
Ein Blick auf die Beweise rund um die staatliche Tötung des Demonstranten Michael Reinoehl aus der Gegend von Portland – was die Frage aufwirft, wer wohl die Regie bei seiner Hinrichtung führte?
Erschien bei Its Going Down, geschrieben von John Teufel, übersetzt von Punex.
Dass Michael Reinoehl ermordet wurde, dürfte kaum bezweifelt werden. Ob er ermordet wurde, bleibt eine offene Frage.
Wir kennen die Ereignisse des 3. September mit einiger Gewissheit. Fünf Tage zuvor hatte Reinoehl einen Mann namens Aaron Danielson in der Innenstadt von Portland getötet. Die örtliche Polizei hatte ihn bereits öffentlich als Verdächtigen benannt – Reinoehl war auf der Flucht und befürchtete, dass sein eigener Tod unmittelbar bevorstand. Nun versuchte Reinoehl, sich in einer Wohnung in Lacey, Washington, einem Vorort von Olympia, zu verstecken. Dabei scheiterte er, denn draußen beobachteten FBI-Agent:innen das Geschehen stillschweigend.
Mord
Gegen 18:45 Uhr beendete Reinoehl ein Telefongespräch mit einem Freund, verließ die Wohnung und ging zu seinem draußen geparkten Auto. Als er dies tat, näherte sich ihm ein Aufgebot von US-Marshals und der örtlichen Polizei in Geländewagen mit hoher Geschwindigkeit. Reinoehl hatte ein Handy am Ohr und steckte sich einen Gummiwurm in den Mund. Er öffnete seine Autotür und begann einzusteigen. Die SUVs erreichten Reinoehl und bevor sie zum Stehen kamen, stiegen Bundesagent:innen und Polizist:innen mit gezogenen Waffen aus. Es wurden keine Befehle erteilt. Innerhalb von Sekunden eröffneten die Gesetzeshüter:innen das Feuer. Reinoehl versuchte, sich hinter seinem Fahrzeug in Deckung zu bringen, aber das Sperrfeuer – insgesamt 37 Schuss – war unerbittlich.
Medizinische Hilfe wurde halbherzig geleistet (Herzdruckmassage, während der Polizist noch stand), acht Minuten nachdem Reinoehl mit Kugeln vollgepumpt worden ist. Es hätte keinen Unterschied gemacht, selbst wenn es richtig gemacht worden wäre. Reinoehl starb schnell – laut dem Gerichtsmediziner wahrscheinlich innerhalb von Sekunden.
Von den 22 anwesenden Zeug:innen bei Reinoehls Tod gaben 21 an, dass die Polizei nie irgendwelche Kommandos gab oder sich ankündigte, bevor sie das Feuer eröffnete. Fünf Augenzeugen gaben an, dass das Schießen begann, sobald die Fahrzeuge am Tatort eintrafen. Keiner sah Reinoehl mit einer Waffe. Ein Zeug:in nahm zunächst an, dass er einen Bandenüberfall im Zusammenhang mit Drogen beobachtete, bis er die kugelsicheren Westen bemerkte, die die Schützen trugen.
Mitglieder:innen der Strafverfolgungsbehörden am Tatort haben wild widersprüchliche Aussagen gemacht und abwechselnd behauptet, Reinoehl habe eine Waffe gezogen oder auf eine Waffe gezielt oder „verstohlene Bewegungen“ gemacht. Mindestens zwei Beamte haben ausgesagt, dass sie nie eine Waffe gesehen haben. Der US Marshals Service unterstützte zunächst die Behauptung, Reinoehl habe eine Waffe gezogen, hörte dann aber ganz auf, sich dazu zu äußern, als die Behauptung auseinanderfiel. Eine Untersuchung des Tatorts ergab, dass Reinoehl mit einer Waffe in der Tasche starb, die nie gezogen wurde.
In den Vereinigte Staaten von Amerika werden Zivilist:innen häufig von Ordnungshüter:innen getötet, auch solche, die keine Bedrohung für ihre eventuellen uniformierten Mörder:innen darstellen. Dennoch ist es selbst in unserer hyperpolizeilichen Dystopie selten, dass eine Phalanx von Polizist:innen ohne Vorwarnung zusammenkommt und einen Mann in der Art eines Bandenmordes auf der Stelle hinrichtet.
Aber was Reinoehls Mord völlig einzigartig macht, ist auch das, was ihn geheimnisvoll macht: Sowohl vor als auch nach seinem Tod durch die Hände der Behörden wurde er öffentlich zu einem Symbol der „Antifa“ gemacht – eine Bedrohung für die herrschende Ordnung – von Law-and-Order-Fetischist und Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump.
