidentenamt zu kandidieren, um ihrem Ehemann und anderen Regimegegner*innen eine Stimme zu geben. Doch nachdem die Mehrheit der Politiker*innen verhaftet worden war, blieb sie die einzige Kandidatin, um die sich die Wähler*innen vereinigen konnten.

Tichanowskaja ist keine Politikerin und versucht auch nicht, eine zu werden. Die wichtigste Forderung ihres gesamten Wahlkampfes sind Neuwahlen. Sie sagt offen, dass sie keine Pläne hat und nicht an der Macht bleiben will. Nach dem Sieg über Lukaschenko plante sie, neue faire Wahlen anzukündigen, was das Land hätte verändern sollen.

Eine solch einfache Forderung hat viele politische Gruppen vereint. Aktivistinnen aus den Stäben der inhaftierten Politikerinnen engagierten sich in ihrem Wahlhauptquartier. Schon der Wahlkampf von Tichanowskaja stützte sich stark auf die Selbstorganisation der Bevölkerung in verschiedenen Teilen des Landes. Treffen mit der Kandidatin wurden an vielen Orten des Landes, die die Kandidatin selbst nicht besucht hatte, offiziell registriert. Stattdessen gab es eine Bühne für Reden und ein offenes Mikrofon. Auch hier wurde das Mikrofon nur selten von Berufspolitiker*innen in die Hand genommen, die Repressalien befürchteten, sondern eher von der arbeitenden Bevölkerung und kleinen Unternehmen. In einigen Städten sprachen auch Anarchist*innen auf der Bühne.

Die Popularität von Tichanowskaja stieg in nur wenigen Wochen in die Höhe. Im Juli gelang es ihr, eine der größten Kundgebungen in der Geschichte des Landes zu organisieren – 50.000 Menschen in Minsk. In anderen Städten versammelte sie mehrere hundert bis 8.000 Menschen. Lange Zeit unternahmen die Behörden keine Maßnahmen und erlaubten den Menschen, sich zu versammeln. Vielleicht spielte dabei der Sexismus von Lukaschenko eine Rolle, der Frauen nie als ernsthafte Gegner*innen der Autoritäten angesehen hat. An der Spitze des Teams von Tichanowskaja standen Frauen. Tichanowskaja kam auch mit zwei Koordinatorinnen ihrer Kampagne auf die Bühne.

Wenige Tage vor der Wahl kamen die Autoritäten plötzlich zur Vernunft. Statt die Versammlungen zu verbieten, entschied man sich, sich lächerlich zu machen – alle für Kundgebungen für offen erklärten Veranstaltungsorte begannen, Regierungsveranstaltungen oder Reparaturen durchzuführen. Das Versammlungsverbot hat die nächste Welle der Unzufriedenheit hervorgerufen, aber aktive Protestaktionen blieben aus, da nur noch wenige Tage bis zu den Wahlen blieben.

Gleichzeitig begann die weißrussische Polizei in der letzten Woche mit der aktiven Festnahme von Blogger*innen. Solche Taktiken sind nicht neu und werden von den Autoritäten seit vielen Jahren angewandt – vor jeglichen Protesten werden ständig Journalist*innen und Blogger*innen festgenommen, die über diese Proteste online berichten können.

„Anarchists*innen“ Terroristische Organisation

Bevor wir direkt zum Wahltag übergehen, möchte ich eine kurze Einführung in die anarchistische Bewegung in Weißrussland geben.

Anarchist*innen sind nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder im Land aufgetaucht. In den frühen neunziger Jahren trugen einige Gruppen wesentlich zur Bildung der Arbeiter*innen- und Umweltbewegung bei. Anarchist*innen spielten eine der Schlüsselrollen bei der Verlängerung des Moratoriums für den Bau des weißrussischen Atomkraftwerks im Jahr 1999 (2009 verloren Anarchist*innen und Umweltschützer den Kampf).

Während der gesamten Zeit der Diktatur waren Anarchist*innen an großen politischen Ereignissen beteiligt, seien es Neuwahlen, die Bewegung gegen den Bau des Atomkraftwerks oder Proteste gegen die Gesetze über Parasiten. Und in den meisten Fällen wurde die anarchistische Agenda von der Bevölkerung sehr positiv wahrgenommen. Vielleicht haben sie sie nicht vollständig verstanden, aber irgendwie akzeptiert.

Seit 2013-2014 sind Anarchist*innen nahezu die einzige politische Kraft geworden, die sich noch mit der Agitation auf der Straße beschäftigt. Die meisten Oppositionsparteien haben den aktiven Kampf gegen die Diktatur nach Maidan 2014 aus Angst vor einer russischen Besetzung eingestellt. Heute stehen einige Oppositionspolitiker*innen immer noch auf der Position „besser Lukaschenko als Putin“. Ein Teil der Opposition ist unter der Repression untergegangen. Das war viel einfacher möglich, da die Repression gegen die Oppositionsführer*innen die Bewegung hätte stoppen können.

Aufgrund ihres Aktivismus ziehen Anarchist*innen ständig die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden auf sich. Einige Aktivist*innen sind jetzt wegen symbolischer Aktionen inhaftiert, andere sind auf der Flucht. Es gibt Initiativen zur Unterstützung der Armen und einen antikapitalistischen freien Markt. Repressionen gegen Anarchist*innen bringen selten das gewünschte Ergebnis. Sie werden von den oppositionellen Medien thematisiert und erregen so wieder neue Aufmerksamkeit und Energie für die Bewegung.

Heute ist die Popularität von Anarchist*innen in bestimmten Kreisen der Jugend recht hoch, was darauf zurückzuführen ist, dass es außer Anarchist*innen keine politischen Bewegungen mehr gibt.

