
Ein Beitrag von Kostas Savvopoulos über den faschistischen Angriff auf das US-Kapitol in Washington DC.
Ursprünglich veröffentlicht von Void Network. Übersetzt von Riot Turtle.
1.
Diese Ereignisse waren keine Abweichung von der Demokratie, denn die USA waren schlichtweg von vornherein nie demokratisch. Sie waren nicht demokratisch, als sie Sklav:innen hatten, sie waren sicherlich nicht demokratisch, als die Segregationsgesetze in Kraft waren, die Trennung von normalen Bürger:innen und Anderen aufgrund ihrer Hautfarbe und natürlich blieben sie undemokratisch, als die Jim Crow Gesetze zurückgenommen wurden und der hässliche systematische Rassismus unter den Teppich gekehrt wurde.
Einige, sagen wir mal, unzusammenhängende Zahlen, die man im Hinterkopf behalten sollte. Die USA sind zur Zeit das Land mit der größten Gefangenenpopulation, über 2,5 Millionen. Über 2/3 dieser Menschen sind People of Color und die überwiegende Mehrheit von ihnen sitzt wegen nicht gewalttätiger Straftaten oder Zahlungsunfähigkeit im Gefängnis. Dies war also keine Verirrung, denn Uncle Sam war von Anfang an nie demokratisch, bestenfalls könnte man die USA als kapitalistische Oligarchie einstufen. Was gestern geschah, war das Bröckeln dieser demokratischen Vorstellung in den Augen der Bevölkerung. Es wurde gezeigt, was tatsächlich passiert, wenn die Siedler wütend werden. Und was passiert, ist, dass sie in der Lage sind, das Kapitol zu stürmen, natürlich, das dürfen wir nicht vergessen, mit der Duldung (manche würden sogar sagen, mit Hilfe) gewählter „demokratischer“ Regierungsvertreter:innen.

2.
Dies bringt uns zum nächsten Punkt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind als Land, als Nation, von Anfang an unter sehr strengen Regeln in Bezug auf Klasse und Ethnien aufgebaut worden. Es ist nicht so einfach, einfach zu sagen, dass das, was gestern passiert ist, allein auf die Hautfarbe der Demonstrant:innen zurückzuführen ist. Sicherlich wäre der Fall anders, wenn es sich um Black Lives Matter-Aktivist:innen handeln würde, aber das ist nicht alles, was dazugehört.
Der Kopf der Proud Boys, die zu den Initiatoren der gestrigen Ereignisse gehörten, ist, wie Sie wissen, Enrique Tarrio, der zum Anführer wurde, nachdem der Gründer Gavin McInnes (auch einer der Gründer von VICE) zurückgetreten ist. Enrique ist nicht weiß. Er ist von kubanischer Herkunft. Er ist das, was viele Latino-Aktivist:innen einen „Gusano“ nennen, einen Wurm, einen Reaktionär. Und wie wir von Scarface gelernt haben, waren Gusanos die Kubaner, die Kuba verließen, nachdem Castro die Macht übernommen hatte. Warum? Wegen der Ideologie, deshalb. Weil sie machthungrige Reaktionäre waren, ultrakonservative Antikommunisten, Landbesitzer, die in mehr als einem Fall entweder mit Batista oder den amerikanischen Geheimdiensten zusammenarbeiteten.
Ähnliche Fälle wurden zum Beispiel bei Rafael Cruz, dem Vater des Republikaners Ted Cruiz, gefunden, der ebenfalls ein großer Konservativer und ein Pastor ist.
Ebenso im Fall von Mark Rubio, der in einer bizarren Wendung ursprünglich sagte, dass seine Eltern von Castro aus Kuba verbannt wurden, jedoch wurde später aufgedeckt, dass dies während Batistas Regime geschah.
Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass reaktionäre Kubaner für die Drecksarbeit von Uncle Sam benutzt werden.
Das Zeitalter der 60er Jahre ist voll von Beispielen, wie wir von Mike Davis lesen, wo kubanische Paramilitärs Bombenanschläge auf Linke, Antikriegsaktivist:innen, Latino-Aktivist:innen und Feministinnen verübten. Wir sollten nicht vergessen, dass einer der Leute, die im Watergate-Fall verhaftet wurden, ein kubanischer Ex-Patriot war, der auch in der CIA diente.
Seien wir also nicht so überrascht, wenn nicht-weiße Leute entweder Trump oder die extreme Rechte im Allgemeinen unterstützen. Es geht nicht nur um Farbe, sondern auch um Ideologie und Klasse.