Portland
Die öffentlich zugänglichen Details von Michael Reinoehls Leben sind spärlich, Highlights von Highlights, und selbst der Versuch, ihn, sein Wesen als Person, in irgendeiner substantiellen Weise zu beschreiben, fühlt sich respektlos an. Er war ein Vater von zwei Kindern, der als professioneller Snowboarder einige Erfolge verbuchen konnte. In den letzten Jahren war die Beziehung zu seiner Familie zerrüttet, seine Schwester sagte der New York Times: „Er war nicht sehr stabil.“ Im vergangenen Juni wurde er verhaftet, weil er mit seiner Tochter im Auto ein Dragrace gegen seinen Sohn veranstaltet hatte. Die Polizei fand eine Waffe bei ihn während der Verhaftung.
Er war politisch engagiert und zeigte Haltung. In Social-Media-Posts Sympathisierte er mit der Black Lives Matter-Bewegung und bekannte sich zu „100% ANTIFA all the way“ und das Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass er in irgendwelchen Gruppen organisiert war. In einem Interview mit VICE erklärte er, dass er kein Mitglied einer antifaschistischen Gruppe war, aber dass er sich bei Schutzstrukturen für Demonstrationen in der Gegend von Portland engagiert hat. Reinoehl beteiligte sich an Black Lives Matter Demonstrationen in Portland, kurz nach dem Tod von George Floyd im Mai und wurde im Juli bei einer dieser Demonstrationen verhaftet, weil er widerstand geleistet hat und eine geladene Handfeuerwaffe trug. Später in diesem Monat, in einem Interview mit Bloomberg, zeigte er eine blutige Armwunde und behauptete, dass er bei einem anderen Protest angeschossen worden war.
Gewalttätige Zusammenstöße zwischen Faschist:innen und Antifaschist:innen nahmen zu, als der Aufstand in den Sommer hineinging. Portland hatte eine Invasion von sogenannten „Trump-Karawanen“ erlebt, bei denen mit MAGA-Flaggen geschmückte Fahrzeuge durch Menschenmengen von Demonstrant:innen fuhren und Radfahrer:innen überfuhren, während die Fahrer:innen Pfefferspray versprühten und Paintball-Pistolen durch dem Fenster abfeuerten. Es ist schwierig, das Niveau der rechten Gewalt zu unterschätzen, die Portland letzten Sommer heimsuchte. Bei mindestens zwei Gelegenheiten versuchten Faschist:innen, Rohrbomben zu zünden und warfen Sprengstoff auf Demonstrant:innen. Wahllose Schläge auf Antifaschist:innen waren an der Tagesordnung. Während die Rechte Massenmord in Portland versuchte, beschuldigte das Weiße Haus „linke gewalttätigen Extremismus,“ auch nachdem ein Pro-Cop-Miliz Mitglied zwei Menschen in Kenosha kaltblütig ermordete.
Das war der Kontext, in dem Reinoehl am 29. August auf die Straße ging. Es gibt immer noch einige Unklarheit darüber, was in dieser Nacht passiert ist, aber hier ist, was wir wissen: Samstag, nach einer Kundgebung, reiste eine Trump Karawane durch die Innenstadt. Aaron Danielson war ein Mitglied der Karawane in dieser Nacht. Nachdem sie sich auflöste, wanderte er mit seinem Freund Chandler Pappas durch die Straßen der Innenstadt. Pappas ( der zu derzeit für den Angriff auf sechs Polizisten bei einer Anti-Masken-Kundgebung angeklagt ist) war ein Mitarbeiter von Patriot Prayer, eine rechte Gruppe die eng mit den Proud Boys verbündet ist, und dessen Führer den Monat zuvor seine Mitglieder:innen aufgerufen hat bewaffnet und kampfbereit zu den Portland-Kundgebungen zu kommen. (Nur zehn Tage zuvor wurde ein anderes Patriot Prayer-Mitglied verhaftet, nachdem er eine Waffe auf Gegendemonstrant:innen abgefeuert hatte.) Pappas hatte eine Paintball-Pistole und trug möglicherweise ein Messer bei sich. Beide Männer trugen Pfefferspray um die Hüfte geschnallt. Danielson hatte eine geladene Pistole und einen Polizeischlagstock.
