
Wir sind eine Gruppe junger Aktivist*innen, die erst seit ein paar Jahren aktiv sind. Die Erfahrung der Beteiligung an verschiedenen Umweltorganisationen hat uns die Grenzen dieser Organisationen in Bezug auf die Wirksamkeit unserer Kämpfe vor Augen geführt. Deshalb haben wir in den letzten Monaten beschlossen, dass wir versuchen wollen, den Konzernen im Bereich der fossilen Brennstoffe durch unsere Aktionen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Diese Entscheidung führte zu vielen Fragen, Vorbereitungen, Überlegungen und Ideen. Diese Sachen möchten wir in diesem Text diskutieren.
Ursprünglich veröffentlicht von Montreal Counter-Info. Übersetzt von Riot Turtle.
Es begann damit, dass viele von uns etwas erkannten: Der Kampf für die Umwelt ist an eine Grenze gestoßen. Wir wiederholen Aktionen mit der gleichen Intensität (ob wir nun 20.000 oder 500.000 auf der Straße sind) für eine Sache, die immer dringender wird. Wir beschweren uns, dass die Regierung nicht zuhört, aber wir entscheiden uns, in einer passiven Position zu bleiben, immer in der Haltung, Forderungen zu stellen, während sich mehr als genug Beweise angesammelt haben, um uns zu desillusionieren. In dem Wunsch, uns über die Wirksamkeit unserer Methoden und unseren geringen Handlungsspielraum im Klaren zu sein, verspürten wir die Notwendigkeit, mehr zu tun und es besser zu machen. Diese Überlegungen ergaben sich auch aus der Lektüre von „How to Sabotage a Pipeline“ von Andreas Malm, aus Texten über die Geschichte der Earth-First-Bewegung („Down with Empire! Up with Spring!„) und aus schriftlichen Überlegungen von ZADs und von aktuellen Umweltgruppen.
Einige mögen uns sagen, dass diese Überlegungen schon früher hätten gemacht werden müssen. Sie mögen Recht haben. Dennoch ist es absurd, von einem Aktivist*in zu verlangen, dass er von der Untätigkeit zur radikalsten Form des Handelns übergeht. Jeder Aktivist*in sammelt Erfahrungen, die ihn*sie dazu bringen, über die Wirksamkeit seiner*ihrer Aktionen nachzudenken. Jeder von uns kann dann abschätzen, was er auf der Grundlage der eigenen Wünsche und Fähigkeiten tun kann.
Also begannen wir zu überlegen, was für uns erreichbar wäre und eine gewisse Wirkung hätte. Das erste offensichtliche Hindernis, das sich uns in den Weg stellt, ist das Gesetz. Wir sind der Meinung, dass jetzt jeder über seine Fähigkeit und seinen Willen nachdenken muss, das Gesetz zu brechen, um etwas zu bewirken. Das Eingehen eines rechtlichen Risikos braucht Zeit, es ist ein psychologischer Prozess, der nicht zu vernachlässigen ist – umso mehr, wenn man sich mit den darauf folgenden Handlungen wohlfühlt. Das Eingehen von Risiken kann einige unserer Bestrebungen in Frage stellen und uns dazu bringen, uns mit unseren Privilegien und der damit verbundenen Verantwortung auseinanderzusetzen. Daher laden wir alle, die bereit sind, ihr politisches Handeln zu intensivieren, dazu ein, über die rechtlichen Risiken nachzudenken, die sie bereit sind, einzugehen. Letztendlich sehen wir dies als eine Notwendigkeit, um eine größere Wirkung zu erzielen. Es geht darum, ein Gleichgewicht zwischen Risiko und beabsichtigter Wirkung zu finden. Wir wollen nicht verhaftet werden, „um verhaftet zu werden“ oder in einer Perspektive des zivilen Ungehorsams mit einem Publikum. Wir wollen nicht mehr in einer Position sein, in der wir Forderungen an die Herrschenden stellen, sondern wir wollen direkten wirtschaftlichen Schaden verursachen mit dem Ziel, ein Ende der fossilen Brennstoffe zu erzwingen.
Das zweite offensichtliche Hindernis ist das der Vorbereitung. Wir waren auf eine solche Aktion nicht vorbereitet, und Informationen bleiben ( aus gutem Grund) verborgen. Wir mussten uns selbst in verschiedene Quellen vertiefen, um bestimmte Techniken zu erlernen, einen guten Rechtsschutz zu haben und sicher miteinander zu kommunizieren. All diese Vorbereitungen erfordern mehr Zeit. Wenn wir jedoch unseren Kampf intensivieren wollen, müssen wir die ausgetretenen Pfade verlassen und versuchen, so gut es geht, selbst zu lernen. In diesem Prozess wird es Experimente und Fehler geben, und wir werden nicht alle über Nacht zu perfekten Aktivist*innen werden. Dieser Mangel an Vorbereitung und Wissen darf kein Hindernis für die Intensivierung unserer Aktionen sein, sondern erfordert nur, dass wir uns die Zeit nehmen, selbst zu lernen und unser Wissen zu teilen.
