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Über den Krieg mit der Ukraine [Russland]

Ein paar Gedanken aus Russland zum Krieg mit der Ukraine.

Ursprünglich veröffentlicht von Avtonom. Geschrieben von Vladimir Platonenko. Übersetzt von Riot Turtle mit Unterstützung von Übersetzungstools.

Ich schreibe dies, nachdem ich meine alten Internetkontakte verloren habe und gerade neue entstanden sind, und ich weiß nicht, wie viele Menschen es lesen werden. Nichtsdestotrotz möchte ich meine Meinung über die neue Phase des russisch-ukrainischen Krieges, die im Februar begann, zum Ausdruck bringen und darüber, was die Menschen in den kriegführenden Ländern meiner Meinung nach unter diesen Bedingungen tun sollten.

1
Ich glaube nicht, dass „die schlechteste Republik besser ist als jede Monarchie“. Alles wird durch den Aktivismus der Massen an der Basis bestimmt, nicht durch die Stimmabgabe bei Wahlen. Aber in diesem Fall ist die ukrainische Bevölkerung viel unabhängiger von der Regierung und viel stärker von ihr beeinflusst als die russische Bevölkerung. Putin hält dies für eine Schwäche der Ukraine, aber in Wirklichkeit ist es ihre Stärke. Dies ist der Hauptgrund, warum die Armee des „vollwertigen Staates“ nicht mit der Armee und den Selbstverteidigungseinheiten der Ukraine mithalten kann: Sklav*innen kämpfen schlecht, während freie Menschen, die keine Sklav*innen sein wollen, gut kämpfen. Dies ist einer der Hauptgründe, warum Zelensky selbst von seinen Gegner*innen in der Ukraine als das geringere Übel angesehen wird.

Ein kleineres Übel neigt dazu, sich in ein größeres Übel zu verwandeln, was es unvernünftig macht, ein kleineres Übel zu unterstützen. Neben den ukrainischen Streitkräften gibt es in der Ukraine jedoch auch territoriale Verteidigungseinheiten, und die ukrainische Regierung ist gezwungen, sie zu unterstützen. Sie hat – gewollt oder ungewollt – Waffen an die Bevölkerung verteilt. Und nun gibt es eine dritte Kraft in der Ukraine – die bewaffnete Bevölkerung. Darüber hinaus kommen, wie einst im republikanischen Spanien, Einheiten ausländischer Freiwilligerinnen in die Ukraine. Schließlich könnten in den besetzten Gebieten Partisaninnenmilizen entstehen. Mensch sollte das alles nicht idealisieren, der Ku-Klux-Klan war auch ein Produkt der Selbstorganisation eines Teils der Bevölkerung; aber eine bewaffnete selbstorganisierte Bevölkerung ist die einzige Kraft, aus der etwas Gutes entstehen kann. Alles wird vom Selbstbewusstsein abhängen – die Selbstverteidigungseinheiten der Bevölkerung in ihrer Gesamtheit sind genauso „gut“ oder „schlecht“ wie die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit. Das heißt, sie sind heterogen, wie die Bevölkerung als Ganzes. Jedenfalls sind sie heute die einzige Kraft, die es wert ist, unterstützt zu werden. Und wenn mensch mich fragen würde, wohin ein gewöhnlicher Ukrainer*in, der oder die nicht untätig bleiben möchte, gehen soll, würde ich antworten: „Wenn er oder sie kann, eine eigene Einheit gründen, wenn nicht – sich den Selbstverteidigungsbrigaden anschließen. Oder sich einer Partisan*inneneinheit anschließen.“

Die ukrainische Regierung ist nun gezwungen, diese Kräfte zu unterstützen. Wenn sich die Lage jedoch ändert, wird sie versuchen, die Einheiten der Territorialen Verteidigung, die Freiwilligen und alle anderen selbstorganisierten Brigaden loszuwerden. Erinnert sei an das Schicksal des Donbass-Bataillons, das absichtlich ohne Unterstützung und in einer bewusst zum Scheitern verurteilten Position belassen wurde. Die Kämpfer*innen der selbstorganisierten Einheiten sollten sich dies vor Augen halten.

2
Schwieriger ist es für die Bewohner*innen der Russischen Föderation: Hier werden alle Initiativen von der Bevölkerung unterdrückt, und abgesehen von Straßenprotesten, die ebenfalls brutal niedergeschlagen werden, können Russen*innen nur passiven Widerstand gegen den Krieg leisten: Verzicht auf Einberufung, Desertion, freiwillige Kapitulation. In der Zukunft könnten sogar Aufstände von Soldat*innen möglich werden, aber im Moment sind ihre Aussichten zweifelhaft. Ich habe zwar Informationen über die massenhafte Weigerung von Berufssoldat*innen erhalten, in den Krieg gegen die Ukraine zu ziehen, aber ich weiß nicht, wie aussagekräftig diese Informationen sind.

Wenn ich gefragt werde, ob ich die Seite wechseln würde, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte, werde ich antworten: „Nur zu unabhängigen Einheiten. Ich kann diejenigen, die sich der AFU (ukrainische Armee, Anm. der Übersetzer*in) anschließen möchten, sehr gut verstehen, aber ich halte das für einen Fehler.