Reinoehl und ein Genosse, der nicht öffentlich identifiziert wurde, waren auf der gleichen Portländer Straßen in dieser Nacht. In dem Interview, das Reinoehl der VICE gab, während er auf der Flucht war, sagt er, dass er dort zur „Sicherheit“ war, nachdem sich ein massiver Zustrom von MAGA-geschmückten Fahrzeugen und bewaffneten Faschist:innen in der Innenstadt nach der Kundgebung versammelt hatten.
Es existieren mehrere Videos von dem Moment als Danielson und Reinoehls Wege sich gekreuzt haben um etwa 20:45 uhr, und trotz der Offenheit ist es schwierig zu sagen, was genau die tödliche Konfrontation ausgelöst hat. Das von ProPublica erhaltene Video zeigt Danielson und andere Personen hinter Reinoehl. Reinoehl ist als nächstes in einem Parkhaus zu sehen, wo er sich er sich zu verstecken scheint. Danielson überquert die Straße in Richtung der Garage. Es wird geschrien – eine männliche Stimme schreit: „Hey, hey, wir haben hier welche. Wir haben ein paar genau hier.“ Jemand anderes schreit: „Er hat mich mit einem Messer bedroht, er hat es rausgezogen!“ Es gibt weitere Schreie, einen Gasausbruch und zwei Schüsse in schneller Folge. Wenn man das Video verlangsamt, wird deutlich, dass das Gas vor den Schüssen ausgelöst wird; Danielson stolpert und fällt zu Boden, während Reinoehl rennt. Reinoehl behauptete, er habe einen Freund davor bewahrt, mit einer Waffe bedroht oder erstochen zu werden. Pappas behauptete, dass das Pfefferspray von einer Kugel getroffen wurde, wodurch das Spray losging.
In gewisser Weise ist eine Schuldzuweisung sinnlos, beide Männer sind jetzt tot. Einige haben das ProPublica-Video so interpretiert, dass es zeigt, dass Danielson Reinoehl gestalkt hat, diese Fakten sind allerdings mit ihm ins Grab gegangen. Unabhängig davon, kurz darauf riefen MAGA Unterstützer:innen, die Rechte, und der Trump Staat; die gleichen Kräfte, die Kyle Rittenhouse als ein Symbol der anti-schwarzen Bürgerwehr hochhielten, nach Reinoehls Blut. Sie bekamen es.
Trump
Donald Trump war besessen und wütend von Danielsons Tod.
Um 6 Uhr morgens, nachdem Danielson getötet wurde, retweetete Trump ein Video von genau denselben Portland-Karawanen, die Paintballs auf Demonstrant:innen geschossen hatten, und erklärte, dass die „Gegenreaktion“ von seinen Anhänger:innen „nicht unerwartet sein kann.“ (Während Twitter Trumps Tweets entfernt, sie wurden aber archiviert und sind sie hier auffindbar). In der nächsten Stunde, retweeted Trump 11 Tweets über Danielson, einschließlich einer in dem er behauptete, Portlands Bürgermeister Ted Wheeler „Ermordet einen Patrioten, heute Abend, durch Antifa,“ und hätte „Blut an seinen Händen.“
Als der Morgen fortschritt, bewegte sich Trump von harschen Rhetorik zu direkten Drohungen. „Wir beobachten [Anarchisten] genau,“ versicherte er seinen Anhänger:innen, und, „Der einzige Weg, die Gewalt in den von Demokraten geführten Städten mit hoher Kriminalität zu stoppen, ist durch Stärke!“ Er warnte Wheeler, dass er „noch nichts gesehen hat“. Inzwischen, skizierte Trump Danielson als unschuldiges Opfer, ein Mitglied der „pro-Trump konservative“ Patriot Prayer, mit einem „blue lives Patch“ auf seiner Kleidung.
Liest man Trumps Tweetsturm vom 30. August heute der Reihe nach, zeigt sich ein Mann, der immer kühner und expliziter wird, was die Schritte angeht, die er unternehmen will. Unser ehemaliger Präsident hat eine Gabe dafür, bis zu einer Linie zu gehen, ohne sie zu überschreiten. „Stärke“ ist das Wort, das Trump verwendet, wenn er Gewalt sagen will, aber er weiß, dass er es nicht kann – ähnlich, wie er seinen Anhänger:innen sagte, die Hauptstadt zu stürmen.
