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Dannenröder Wald: Über Gewalt und Gewaltlosigkeit

Was folgt, ist ein interessanter Beitrag von jemand (er/sie spricht für sich selbst, nicht für die gesamte Besetzung) der Dannenröder Waldbesetzung über Gewalt und Gewaltlosigkeit.

Ursprünglich veröffentlich von Wald Statt Asphalt. Übersetzt von Enough 14.

Ein weißer Mantel bedeckt die toten Bäume. Es hat hier in Danni geschneit. Und an diesem Wochenende soll es wieder schneien.

Der Kampf zum Schutz des Waldes ist gescheitert. Wir haben 90% der Bäume auf der Strecke der Autobahn verloren. Es gibt nur noch ein Barrio und hundert Meter Wald. Trotz der recht wirksamen Blockaden von Ende Gelände an jedem Sonntag, sind an anderen Tagen der Woche die Bäume gefällt worden. Wir haben versagt. Und wir hatten Zeit, dies zu analysieren, aber die Strategien blieben dieselben. Ein Ritual, das die Energie der Revolte in das Gefühl der Ohnmacht und danach der Depression führt. Viele Aktivistinnen und Aktivisten gehen weg, Burnouts. Die Taktik der Baumhäuser und des Baumkletterns funktioniert nicht ganz. Sie bringen Zeitgewinn, aber sie halten die Maschinen und die Polizei nicht vom Wald fern. Oder man muss Strukturen von 60 Metern Höhe bauen, um sich dem Zugang der Hebebühnen zu entziehen (eine Struktur in 40 Metern Höhe wurde schließlich von einer Maschine mit eine Kapazität von bis zu 51 Metern Höhe geräumt). Ein Beispiel für einen siegreichen Kampf zur Rettung von Bäumen ist Julia Hill in den USA, die 2 Jahre lang auf einem Mammutbaum in 55 Metern Höhe („Of sap and blood“ – Julia Hill, ed. Libre) blieb. Aber leider gibt es in Danni keinen Sequoia Mammutbaum.

Ein großes Problem, auf das ich hier gestoßen bin, ist der Mangel an Perspektive. Wenn ich mehrere Leute frage, ob es möglich ist, zu gewinnen. wird mir oft gesagt: „Was gewinnen?“ oder „Was bedeutet es, zu gewinnen?“ Ich sage: „Das die Bäume stehen bleiben.“ In 80% der Fälle wird mir gesagt, dass dies nicht möglich ist, dass wir verlieren werden und dass wir einfach Zeit gewinnen können oder dafür sorgen können, dass sie viel Geld verlieren. Es ist schwierig, Leute zu finden, die immer noch glauben, dass es möglich ist, das Fällen von Bäumen zu stoppen, oder die auf dieses Ziel hinarbeiten.

Es ist, als hätten wir bei der ZAD Notre-Dame-des-Landes akzeptiert, dass der Flughafen sowieso fertig wird, weil der Staat und seine Polizei stärker sind, dass, wenn wir kämpfen müssten, es lediglich darum gehen würde, „dass sie Zeit und viel Geld verlieren“. Mit diesem Bewusstsein hätte es einen Flughafen gegeben.

Das andere Problem, das mit dem der Ziele zusammenhängt, ist das Gefühl der Ohnmacht. Die Kritik an der Polizei ist in dem Sinne schwach, dass nur wenige Menschen in Frage stellen, wo es legitim ist, in diesem Waldkampf Gewalt anzuwenden. Geht es darum, diesen Wald zu verteidigen oder zu zerstören ? Diese Frage stellen wir nicht, sondern wir setzen uns der Gnade der Polizei aus, die uns verprügelt und dann klagen wir über Polizeigewalt. Es gibt eine solche Rücksichtnahme auf die Funktion der Polizei, dass wir sogar so weit gehen, dass so etwas auf dem twitter Kanal der örtlichen Polizei erscheint:

„Distanzieren Sie sich von Gewalttäter und lassen Sie nicht zu, dass militante Aktionen Ihr Anliegen zerstört.“

Tweet der hessischen Polizei

Es ist interessant zu analysieren und zu sehen, dass die Polizei sich erlaubt, Ratschläge zu erteilen, damit das Anliegen nicht zerstört wird. Das militante Anliegen ist es, die Bäume zu retten, das Anliegen der Polizei ist es, diesen Wald zu zerstören. Es ist lächerlich, dass die Polizei (die ein Ziel verfolgt, das dem der Aktivist:innen entgegengesetzt ist) sich erlaubt, strategische Ratschläge zu erteilen, um den Kampf zu gewinnen. Um die Absurdität zu begreifen, ist es notwendig, sich ein wenig Rhetorik zu erlauben. Es ist, als ob ein Aktivist:in zur Polizei sagen würde:

