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Freispruch! Halim Dener Graffiti am Bielefelder Arbeiter*innen Jugend-Zentrum (AJZ) nicht strafbar!

Das Landgericht Bielefeld hob heute (17.06.2020) in einem Berufungsverfahren ein Urteil des Amtsgerichts Bielefeld auf und sprach den angeklagten Vereinsvorsitzenden des AJZ frei.

Eingereichter Beitrag.

Bei dem Verfahren vor dem Amtsgericht am 23. September 2019 gab es eine Verurteilung zu 30 Tagessätzen a 20 € wegen Nichtentfernens des Halim-Dener- Wandbildes von der Fassade des AJZ.

Das Landgericht begründete den Freispruch mit zwei zentralen Punkten:
1. Konnte nicht erkannt werden, dass der Vereinsvorsitzende für die Entfernung des Graffitis hätte sorgen müssen.
2. Handelt es sich bei dem Graffiti, das im Jahr 1994 entstanden ist, um ein Kunstwerk und ein Zeugnis der Zeitgeschichte und stellt eine geschützte Meinungsäußerung dar.

Das von einem seit mehr als 25 Jahren existierenden Bild – an dem sich die ganze Zeit nie irgendjemand gestört hat, so das Gericht – eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe, wie es die Staatsanwaltschaft konstruierte, ist auch nach Ansicht des Landgerichtes nicht nachvollziehbar.

Am 30.06.2020 ist der 26. Jahrestag des Mordes an Halim Dener.  

Wir möchten deshalb an dieser Stelle nochmals an Halim Dener erinnern:
Der 16-jährige Kurde Halim Dener musste 1994 vor der Verfolgung durch den türkischen Staat aus seiner Heimat Kurdistan fliehen. Damals zerstörte das türkische Militär 4.000 Dörfer – Menschen zu ermorden, verschwinden zu lassen und zu foltern waren gängige Praxis von Polizei, Geheimdienst und Paramilitärs. Halim selbst wurde nach einer Festnahme von der türkischen Polizei eine Woche lang verhört und gefoltert.
Zu dieser Zeit wurde durch öffentliche Hetze gegen Kurd*innen auch in Deutschland ein Klima von Hass und Angst geschaffen, das von einer simplen Gleichung bestimmt war: Kurd*innen = PKK = Terrorist*innen.
Halim Dener war auch nach seiner Ankunft in Niedersachsen politisch aktiv und setzte sich gegen die Verfolgung von Kurd*innen und gegen das im November 1993 erlassene PKK-Verbot ein.  
Wenige Woche  nach seiner Ankunft in Deutschland plakatierte er am 29.06.1994 in Hannover Plakate mit dem Emblem der ERNK, des (damaligen) politischen Arms der PKK.  Dabei wurde Halim in der Nacht zum 30.06.1994 von SEK-Polizisten in Zivil überrascht, bei der Festnahme wurde ihm aus kürzester Entfernung in den Rücken geschossen. An dieser Schussverletzung starb Halim wenig später.
Gegen den Zivilpolizisten fand zwar ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung statt. Dieser wurde aber wie erwartet 1997 frei gesprochen, weil der Schuss sich aus der Dienstwaffe versehentlich gelöst haben soll.

Halims Tod ist kein Einzelfall: Christy Schwundeck, Oury Jalloh oder Achidi John sind weitere bekannte Opfer von Polizeigewalt in Deutschland.

Seit Jahren setzt sich eine Kampagne für einen Ort des Gedenkens an Halim Dener in Hannover ein. Es wurden Gedenkplatten verlegt und Straßenschilder umgewidmet. Alles wurde von der Stadt Hannover wieder entfernt.

Wir freuen uns, dass mit dem Wandbild am AJZ Bielefeld ein solcher Gedenkort nach wie vor besteht!

Im Gedenken an Halim Dener und allen anderen Opfer rassistischer Polizeigewalt weltweit!

Die Erklärung des AJZ Bielefeld vom Februar 2018 wird hier nochmals dokumentiert:

Erklärung des AJZ Bielefeld zur Kriminalisierung des Halim-Dener-Graffiti

Am 30.06.1994 wurde Halim Dener in Hannover beim Plakatieren von der Polizei erschossen. Der tödliche Schuss traf den 16-jährigen Kurden in den Rücken während er Plakate mit dem Symbol der ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) aufhängte.
 
Schockiert und wütend über diesen Mord, malte ein junger Sprayer ein Gedenk-Graffiti auf den Rollladen vom Infoladen Anschlag an der Heeperstr. 132 im Gebäude des AJZ (Arbeiter*innenjugendzentrum) Bielefeld. Auf dem Bild zu sehen: „Ermordet von Bullen“ „Dieses Jahr in Hannover“, „Ich hoffe das ich nie von Bullen beim Sprühen erschossen werde“ und ein Portrait von Halim Dener.
Dieses Bild, das wir jedes Mal sehen, wenn wir ins AJZ gehen, ist für uns wichtig. Es erinnert an den Mord. Es lässt uns nicht vergessen, wie es in diesem Staat zugeht. Es ist nicht irgendein Graffiti, sondern eines, das seit 23 Jahren nicht übermalt, sondern erhalten wurde. Das Bild ist auch ein Gruß an unsere kurdischen Freund*innen, die von der Repression des deutschen Staates häufig heftiger getroffen werden als wir.

