
Es folgen die Worte mit denen zwei Genossen an Maria Ludovica Maschietto, bekannt als Marilù (14. Februar 1932 – 29. Dezember 2020), erinnern wollten.
Ursprünglich veröffentlicht von Malacoda. Übersetzt von bratislav metulski für Enough 14.
Lebe wohl Marilù, mit dir stirbt ein weiteres Stück meiner Anarchie.
Danke, dass du immer ein sicherer Hafen für mich und die Menschen warst, die ich liebte.
Danke, dass du mich der Apathie und Desillusionierung entrissen hast, als ich 18 Jahre alt war und mir die Anarchist:innen als ein Haufen von Wortklaubern und Idioten erschienen.
Und danke vor allem dafür, dass du mich den kritischen Geist gelehrt hast und dass Anarchist:innen keine Führer:innen brauchen, dass Verachtung und Überheblichkeit gegenüber den Naiven und Ahnungslosen keinen Platz in unseren Herzen finden dürfen.
Ich wollte dir in die Augen schauen während ich dir das sage, doch mir blieb keine Zeit … verzeih mir.
Ich verdanke dir viel, ich liebe dich, ich werde dich nicht vergessen.
Alfredo, Gefängnis von Ferrara
Verzeiht mir, wenn ich das Wort ergreife, indem ich einen Text vorlese und nicht, indem ich eine Rede improvisiere, so wie es sich für eine Genossin gehört, die ein ganzes Leben lang der anarchistischen Bewegung nach Kräften, Mitteln und Ideen alles gegeben hat, mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit welcher sie im heimischen Wohnzimmer sprach.
Marilù wusste, dass sie uns verlassen würde. Die letzten Worte, welche sie vor ein paar Tagen zu mir sagte, waren: “ Erinnert euch immer an mich.“ Aber trotz dieses Bewusstseins schmiedete sie weiter Pläne, versuchte, bis zum letzten Moment ihren Beitrag zum Kampf für die Anarchie zu leisten.
Sich an Marilù zu erinnern ist schwierig, sehr schwierig sogar, denn ihre Geschichte ist nicht nur eine persönliche Geschichte, sondern Teil des historischen Erbes der Revolutionär:innen. Es besteht aus Verbindungen, Verflechtungen von Geschichten, vor allem kollektiven, aber auch von Zusammenstößen. Sie hinterließ uns Zeugnisse der Erfahrungen der Azione Rivoluzionaria, auch durch Bücher, trug zur Entstehung des Komitees „Gianfranco Faina“ gegen Gefängnis und Repression bei und stand den Gefangenen ihr Leben lang zur Seite..
Die Geschichte der anarchistischen Bewegung kannte ich aus ihrem Munde, noch bevor ich Bücher las. Manch einer könnte sagen, dass es eine voreingenommene Geschichte ist. Ja, das ist sie. Denn es ist die Geschichte, welche von jenen erzählt wird, die stets die anarchistische Aktion unterstützt haben, ohne dabei bloßer Zuschauer:in zu sein, zwischen der Freude über einen erzielten Treffer und dem Schmerz, die Genoss:innen mit der Waffe in der Hand oder im Gefängnis sterben zu sehen oder, noch schlimmer, sich von den revolutionären Praktiken zu entfernen.
Dank ihrer Geschichten versuchte ich also, mit der gleichen Leidenschaft zu leben, ich lernte, die gleichen Prinzipien zu verteidigen, aber auch den gleichen Groll zu hegen.
Sich an Marilù zu erinnern, so wie sie uns darum gebeten hat, heißt also, die revolutionäre Hypothese zu verteidigen, sie in die Praxis umzusetzen, wohl wissend, dass sie voller Entscheidungen ist, welche getroffen werden müssen. Eine gewisse Parteilichkeit ist nicht nur unvermeidlich, sie ist ein Muss. Denn wenn es eine Stabübergabe geben muss – wie man bei solchen Gelegenheiten zu sagen pflegt -, dann müssen wir uns die Geschichte der Revolutionär:innen zu eigen machen, mit allem, was dies mit sich bringt. Wir müssen den Mut haben, zu wählen, zu wissen, auf welcher Seite wir stehen. Auf der Seite der Ausgebeuteten, aber noch mehr auf der Seite die/derjenigen, die unter den Ausgebeuteten jedes Zögern aufgegeben haben und den Kampf für die Freiheit aufnehmen, ohne Kompromisse und vor allem ohne irgendetwas zu verleugnen.
Auf dich, Marilù, auf die Genoss:innen, die zwar gestorben sind, aber dennoch voll gelebt haben, auf diejenigen, welche noch immer den Preis für ihre Entscheidungen zahlen.
Ihr habt nicht unsere Tränen verdient, sondern diejenigen der Angst unserer Unterdrücker:innen.
Marco
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