„Distanzieren Sie sich von gewalttätigen Polizist:innen, lassen Sie nicht zu, dass die Abholzungsaktionen Ihr Anliegen zerstören.“

Wenn die Polizei diesem militanten Ratschlag folgt, wird es ihr nicht gelingen, den Wald zu zerstören.
Wenn die Aktivist:innen den Rat der Polizei befolgen, wird es ihnen wahrscheinlich nicht gelingen, den Wald zu retten.

Bevor wir zum nächsten Punkt übergehen, könnten wir einen Blick auf den Sprachgebrauch der Polizei werfen:

  • „Ihr Anliegen zu zerstören“. Sie wagen es, das Wort „zerstören“ zu benutzen, wobei es genau das ist, was die Polizei hier ständig tut. Sie zerstören die Baumhäuser, sie zerstören den Wald. Das erlaubt uns, unser Bewusstsein für die Realität zu blenden, indem wir die Zerstörung auf die Seite der „militanten Aktionen“ stellen.
  • „Gewalttäter“; dies weckt die Phantasie von Schlägern, Dieben. Und entpolitisiert die Konfrontation mit der Polizei oder den Forstmaschinen. Als ob diese Formen des Kampfes nichts mehr mit der Frage nach der Ursache des Waldes zu tun hätten.

Der letzte Punkt ist problematisch, weil er eine kampfinterne Dynamik der Zensur und Gedankenkontrolle verdeutlicht. Ich will damit nicht sagen, dass er organisiert ist, das kann bei isolierten Personen der Fall sein. Vor einigen Tagen habe ich ein Transparent mit einem Zitat von Nelson Mandela gemacht, das ich ein wenig in den Eingang des Waldes gehängt habe. Ich kletterte auf die Spitze von zwei Bäumen, um es hoch oben anzubringen. Einen Tag später war es abgerissen worden und völlig verschwunden. Hier ist, was da drauf stand:

„Gewaltloser passiver Widerstand ist wirksam, solange sich die Gegenseite an die gleichen Regeln hält wie du selbst. Aber wenn friedlicher Protest auf Gewalt stößt, ist seine Wirksamkeit am Ende. Für mich war Gewaltlosigkeit kein moralisches Prinzip, sondern eine Strategie; es ist keine moralische Tugend, eine wirkungslose Waffe einzusetzen.“

Nelson Mandela

Dieses Zitat löste eine lebhafte Debatte unter Passanten aus, oft zeigten die Menschen Verständnis und ein Lächeln auf den Lippen. Sogar unter „Bürger:innen“, die vom militanten Milieu allzu oft als gemäßigt eingestuft werden, die man in Richtung der Haare streicheln muss [französisches Zitat, um zu sagen, dass man den Leuten Dinge auf eine Art und Weise erzählt, die ihre Gefühle nicht verletzt], indem man die Dinge allgemein verständlich, flach und leer formuliert. Deshalb habe ich mir die Zeit genommen, das Zitat mit einem zusätzlichen Abschnitt umzuschreiben, in der Hoffnung, dass es erhalten bleibt.

Das Zitat fährt fort:

„Ich habe die Lektion gelernt, dass wir am Ende keine Alternative zum bewaffneten und gewaltsamen Widerstand hatten. Immer und immer wieder hatten wir alle friedlichen Waffen in unserem Arsenal eingesetzt – Reden, Delegationen, Drohungen, Demonstrationen, Streiks, Abwesenheiten, freiwillige Inhaftierungen – alles vergeblich, denn was wir taten, wurde mit eiserner Hand beantwortet. Ein Freiheitskämpfer:in lernt auf die harte Tour, dass es der Unterdrücker ist, der den Charakter des Kampfes bestimmt, und dem Unterdrückten bleibt oft nichts anderes übrig, als Methoden anzuwenden, die denen des Unterdrückers entsprechen.

Nelson Mandela (27 Jahre in Haft wegen Sabotage)

Ich möchte auch einige Zitate von Gandhi wiedergeben, einer oft zitierten Figur, die uns zu gewaltfreiem Handeln mahnt, aber diejenigen, die nicht bereit sind, diesen Grad an Effektivität zu erreichen, auffordert, sich gewalttätigen Aktionen zuzuwenden.