Wiederwahl

Schon vor Beginn des Wahlkampfes erwarteten viele Menschen gerade wegen der Wirtschaftskrise und des Coronavirus große Proteste in Weißrussland. Es war für viele logisch, ihre Protestbemühungen auf den Wahltag und die folgenden Tage zu konzentrieren. So riefen beispielsweise große Medienplattformen in sozialen Netzwerken und Gruppen auf Telegram mehrere Wochen vor den Wahlen zu Protesten am Wahltag auf.

Sowohl die Demonstrant*innen als auch die Autoritäten bereiteten sich auf diese Wahlen vor. Im Internet gab es Bilder von Militär- und Polizeiausrüstung. Lukaschenko nahm an einer Schulung der Bereitschaftspolizei teil, um die Proteste aufzulösen. Es war klar, dass die Autoritäten nicht versuchen würden, den Grad der Unzufriedenheit zu verringern, sondern vielmehr die Bevölkerung mit Gewalt unter Druck zu setzen.

Es ist nicht überraschend, dass am Abend des 9. August Tausende von Menschen im ganzen Land auf die Straße gingen. Nur den Berichten der Autoritäten selbst zufolge fanden die Demonstrationen gleichzeitig in 33 Städten des Landes statt. Mehr als 50.000 Menschen nahmen an diesen Protesten teil. Die größten Demonstrationen fanden in Brest, Baranawitschi und Minsk statt. In den anderen regionalen Zentren gingen mehrere tausend Menschen auf die Straße.

Um den Demonstrant*innen in Minsk entgegenzutreten, wurden Truppen und Polizist*innen aus dem ganzen Land zusammengezogen. Am Tag vor der Wahl zogen Transportkolonnen aus den Regionen nach Minsk. Am Wahltag wurde die Stadt abgeriegelt. Busse ohne Nummernschilder fuhren durch die Stadt und hielten wahllos Fußgänger*innen oder Journalist*innen fest. Der Internetzugang war im ganzen Land abgeschaltet oder stark eingeschränkt.

Am Abend hatte sich die Situation radikal geändert. Menschenmassen begannen, auf die Straße zu gehen und sich auf das Zentrum zuzubewegen. Die gleiche Situation wurde in kleineren Städten des Landes beobachtet. Gegen Abend begannen die ersten Zusammenstöße mit OMON, als die Menschen versuchten, die Gefangenen zu befreien. Die Bereitschaftspolizei selbst lief zunächst in T-Shirts und Schlagstöcken ohne besondere Uniformen durch die Stadt. Die Angriffe auf OMON machten schnell deutlich, dass die Situation an diesem Tag nicht normal sein würde, die Menschen wurden aus der Menge herausgezogen und einfach festgenommen.

Nur eine Stunde nach den ersten Zusammenstößen begann das Zentrum von Minsk einer Kampfzone zu ähneln. Tschechische Lärmgranaten, kanadische Wasserwerfer, weißrussische MAZs – alle arbeiteten, um die Demonstrant*innen zu zerstreuen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes begannen die Menschen, Barrikaden zu errichten und auch direkt mit den Strafverfolgungsbehörden aufeinander zu stoßen. In verschiedenen Teilen des Landes wurde in der Nacht eine große Zahl von Menschen aus den Händen der Ordnungskräfte befreit.

Die Solidarität während der Proteste zeigte erneut die unglaubliche Kraft der kollektiven Opposition gegen die Diktatur. Die Menschenmassen lähmten entgegen aller Vorbereitungen jede Aktion von OMON und dem Militär. Das Fehlen des Internets spielte für das Regime nur einen negativen Rolle – die Menschen gingen auf die Straße, um herauszufinden, was vor sich ging.

Zwei Stunden lang kämpften Menschen im Zentrum von Minsk und anderen Städten gegen die weißrussischen Autoritäten. Sie kämpften mit großer Energie, die sie so viele Jahre lang aufgespart hatten. Die erfolgreiche Konfrontation zeigt einmal mehr die Zerbrechlichkeit der weißrussischen Diktatur.

Die Bewegung selbst ist heute nicht die der traditionellen politischen Parteien, die die Weißrussen „in eine gute Zukunft führen“. Proteste werden durch Medienplattformen organisiert und haben keine klaren Führer*innen. Gruppen von Menschen versammeln sich auf den Straßen und entscheiden über den einzuschlagenden Weg. Das Fehlen eines klaren Plans kann die Wirksamkeit des Protests behindern, aber der Mangel an klaren Führer*innen macht es unmöglich, ihn leicht zu unterdrücken.

Die Repression war gestern Abend brutal. Es gab so viele Opfer. In ihrer Wut warf die Bereitschaftspolizei Lärmgranaten direkt auf die Menschen. Mindestens einmal rammte ein Polizeiwagen eine Menschenmenge im Zentrum von Minsk und tötete einen Mann. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivist*innen wurden in dieser Nacht mindestens drei Menschen durch das Regime getötet. Das erste Blut wurde vergossen, aber die Menschen haben nicht vor, aufzuhören. Es besteht die Absicht, jeden Tag um 19:00 Uhr auf die Straße zu gehen, um die Diktatur zu stürzen.

Auf Telegramm gibt es auf den wichtigsten Kanälen Aufrufe zur direkten Demokratie im Land. Und obwohl einige befürchten, dass solche Aufrufe aufgrund eines Missverständnisses des Konzepts existieren, hat Weißrussland rebelliert, und viele fordern das Ende der Diktatur und den Beginn der Ära der direkten Demokratie.



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