
Der türkische Regimechef Erdogan hat einen neuen Angriffskrieg gegen Nord- und Ostsyrien und die Kurdistan-Region Irak angekündigt. Man sei derzeit dabei zu entscheiden, nicht ob, sondern wie groß die „Bodenoffensive“ ausfallen werde.
Ursprünglich veröffentlicht von ANF News.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine neue „Bodenoffensive“ gegen die Autonomiegebiete von Nord- und Ostsyrien (AANES) und die Kurdistan-Region Irak (KRI) angekündigt. Es stehe außer Frage, dass man sich nicht auf Lufteinsätze beschränke, sagte Erdogan laut staatlichen Medien am Montag auf dem Rückflug aus Katar. Man sei derzeit dabei zu entscheiden, nicht ob, sondern wie groß die Bodenoffensive ausfallen werde. Konkreter wurde er nicht.
Die Türkei hat in der Nacht auf Sonntag in einer sogenannten Operation „Klauenschwert“ mit zahlreichen Luftangriffen Gebiete in der AANES und der KRI bombardiert. Mehr als 35 Menschen wurden dabei allein in Syrien getötet, darunter mindestens 13 Zivilist:innen. Laut der türkischen Führung waren die Angriffe als Rache für den Anschlag auf der Istanbuler Einkaufsmeile Istiklal am Sonntag vor einer Woche gedacht. Ankara beschuldigt die PKK und YPG für das Attentat mit sechs Toten und dutzenden Verletzten. Beide Organisationen weisen die Anschuldigungen entschieden zurück und gehen von einem inszenierten Vorwand für eine weitere Invasion aus.
Es sei „Zeit für Vergeltung“, die „Terror-Angreifer werden zur Rechenschaft gezogen“, twitterte das türkische Militär, als Kampfflugzeuge ihre Bomben auf Rojava und Südkurdistan abwarfen – angeblich gegen „Stellungen“ kurdischer „Terroristen“. Offiziell beruft sich die Türkei bei ihren Luftangriffen auf Artikel 51 der UN-Charta, in der das Selbstverteidigungsrecht eines Landes geregelt ist. Das aber beinhaltet nicht ein Recht auf Vergeltung.
Tatsächlich wurden vornehmlich zivile Siedlungsgebiete und Infrastruktur angegriffen. So wurden in der AANES gezielt verschiedene Siedlungen für Vertriebene angegriffen: in Belûniyê bei Tel Rifat ein Auffanglager für Menschen aus Efrîn, in der Gemeinde Zirgan eine Vertriebenensiedlung. In Kobanê wurde eine Covid-19-Klinik vollständig vernichtet und in der Ortschaft Dehril Ereb zerstörten türkische Bomben ein Weizendepot. In Dêrik hat der türkische Staat ein Massaker verübt: Im Dorf Teqil Beqil wurde ein Zivilfahrzeug angegriffen, dabei kamen zwei Insassen ums Leben. Als Menschen aus der Bevölkerung zur Hilfe eilten, wurde derselbe Ort erneut bombardiert. Bei dem zweiten Angriff wurden sieben Zivilpersonen getötet, darunter auch ein Journalist.
Die Türkei versucht seit Jahren, mit einer aggressiven Expansionspolitik und unter dem Deckmantel „Pufferzone“ einen Dschihadistengürtel an ihrer Südgrenze einzurichten und die kurdische Bevölkerung zu vertreiben. Ein neuerlicher Angriffskrieg gegen Nord- und Ostsyrien und die KRI war schon vor sechs Monaten angekündigt worden, dann aber wegen Widerstands aus Washington und Moskau verschoben worden. Erdogan sagte am Montag, man habe weder mit den USA noch mit Russland im Voraus über die Luftangriffe gesprochen, die Türkei müsse keine Erlaubnis einholen. Das kann so aber nicht zutreffen, da die Bombardements in der AANES und der KRI ohne die Freigabe des Luftraums durch die USA beziehungsweise NATO und Russlands nicht möglich wären. Der Terror des türkischen Staates geschieht mit Einwilligung der westlichen Großmächte.
Zuvor meldete die türkische Regierung mehrere Raketenangriffe aus Syrien und machte umgehend die YPG verantwortlich. Bei Karkamış in der Provinz Gaziantep (ku. Dîlok) seien am Montag laut Staatsangaben drei Menschen getötet und sechs verletzt worden, eine Schule sowie ein Lkw wurden dabei getroffen. Karkamış liegt nahe dem Grenzübergang zur nordsyrischen Grenzstadt Dscharablus, die sich innerhalb der türkischen Besatzungszone befindet. Seit dem 24. August 2016 ist die Stadt, nachdem die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sie der Türkei kampflos übergeben hatte, von der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Milizen besetzt.
Am Sonntag seien in der Stadt Kilis sechs türkische Polizisten und zwei Soldaten bei einem Raketenangriff aus Syrien verletzt worden. Kilis grenzt an Azaz, das ebenfalls vor sechs Jahren von der Türkei besetzt worden war. Zwar hatten die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) eine Reaktion auf die Luftangriffe angekündigt. Zu den Raketenangriffen in Karkamış und Kilis äußerte sich das multiethnische Kampfbündnis bislang aber nicht.