Trump erweiterte in den folgenden Tagen seine Präferenz für den Umgang mit Portland. Am 31. August erklärte er, dass Bundesbehörden in die Stadt gehen würden, um „aufzuräumen“, und spezifizierte, dass die Bundesbehörden mit der lokalen Polizei zusammenarbeiten würden, um „linke politische Gewalt“ zu bekämpfen. Er retweetete Louis Gohmerts verschleierte Drohung: „Mach weiter so @TheJusticeDept. Wir haben einen langen Weg mit diesen sogenannten ‚friedlichen Demonstrant:innen‘ zu gehen.“ Auf einer Pressekonferenz an diesem Tag verkündete Trump, dass das Justizministerium und das Department of Homeland Security „ein gemeinsames Operationszentrum ankündigen würden, um die gewalttätigen linke Unruhen zu untersuchen.“
Dann wurde es still um Trump. Von 23:54 Uhr am 31. August bis zum späten Abend des 3. September tweetete Trump nur einmal über Portland, mit einer Wiederholung seiner üblichen „Kriminelle verstehen nur Stärke“-These am 2. September.
Michael Reinoehl wurde am 3. September 2020 um ca. 21:54 PM, Eastern Standard Time, getötet.
Um 23:54 Uhr tweetete Trump: „Warum verhaftet die Polizei von Portland nicht den kaltblütigen Mörder von Aaron „Jay“ Danielson. Machen Sie Ihren Job, und zwar schnell. Jeder weiß, wer dieser Schläger ist. Kein Wunder, dass Portland zur Hölle geht! @DieJustizbehörde @FBI“

Es gibt, um es offen zu sagen, keine Chance, dass Trump nicht bereits darüber informiert war, dass Reinoehl getötet worden war, als er diesen Tweet abschickte. Tatsächlich war die New York Times in der Lage, ihre erste Geschichte über die Hinrichtung zu veröffentlichen, bevor die Uhr Mitternacht schlug – die Reporter hatten es bereits herausgefunden. Dass Trump tagelang über Danielson geschwiegen hatte, bevor er diesen späten Tweet absetzte, unterstützt die Theorie, dass ihm bereits mitgeteilt worden war, dass Reinoehl tot war.
Und so stellt sich die Frage: Warum hatte Trump das Bedürfnis, auf Reinoehls „VERHAFTUNG“ (in Großbuchstaben) zu drängen, wenn er wusste, dass Reinoehl nie verhaftet werden würde, weil Reinoehl gerade von einer Gruppe von Bundesbeamten unter Trumps Kommando hingerichtet worden war? Hat Trump dies in einem Moment der Panik getwittert, als ihm dämmerte, dass sein Anschlag ausgeführt worden war und dass es Auswirkungen haben könnte? Hat er versucht, schlampig und schlecht, seine Spuren zu verwischen?
Feds
Wer waren die Vollstrecker:innen von Michael Reinoehl?
Die kugelsicher gekleideten Beamten, die an diesem Tag auf Reinoehl zurollten, waren alle Mitglieder:innen der Pacific Northwest Violent Offender Task Force (PNVOTF“), einer lokalen/staatlichen/föderalen Kooperation der Strafverfolgungsbehörden, die im US Marshals Service untergebracht ist und von diesem beaufsichtigt wird, der wiederum eine Bundesbehörde und Teil des Justizministeriums ist. Zusätzlich zu den Marshals und einer Schar von Stadtpolizist:innen und staatlichen Sheriffs umfasst die PNVOTF Vertreter:innen des Secret Service, der Border Patrol und des Bureau of Alcohol, Tobacco und Firearms.
Dies war nicht die erste Schießerei im Zusammenhang mit der PNVOTF. Es war nicht einmal die zweite. Im Jahr 2016 erschossen Mitglieder der PNVOTF Elias Mendoza, als er versuchte, vor ihnen zu fliehen. Mendoza wurde gesucht, weil er es versäumt hatte, sich bei seinem Bewährungshelfer zu melden. Im Dezember 2020, nur wenige Monate nach der Tötung von Reinoehl, erschoss die PNVOTF Jonathan Crowley, nachdem er sie angeblich „mit seinem Fahrzeug bedroht“ hatte. Auch Crowley wurde gesucht, weil er seine Bewährungsauflagen nicht erfüllt hatte.
Wir wissen also, dass die PNVOTF exzessive Gewalt gegen unbewaffnete Zivilist:innen anwendet. Das ist keine Überraschung – sie sind eine Strafverfolgungsorganisation. Interessanter sind die verschiedenen Verbindungen der Task Force zu extremen Trumpy Bürokrat:innen – die Art von leuten, die bereit sein würden, zu gehorchen, wenn der Präsident ihnen sagte, etwas zu tun. Zu der Zeit, als Reinoehl getötet wurde, war die PNVOTF ein ausgegliederte Einheit der MAGA.