3.
Wie ich schon sagte, wenn wir statt weißer MAGAs BLM-Aktivist:innen in den gestrigen Ereignissen hätten, würde die Nationalgarde mit dem Zorn des Himmels herabgestiegen sein, wie sie es natürlich schon früher in diesem Jahr tat. Es würde Gummigeschosse auf die Demonstrant:innen regnen. Und, wenn durch eine wundersame Chance, einige es im Inneren des Kapitols Gebäude geschafft hätten, hätte der Secret Services sie auf der Stelle hingerichtet. Und natürlich würden wir am nächsten Tag auf CNN, auf FOX, auf MSNBC Geschichten über gewalttätige Extremist:innen, totalitäre Ideologien, kommunistische Terrorist:innen, Russland, China und den Kulturmarxismus hören, von Republikaner:innen und Demokrat:innen gleichermaßen. Das ist alles zutreffend. Und einige dieser Kommentator:innen, die sich durch den vorherrschenden Hass ermutigt fühlen, würden sogar auf die altbekannte Nixon- und Reagan-Rhetorik zurückgreifen, über bösartige schwarze Kriminelle und Super-Raubtiere.
Denn diese Art von Rhetorik ist nicht nur ein Privileg der Republikaner:innen. Sie ist auch Teil der Demokrat:innen. Weil sie so amerikanisch ist wie Apfelkuchen und auf die Kolonialzeit zurückgeht, wo die Kolonisatoren die Sklav:innen, die Anderen, entmenschlichen mussten, um die unsäglichen Brutalitäten zu rechtfertigen, die sie ihnen antaten. Und diese Grausamkeiten dauerten bis in die 60er Jahre an. Wir haben doch alle von den Bäumen gehört, die seltsame Früchte tragen. Und wir sollten auch bedenken, dass das alles begann, weil die Kolonisatoren Afrika und Amerika ausrauben wollten, von den Gewürzen und dem Gold. Die billigen Arbeitskräfte in Form von Sklav:innen waren der fette Bonus, der später kam. Wie konnten die Kolonisatoren zu unbezahlter Arbeit nein sagen, zu der blutigen Arbeit, die später das Land der Freiheit schaffen sollte.
Und deshalb sagen wir, dass Klasse und Ethnie untrennbar sind.

4.
Der wesentliche Grund, dass es gestern keine schweren Repressionen gab, hat auch viel mit den Forderungen der Demonstrant:innen zu tun. Trump ist keine Anomalie. Er ist keine Außergewöhnlichkeit. Er ist ein systemisches Symptom. Er ist ein Milliardär, direkt aus dem Bauch der Bestie. Gestern wollten die Regierungsbeamten kein grünes Licht für eine Operation geben, weil sie dachten, dass Trump einer von ihnen ist. Was sie am Ende dazu trieb, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, war die Tatsache, dass dies öffentlich war. Es lag daran, dass CNN in gewissem Sinne sendete. Denn wir wissen auch, dass die USA kein Problem mit Staatsstreichen haben, solange sie auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs oder unter dem Schutz der Nacht stattfinden. Wenn ein Putsch am helllichten Tag passiert, mit dem nationalen Fernsehen dabei, ist er gescheitert.
Die Forderungen der Proteste am 6.1.2021 in Washington, so scheint es, sind Forderungen, die auch der Polizei gefallen. Und wir können dies sagen, nach den Hunderten von selfies, die Polizist:innen mit Demonstrant:innen auf dem Kapitolgebäude nahmen. Auch die Nationalgarde schien nicht viel dagegen zu haben, denn ihr von Trump persönlich ernannter Chef hielt sie auf Position.
Andererseits sind Forderungen von Protesten wie die nach sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit, nach Definanzierung oder Abschaffung der Polizei, die aus dem rassistischen Mord an George Floyd entstanden, Forderungen, die kein Regierungsvertreter:in haben möchte. Egal ob Demokrat:in oder Republikaner:in. Und das war offensichtlich, sobald Biden gewählt wurde. Es war auch durch Obamas Worte klar, dass „Slogans wie Definanzier die Polizei bissig und polarisierend sind“
Das ist etwas, was wir schon lange sagen, dass Demokrat:innen und Republikaner:innen zwei Seiten derselben Medaille sind. Sie dienen beide der kapitalistischen Oligarchie auf den Punkt genau. Solange unsere Analyse nicht die Faktoren Ethnie, Klasse und Geschlecht berücksichtigt (die ich nicht erwähnt habe, weil ich nicht glaube, dass sie für dieses spezifische Ereignis relevant sind, aber im größeren Bild essentiell sind), sind wir dazu verdammt, zuzusehen, wie sich die Geschichte wiederholt.

5.
Viele nicht-weiße Amerikaner:innen, sogar Schwarze, haben Trump unterstützt. Abgesehen von den Gusanos gibt es einen weiteren wichtigen Faktor. Seit den 70er Jahren war Ethnie, politisch gesehen, von Klasse abgekoppelt. Die allgemeine Vorstellung, dass man es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unabhängig von Ethnie, Geschlecht, Religion und was auch immer schaffen kann, setzte sich durch, als direktes Ergebnis der New Deal-Hegemonie. Von da an kamen wir zu heute, wo wir lernen, dass Ethnie etwas anderes ist als Klasse und Geschlecht. Wir lernen auch, dass diese 3 Dinge nichts miteinander zu tun haben. Aber ein weiterer Einblick, und die Zahlen werden uns das Gegenteil beweisen.
Die Zahlen der Gefängnisse lügen nicht. Diejenigen, die leiden, kommen aus einer bestimmten Klasse und haben eine bestimmte Farbe. Schauen wir uns auch die Zahlen der Polizeimorde an. Diejenigen, die in alarmierenden Raten ermordet werden, kommen aus einer bestimmten Klasse und haben eine bestimmte Hautfarbe (oder das Fehlen davon, sie sind nicht weiß).
Ständig auf die Klasse zu verweisen, während man alle anderen Themen vermeidet, ist Klassenreduktionismus und falsch. Ständig auf Ethnie und Geschlecht zu verweisen, während man die Klasse übersieht, ist liberale Identitätspolitik und ebenfalls falsch. Versuchen wir es zur Abwechslung mal mit Intersektionalität, das könnte für uns funktionieren. Sonst sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Kostas Savvopoulos, 7. Januar 2020.
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