Nun fordert uns die Polizei Bielefeld nach mehr als zwei Jahrzenten auf, das Bild zu entfernen, da es für sie eine Straftat darstellt. In einem Schreiben wurde mitgeteilt, dass von einer Strafverfolgung abgesehen werde, wenn das Graffiti bis zum 23.02.2018 entfernt werden wird. Laut Anschreiben der Polizei ist auf dem Bild ein verbotenes Symbol der kurdischen Organisation CDK (Demokratische Gemeinschaft Kurdistans) zu sehen. Die CDK, die es seit dem Jahr 2004 gibt, soll die Nachfolgeorganisation der ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) sein, deren Symbol der grüne Kreis, mit gelber Fläche und rotem Stern, war. Die ERNK wurde im Zuge des Verbots der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) im November 1993 ebenfalls verboten. Angesichts der Entwicklungen in der Türkei, die immer mehr in eine faschistische Diktatur umgestaltet wird, der Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit sowie der aktuellen Angriffe der Türkei im Norden Syriens, bei denen hauptsächlich kurdische Menschen und Strukturen getroffen werden sollen, empfinden wir das Vorgehen der Bielefelder Polizei und Staatsanwaltschaft als zynisch.

Diese Vorgehensweise entspricht der langjährigen politischen Praxis der deutschen Bundesregierung, die nur zaghaft Kritik am Vorgehen des türkischen Staates und seinen Menschenrechtsverletzungen äußert und den Bruch mit dem türkischen Regime tunlichst vermeidet. Gilt es doch die „guten“ Beziehungen zu der Türkei zu wahren. Gemeint sind damit hauptsächlich Geschäftsbeziehungen und das Aufrechterhalten des so genannten Flüchtlingsdeals mit der Türkei.

Die Bundesregierung stimmt Waffendeals mit dem türkischen Staat zu und verhandelt über den Bau von deutschen Waffenfabriken in der Türkei. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die Aufrüstung deutscher Panzer in der Türkei vorübergehend ausgesetzt wird, weil genau mit diesen Waffen der Angriffskrieg gegen den selbstverwalteten Kanton Afrin geführt wird. Ein solcher vorübergehender Stopp der Aufrüstung ist Augenwischerei, denn aufgrund der militärischen Angriffe, die seit Jahren gegen die Bevölkerung in den kurdischen Gebieten im Osten der Türkei geführt werden, war von vornherein klar, dass auch diese Waffen gegen die kurdische Zivilbevölkerung in oder außerhalb der Türkei eingesetzt werden würden.

Der deutsche Staat biedert sich seinem türkischen Nato-Verbündeten an, in dem er unter anderem dafür sorgt, dass die Kritik an der Türkei in Deutschland nicht zu laut wird. So wurden am 02.03.2017 die Verbote vom November 1993 ausgeweitet. Betroffen davon sind unter anderem ebenso Symbole der kurdischen Hochschulgruppen YXK (Verband der Studierenden aus Kurdistan) und JXK (Studierende Frauen aus Kurdistan), wie diverse andere kurdische Vereine und Organisationen, die nicht verboten sind. Des Weiteren fallen unter das Verbot die Symbole der zuvor im Kampf gegen den Islamischen Staat als Held*innen gefeierten YPG (Volksverteidigungseinheiten) und YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) sowie das Konterfei von Abdullah Öcalan. Außerdem gibt es zahlreiche Strafverfahren gegen kurdische und türkische Aktivist*innen in Deutschland.

Die deutsche Polizei macht sich zum Handlanger türkischer Interessen, wenn Personen, die auf der Liste der Türkei stehen, in Deutschland festgesetzt und verhört werden. Wenn Personen, die aus der Türkei fliehen, fürchten müssen, von Deutschland wieder in die Türkei abgeschoben zu werden. Und so führt die Polizei auch den Krieg der Türkei mit den Mitteln der Repression in Deutschland fort. Unsere Solidarität gilt den Menschen in Syrien, Kurdistan und der Türkei, die sich autoritären Regimen entgegenstellen und für eine gerechte Gesellschaft kämpfen.

Solidarität mit der YPG und YPJ!

Keine Kriminalisierung des kurdischen Widerstandes!

Weg mit dem Verbot der PKK!

Hände weg von unserem Graffiti!

In Gedenken an Halim Dener – ermordet von Bullen!

Die Hausversammlung des AJZ Bielefeld im Februar 2018



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