
Eine Stellungnahme von Embat, einer libertären Organisation aus Katalonien, zum Fall Pablo Hasél und dem autoritären Abdriften des Staates im Allgemeinen.
Ursprünglich veröffentlicht von Embat. Übersetzt von Riot Turtle.
Nach der Inhaftierung des Rappers Pablo Hasél wegen eines Tracks gegen die Monarchie, nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste gegen seine Inhaftierung, nach der völlig ungestraft gebliebenen Demonstration von Neonazis in Madrid, die die Blaue Division lobten, nach dem entfesselten Polizeieinsatz in Linares, nach der monatelangen nächtlichen Ausgangssperre, während wir jeden Morgen in überfüllten Bussen und Zügen wie Sardinen zur Arbeit fahren, oder auch nach der Eile, die „Procés“-Gefangenen [1] nach dem schlechten Ergebnis für das Regime bei den katalanischen Wahlen wieder ins Gefängnis zu stecken, erleben wir eine neue Wendung im spanischen Staat.
All das und noch mehr hat mit der sogenannten „demokratischen Normalität“ zu tun, oder vielmehr mit der nicht vorhandenen Existenz derselben. Wie der Vizepräsident der Regierung selbst angedeutet hat – derselbe, der den Song von Hasél in Auftrag gegeben hat und danach nichts von den rechtlichen Auswirkungen wissen wollte – ist Spanien eine Demokratie mit geringer Intensität. Mit all dem bewegen wir uns darauf zu, uns nicht den fortgeschritteneren Ländern Nordeuropas anzunähern, sondern eher den Ländern im Osten.
In weniger als einer Woche sind die Widersprüche des spanischen Staates offensichtlich geworden. Der größte von allen ist, dass es eine Regierung gibt, die behauptet, links und fortschrittlich zu sein, während wir jeden Tag Informationen über das Gegenteil erhalten haben. Zum Beispiel, dass sie sich nicht entschließen kann oder will, die da unten zu schützen, während sie die da oben unterwirft, oder dass sie zynisch verteidigt, dass nichts passiert, wenn in der Armee franquistische Erklärungen unterzeichnet werden. Es wird immer wieder deutlich gemacht, dass die Regierung keine Macht hat. Wer hat sie dann? Es ist ein tiefer Staat, der die Schaltstellen kontrolliert. Und von dort aus kontrolliert er alle anderen Hebel: die Armee, die Justiz, die Medien, das Großkapital, die Politiker:innen und die Polizei. Und natürlich die Monarchie. Das darf nicht fehlen.
Das Problem ist nicht Hasél. Er ist eine Folge des Problems. Der wahre Elefant im Raum ist, dass der spanische Staat in den Händen jenes tiefen Staates ist, der von den gleichen reaktionären Ideen des Franquismus durchzogen ist. Der Staat ist der Franquismus mit einem demokratischen Mäntelchen. Und das kann weder von der PSOE noch von Podemos geändert werden, egal wie oft sie auch regieren mögen.
Der Aufstieg der Rechtsextremen in Spanien bedeutet, dass die Schafherde irgendwie außer Kontrolle geraten ist und es an der Zeit ist, die Hunde zu rufen. Die katalanische nationale Frage des letzten Jahrzehnts provozierte das allmähliche Auftauchen eines neuen politischen Akteurs, der das Land dominiert: die Justiz. Dieser Akteur ist dafür zuständig, Gesetze zu erlassen, seine Meinung zu äußern und die politische Agenda des Staates klar zu bestimmen. Und dieser Akteur wird von den Medien mit bestimmten Themen bombardiert, um die Bevölkerung zu „erziehen“. Das tun sie zum Beispiel, wenn sie von verlorenen Augen statt von verstümmelten sprechen, wenn sie die vom Staat durch die Polizei ausgeübte Gewalt nicht thematisieren oder wenn sie von der Wurzel des Problems ablenken, indem sie eine perverse Definition von zivilem Verhalten in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Die Institutionen nähren dieses Bombardement auch, indem sie dringend eine Reform des Strafgesetzbuches vorschlagen, die schon vor Monaten hätte durchgeführt werden können, die Aufhebung des Knebelgesetzes und eine Begnadigung für Hasel, die nicht nur zu spät kommt, sondern nur ein Pflaster und keine Lösung ist.
Dieses ganze Thema wurde im Herbst 2019 mit der Entscheidung des Referendums gut ans Licht gebracht. Und jetzt wird es noch deutlicher. Die spanische Justiz kümmert sich nicht um das Gesetz, außer um eine Lebensweise in Übereinstimmung mit ihren Prinzipien durchzusetzen. Es gibt keinen Platz für etwas anderes.
Nicht zu verstehen, dass wir, um voranzukommen, all dies aufdecken müssen, heißt, das Spiel des postfranquistischen Staates weiter zu spielen. Die katalanische Politik befindet sich in einer solchen Situation. Sie verstehen, wie der Staat funktioniert, aber dann rufen sie nach Ordnung. Sie wollen nicht, dass ihre Kasernen niedergebrannt werden. Proteste ja, aber friedlich. Feminismus ja, aber ohne Privilegien zu verlieren. Wut ja, aber gebändigt. Vier Sprechchöre und dann nach Hause gehen. Wer dieser Logik folgt, will nichts verändern, sondern sich an der Bewältigung der aktuellen Situation beteiligen. Nichts zu tun, wie es sich linke Politiker:innen oder Katalanist:innen wünschen würden, bedeutet, zuzulassen, dass sich Situationen wie diese normalisieren und vermehren.
Wut und Empörung erscheinen als isolierte Ausbrüche. Wenn sie von der Bevölkerung geteilt werden, ist kein Manifest nötig. Es braucht nur einen brennenden Container und Tausende von Menschen – nicht nur in Katalonien, sondern im ganzen Land – bekommen die Botschaft. Junge Leute verstehen, dass wir uns dieser Realität stellen müssen, junge Frauen akzeptieren nicht länger, in der Nachhut zu bleiben. Nicht nur für Pablo Hasél, sondern für unsere Zukunft als freie Menschen.
Wir müssen also die Botschaften hervorheben, die in diesen Tagen verbreitet werden, weil sie die Glaubwürdigkeit des Staates untergraben. Und die wichtigste Botschaft ist die Verteidigung der Freiheiten auf der Straße mit allen Mitteln. Die Besten unserer Bevölkerung sind jede Nacht in Gefahr. Und es ist notwendig, dass wir als Gesellschaft ihnen in diesen und in den kommenden Tagen unsere ganze Unterstützung geben. Es ist notwendig, dass wir unsere Solidarität mit denjenigen zeigen, die verhaftet und verletzt wurden.
Wir fordern die Freilassung von Pablo und aller politischen Gefangenen, die sofortige Freilassung aller Verhafteten, die Auflösung der BRIMO [2] und den Sturz der Monarchie und des faschistischen Staates. Nur von da aus können wir etwas anderes aufbauen.
Embat, 18. February, 2021.
Fußnoten
[1] Die „Procés“-Häftlinge sind Gefangene, die wegen ihrer angeblichen Beteiligung am katalanischen Unabhängigkeitsprozess inhaftiert sind.
[2] Die BRIMO ist eine Mobile Brigade, die Bereitschaftspolizei der Mossos d’Esquadra (katalanische Polizei).