Der folgende Text ist ein Auszug aus einem Artikel in einer Zeitschrift für radikale Ökologie [1]:

„Gandhi selbst bekräftigte (mit Sexismus), dass „wenn wir nicht wissen, wie wir uns, unsere Frauen und unsere Gotteshäuser mit der Kraft des Leidens, d.h. der Gewaltlosigkeit, verteidigen können, dann müssen wir, wenn wir Männer sind, zumindest in der Lage sein, all dies mittels eines Gefechts zu verteidigen[2]„.

Alles sagt uns heute, dass die „Kraft des Leidens, d.h. die Gewaltlosigkeit“ nicht angemessen ist, dass sie nicht ausreicht – wir können die Orte, die uns heilig sind, nicht verteidigen, wir können unsere Lieben nicht verteidigen, jeden Tag werden 200 Arten in Richtung Ausrottung gedrängt, und überall geht die Natur in Rauch auf – und dass sie in unserem Kontext, in unserem Kampf gegen die gegenwärtige sozial-ökologische Katastrophe, nicht ausreichen wird. Deshalb sollten wir nach dem Rat von Gandhi selbst in die Offensive gehen. Er beharrte mit Nachdruck auf diesem Punkt: „Ich habe immer wieder wiederholt, dass derjenige, der sich selbst, seine Nächsten und Liebsten oder deren Ehre nicht dadurch schützen kann, dass er dem Tod nicht gewaltlos gegenübersteht, dies durch einen gewaltsamen Umgang mit dem Unterdrücker tun kann und sollte. Wer weder das eine noch das andere tun kann, ist eine Last.

Gandhis Gewaltlosigkeit war äußerst anspruchsvoll. Er erklärte, sie könne „nicht denen beigebracht werden, die Angst haben zu sterben, und die keine Widerstandskraft haben“. Er ging sogar so weit, selbstmörderisch zu sein: “ Die Geschichte ist voll von Beispielen von Männern, die, indem sie mit Mut und Mitgefühl auf ihren Lippen starben, die Herzen ihrer gewalttätigen Gegner bekehrten. […] Selbstverteidigung ist der einzige ehrenvolle Weg, bei dem es die Bereitschaft zur Selbstverbrennung nicht gibt.“ Seine Gewaltlosigkeit implizierte den „eisernen Mut zu sterben, ohne zu töten“. Er drückte es sogar noch präziser aus: „Aber wenn man diesen Mut nicht hat, möchte ich, dass man die Kunst des Tötens kultiviert.“ [3] (Es gibt in der Tat eine gewisse Binarität in diesen Bemerkungen, die wir nicht gutheißen, sie dienen einfach dazu, die wahre Natur der gandhischen Gewaltlosigkeit zu veranschaulichen).

Mensch könnte Vorwürfe machen und es unangemessen finden, bereit zu sein, für etwas zu sterben. Denn die Situation zu Gandhis Zeiten war nicht die gleiche, wie sie heute ist. Wenn jedoch Aktivist:innen nach Danni gehen und die Polizei ein Seil durchschneidet oder ein Baum auf einen Querbalken mit jemand darauf fällt, kann mensch sich fragen, ob sie beschließen, die Besetzung für die darauffolgenden Tage fortzusetzen. Martin Luther King lädt uns ein, diese Frage auf eine zeitlose Art und Weise zu stellen:

„Solange ein Mensch nicht etwas entdeckt hat, für das er bereit wäre zu sterben, ist er nicht in der Lage zu leben. ”

Martin Luther King

Ich werde Gandhi relativieren, der in seinen Bemerkungen meiner Meinung nach zu gewalttätig ist, wenn er dazu auffordert, „die Kunst des Tötens“ zu erlernen. Es ist möglich, durch Sabotage effektiv zu sein, indem mensch darauf achtet, niemanden zu verletzen, wie es zum Beispiel Mandela tat, indem mensch einfach Maschinen oder unterdrückerische Strukturen zerstört. Oder als junge Menschen in den USA die Machtstrukturen ohne Todesopfer in die Luft sprengten, um sich dem Vietnamkrieg entgegenzustellen [4]. In einem Kontext der Konfrontation mit der Polizei auf niedrigem oder mittlerem Intensitätsniveau (ohne bis zu Schusswaffen und „der Kunst des Tötens“ zu gehen) ist es möglich, mit Barrikaden und Steinen zu gewinnen, wie wir es im Zad von Notre-Dame-des-Landes im Hinblick auf das Flughafenprojekt oder Plogoff und das Projekt für ein Kernkraftwerk in Frankreich gesehen haben [5].