Die dritte Barriere, die auftaucht, ist die unserer (Un-)Erfahrung, die mit unserem Alter und dem Netzwerk, das wir kennen, zusammenhängt. Wir gehören zu einer neuen Generation von Aktivist*innen, die die großen Kämpfe in „Quebec“ nicht miterlebt haben. Diese Unerfahrenheit führt dazu, dass wir weniger Praxis haben, aber auch weniger Wissen über aktivistische Strukturen und Praktiken. Diese Unerfahrenheit kann auch Misstrauen bei älteren Genoss*innen hervorrufen, die uns als naiv oder handlungsunfähig im Hinblick auf eine Eskalation der Druckmittel betrachten. Dieses Misstrauen hat seine Gründe, aber wir hätten dennoch mehr zu gewinnen, wenn wir uns so weit wie möglich zusammenschließen und das Wissen teilen würden, das mit der Auflösung der ASSÉ und dem Burnout ausgelöscht wurde. Nicht, dass wir die Notwendigkeit beiseite schieben, uns in Bezugsgruppen zu organisieren, um Vertrauen aufzubauen und Sicherheit zu gewährleisten.
Das vierte Hindernis schließlich, das wir vielleicht in uns spüren, ohne es zu sagen, ist ein emotionales Hindernis. Die Ängste vor den eigenen Aktionen abzubauen, sich der Konfrontation mit der Polizei und ihren Einschüchterungstaktiken zu stellen (wir sind uns darüber im Klaren, dass die Konfrontation mit der Polizei für manche Menschen keine Frage der Wahl ist), den Mut zu entwickeln, der notwendig ist, um sich selbst auf neuen Wegen zu trauen, die jenseits der gesellschaftlichen Zustimmung liegen: All diese Dinge erfordern emotionaler Arbeit, die Zeit braucht, umso mehr, als wir vielleicht das Bild eines perfekten Revolutionärs in uns tragen, der vor nichts Angst hat, der ohne Furcht gegen die Polizei kämpft, vielleicht sogar mit einem Lächeln, und wir denken, dass dies vielleicht eine Frage der Veranlagung ist. Während wir uns in unserem Leben umeinander kümmern, das Verständnis für andere Standpunkte fördern und Freundlichkeit pflegen wollen, verlangt unsere Organisation, dass wir uns abhärten, uns unseren Ängsten stellen, unsere Wut zum Ausdruck bringen und unseren rechtmäßigen Platz einnehmen, auch wenn das bedeutet, dass wir uns mit der bestehenden Ordnung der Welt auseinandersetzen müssen. Diese Arbeit an unserer natürlichen Verfassung und unseren Emotionen sollte nicht als Hindernis gesehen werden, sondern als eine Einladung, gemeinsame Kreise zu entwickeln, um diese Arbeit gemeinsam und nicht allein zu machen. Letztlich wird die Entwicklung dieser Qualitäten es uns ermöglichen, ein Leben zu führen, das unseren Idealen näher kommt und uns glücklicher werden lässt.
Wir haben diese Hindernisse so weit wie möglich überwunden und unsere Aktion sorgfältig geplant. Ziel der Aktion war es, Tankstellen zu beschädigen, um sie für mehrere Tage außer Betrieb zu setzen. Im Laufe der Zeit gab es einige Herausforderungen. Ein Standort wurde schließlich überwacht, ein anderer wurde einige Wochen vor unserer Aktion geschlossen und damit unbrauchbar. Dennoch konnten wir praktische Erfahrungen sammeln, indem wir uns unseren Ängsten stellten und aus unseren Fehlern lernten. Wir müssen anfangen zu handeln, auch wenn wir nicht perfekt sind, auch wenn wir nicht alles wissen. Wichtig ist, dass wir uns so gut wie möglich organisieren, aber vor allem, dass wir handeln, denn alles, was uns aufhält, ist im Wesentlichen Angst und ein Mangel an Zeit.
Abschließend sind wir der Meinung, dass es notwendig ist, dass sich der Kampf in Richtung einer Vielzahl von direkten Aktionen entwickelt. Unser Ziel in diesem Text ist es, zu vermitteln, dass es nicht notwendig ist, alles zu wissen, dass es normal ist, dass viele Hindernisse auf dem Weg auftauchen, und dass wir alle autonom das Wissen und die Überlegungen erlangen können, die für dieses Ziel notwendig sind. Ökologische Kämpfe werden die kommenden Jahre prägen. Es sind Kämpfe, die wir unbedingt gewinnen müssen. Wir möchten, dass die nächsten Menschen, die sich im Zusammenhang mit der ökologischen Krise organisieren, nicht den typischen friedlichen Weg einschlagen. Wir möchten auch dazu aufrufen, dass die Aktivist*innen früherer Generationen ihr Wissen mit uns teilen, damit wir gemeinsam vorankommen können. Wir übersehen jedoch nicht die Auswirkungen, die die Repression auf einige unseren Freund*innen hatte. Wir erkennen den Mut der Menschen an, die in irgendeiner Weise Teil der Kämpfe in Vergangenheit und Gegenwart waren oder sind.
-Die Geschichte schaut zu