Massenstreiks und die Weigerung, Steuern zu zahlen, wären ein großartiger Widerstand gegen den Krieg, aber ich glaube nicht, dass dies bei dem derzeitigen Grad der Selbstorganisation in der Russischen Föderation möglich ist. Für die Zukunft schließe ich jedoch soziale Unruhen nicht aus, die durch die Probleme verursacht werden, die der Krieg den Russ*innen bringen wird und bereits gebracht hat. Im letzteren Fall sollten die Demonstrant*innen neben den üblichen sozialen Forderungen auch ein sofortiges Ende des Krieges fordern.

Diese Forderung wird natürlich von Liberalen unterstützt werden, aber die Menschen in Russland sollten den Liberalen auf keinen Fall vertrauen. Die Liberalen und Oligarchen sind diejenigen, die Putin an die Macht gebracht haben, um zu schützen, was unter Jelzin geplündert wurde, und nur weil Putin schließlich nicht mehr unter ihrer Kontrolle ist, heißt das nicht, dass sie besser sind. Selbst jetzt versuchen sie, die Schuld für den Krieg und all die dadurch verursachten Probleme der Bevölkerung in die Schuhe zu schieben, indem sie die offizielle Lüge von der massenhaften Unterstützung Putins durch die „Landbevölkerung“ wiederholen. Ich wiederhole: Putin wurde von Oligarchen und Liberalen an die Macht gebracht, sie sind für diesen Krieg verantwortlich, nicht die Bevölkerung, die infolge ihrer Bemühungen jeglichen Einflusses auf die Regierung beraubt wurde, sie sind es, nicht die Bevölkerung, die für den Krieg bezahlen sollte. Deshalb kann das Antikriegsbündnis der Bevölkerung mit ihnen, das Bündnis der Diebe gegen die Blutsauger nur vorübergehend sein. Es handelt sich nicht einmal um ein Bündnis, sondern um einen vorübergehenden Waffenstillstand während des Kampfes gegen einen gemeinsamen Feind, nichts weiter, und das sollten die Menschen verstehen (die Liberalen und Geschäftemacher selbst verstehen das sehr gut). Die Reparationen und Beiträge sollen von denen gezahlt werden, die diesen Krieg begonnen haben.

Unter den Bedingungen eines geringen Selbstbewusstseins und der langfristigen Propagierung bürgerlicher Werte kann ein Rückgang des Lebensstandards sowohl zu sozialen Aufständen als auch zu Versuchen führen, sich auf Kosten anderer zu retten (durch Raub, Betrug und Plünderung). Darauf muss mensch vorbereitet sein und dagegen ankämpfen. Die einzige Alternative zu einem Krieg aller gegen alle ist ein Krieg der Bevölkerung gegen die Oberschicht und eine soziale Revolution.

3
Belarus befindet sich in einer Schnittstelle zwischen Russland und der Ukraine. Einige belarussische Bürger*innen gehen in die Ukraine, um gegen russische Truppen zu kämpfen. Nachdem sie Kampf- und Organisationserfahrungen gesammelt haben, können sie dann einen bewaffneten Kampf auf dem Territorium von Belarus beginnen. Ein solcher Kampf ist jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn er nicht von der arbeitenden Bevölkerung unterstützt wird, von den Fabrikarbeiter*innen und den Frauen und Männern auf dem Lande, die Kartoffeln ausgraben und von den „modernen“ Demonstrant*innen 2020 mit so viel Verachtung behandelt wurden (was einer der Hauptgründe für ihre Niederlage war). Andererseits würde ein Machtwechsel in Belarus ohne Berücksichtigung der Interessen der Arbeiter*innen in der Stadt und auf dem Land einfach nur Blutsauger durch Diebe ersetzen, einen Ausbeuter*in durch einen anderen ersetzen.

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Abschließend möchte ich euch daran erinnern, dass Krieg eines der Produkte des Kapitalismus ist. Das bedeutet nicht, dass es keine Kriege ohne Kapitalismus gibt, sondern dass es keinen Kapitalismus ohne Krieg gibt. Und wenn dieser Krieg für einige Unternehmer*innen den Verlust ihres Reichtums (oder eines bedeutenden Teils davon), den Verlust ihrer Konten und Immobilien bedeutet, so bedeutet er für andere neue Gewinne, neue Konten, neue Immobilien, neue Verträge, kurzum – eine Zunahme ihres Reichtums. Die Arbeitnehmer*innen auf beiden Seiten des Krieges werden nur verlieren, manche mehr, manche weniger; keiner von ihnen wird profitieren. Die Arbeiter*innen der verschiedenen Länder haben nichts zu verkaufen, aber sie werden in die Schlacht geschickt, und von ihnen werden Reparationen und Beiträge zugunsten der Geschäftsleute und Bürokrat*innen von hinter den Frontlinien eingezogen.

Das einzige Ergebnis eines Krieges, das anders ausfallen würde, ist eine soziale Revolution. Und je mehr die Mehrheit der Arbeiter*innen auf allen Seiten dies begreift, desto größer ist die Chance, dass eine solche Revolution stattfinden wird.


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