Dieser Text ist nicht dazu gedacht, friedlichen Strategien wegzufegen. Er fordert einfach jede Person auf, sich selbst Fragen zu stellen und ihre eigenen Antworten zu finden. Es ist problematisch, dass Drängen, das Zerstören einer Maschine und das Töten einer Person durch dasselbe Wort definiert werden: „Gewalt“. Es ist notwendig, das moralische Gewaltverbot zu brechen, das Spektrum der hinter dem Wort verborgenen Möglichkeiten zu analysieren und nach der eigenen Grenze zu suchen. Auf die gleiche Weise müssen wir die vorgefassten Meinungen über Gewaltlosigkeit aufbrechen. Begrenzt eure Vorstellungskraft nicht auf das Sitzen, Gehen oder Warten, bis die Polizei in einem Baum nach euch sucht, sondern schließt euch wie in Danni mit Vorhängeschlössern und Beton ein, versucht, der Polizei zu entkommen, indem ihr von Ast zu Ast oder auf Querstangen klettert, baut hohe Pods, die höher sind, als Maschinen herankommen können, oder schiebt langsam eine Polizeilinie zurück. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, den Dogmatismus der friedlichen Aktion zu durchbrechen, ebenso wie es notwendig ist, den Dogmatismus der gewalttätigen Aktion zu durchbrechen und zu versuchen, beide in einer gemeinsamen Strategie zu vereinen: Danni bleibt. Mit, warum nicht, einer Darlegung der verschiedenen Strategien, die zum Schutz des Waldes eingesetzt werden sollen. Wenn Aktionen auf einer untere Ebene nicht funktionieren, können Aktionen auf einer höheren Ebene eingebracht und mit den vorherigen Taktiken kombiniert werden, um schließlich eine der Situation angemessene Wirksamkeit zu erreichen. Einige dieser Ebenen könnten sein:

  1. Umarmung von Polizist:innen
  2. versuchen, bei der Polizei Resonanz zu finden
  3. Laufen, friedliche Demonstration
  4. Sitzen
  5. Schwungkraft, Klettern auf Bäume
  6. Flucht in die Bäume, um die Räumung zu erschweren.
  7. Miteinander in Ketten sitzen
  8. Sich selbst in Barrikaden stecken
  9. Lock-on, Vorhängeschloss
  10. Sich unterirdisch mit dem Kopf heraussteckend vergraben
  11. Aufmärsche, Demonstrationen, die Polizeilinien durchbrechen oder passieren
  12. Auf Maschinen klettern
  13. Sabotage von Maschinen, ohne Menschen zu verletzen
  14. Barrikaden verteidigen
  15. Zusammenstöße, Ausschreitungen
  16. Die Verwandlung der verantwortlichen Autobahn in einer Permakultur-Farm im Austausch für die Aufgabe der Autobahn.

Mir ist klar, dass diese wenigen Gedanken vielleicht nicht in der Lage sind, die Linien der Strategen für gewaltfreie Aktionen zu bewegen, die glauben, dass dies der einzige Weg zum Erfolg ist. Ich schließe daher mit diesem Zitat von Martin Luther King, der, obwohl er überzeugt war, dass er durch gewaltfreie Demonstrationen handeln müsse, um zu gewinnen, sich nie von den Ausschreitungen gegen Rassismus distanziert hat.

„Die Barrikaden sind die Stimmen der Leute, die nicht gehört werden“

Martin Luther King

Er verstand es, sich mit denen solidarisch zu zeigen, die die gleiche Idee wie er verfolgen. Er hörte nicht auf den Rat der US-Polizei, die ihn aufforderte, sich von dem Krawallmacher zu distanzieren, so wie wir auch heute nicht auf den Twitter-Rat der Polizei hören sollten.

Wir solidarisieren uns mit allen Aktivist:innen, die wegen gewalttätiger oder friedlicher Aktionen im Gefängnis sitzen.

Fußnoten

[1]: Gewalt, Gewaltlosigkeit: eine Antwort auf den Niedergang (von Kevin Amara und Nicolas Casaux) – [dgr le partage]

[2]https://www.mkgandhi.org/nonviolence/gstruggle.htm

[3]https://www.mkgandhi.org/nonviolence/phil8.htm

[4]: Die Organisation Weather Underground. https://en.wikipedia.org/wiki/Weather_Underground

[5]: Plogoff, des pierres contre des fusils. YouTube trailer (Französisch): https://youtu.be/Dn3Wb4h7moY



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