Nehmen wir Rodney Scott, Trumps Chef der US Border Patrol, der Vertreter in der PNVOTF hat. Im Oktober 2020 brichtet „The Intercept“ dass Scott ein Mitglied einer berüchtigten Facebook-Gruppe für Grenzschutzbeamte war, die Witze über den Tod von Einwanderern und „ein Bild von Rep. Alexandria Ocasio-Cortez, die von Trump sexuelle belästigt wird“, enthielt. Als die Nachricht bekannt wurde, setzte sich Scott für sein Recht ein, rassistische Memes zu konsumieren. The Independent zitierte einen anderen Grenzschutzbeamten: „Rodney Scott war der einzige, der sich nicht von der Facebook-Seite entfernte. Seine Einstellung war: ‚Ich habe nichts falsch gemacht. Seine Einstellung war: ‚Wen kümmert’s?‘ Seine Einstellung war: ‚Weißt du was, das ist Redefreiheit.'“
Oder denken wir an James M. Murray, den Trump nach einer Säuberung der Reihen im Jahr 2019 als Chef des Secret Service einsetzte. Es war Murrays Secret Service, der friedliche Demonstrant:innen vor dem Weißen Haus eingaste und schlug, damit Trump zu einer Kirche gehen konnte. Murray kommentierte nie die Gewalt, die seine Offiziere den Demonstranten zufügten, und ignorierte eine Forderung darüber vor dem Haus auszusagen.
Natürlich gibt es ein enge Verbindung zwischen Trump und William Barr, Leiter des der PNVOTF. Er ist ehemaliger Generalstaatsanwalt und Leiter des Justizministeriums welches die PNVOTF beaufsichtigende Behörde, die US Marshals, beherbergt. Es scheint müßig, die Beispiele für Barrs Loyalität zu Trump aufzuzählen. Sie können das googeln. Interessanter ist, dass Barr bereits eine Bereitschaft gezeigt, Protokoll zu brechen um die Marshals zu verwenden, um gegen Black Lives Matter Demonstranten vor zu gehen.
Barr war besonders auf Portland fokussiert. In einer vorbereiteten Erklärung vor dem Kongress ging Barr ausführlich auf Portland „Randalierer und Anarchisten“ ein – andere Städte wurden nicht erwähnt. Und als oberster Chef der US Marshals hatte Barr eine Armee, die er auf diese Randalierer und Anarchisten ansetzen konnte.
Im Juni wurden den Marshals gesagt, sie würden jetzt helfen, die Gesetze vor denen zu schützen, die sie verunstalten würden, eine Aufgabe, die die Washington Post als „ungewöhnlich“ bezeichnet „da Marshals – die unter das Justizministerium fallen – typischerweise arbeiten verrichten wie z.b Sicherheit für Gerichtsgebäude, Transport von Gefangenen, Festnahme von Flüchtlingen und Zeugenschutz.“ Der Auftrag wurde den Marshals per E-Mail mit dem Titel „Attorney General Assignment“(Beauftragung des Generalanwalts) erteilt, was, wie die Post feststellte, „suggeriert[e] es kam von William P. Barr.“
Während die Demonstrationen in den ganzen Vereinigten Staaten wüteten, wurden die Marshals speziell in die Proteste in Portland verwickelt. Den ganzen Sommer über drangen die Marshals in die Stadt ein, und im Juli schoss ein Marshal einem Demonstranten mit einer unbekannten Munition ins Gesicht. Im August bestätigte der Marshal Service, dass er die Demonstranten in Portland aus der Luft überwachte. Im September begannen die Marshals damit, örtliche Polizisten zu delegieren und sie mit Bundesautorität auszustatten. Keine andere amerikanische Stadt sah auch nur annähernd dieses Ausmaß an Bundesbeteiligung.
Am 3. September ermordete eine von den US-Marshalls geleitete Task Force, die vom Justizministerium beaufsichtigt wurde und letztlich William Barr unterstellt war, den Mann, der tagelang Trumps einzige Obsession gewesen war.
Nach der Hinrichtung
Der vielleicht beste Beweis dafür, dass Donald Trump Michael Reinoehl hinrichten ließ, ist, dass er es zugab. Und das sogar mehrmals.
In der ersten Präsidentschaftsdebatte im September erwähnte Trump Reinoehls Tod, ohne gefragt zu werden. „Ich habe die US Marshals geschickt, sie haben sich um die Sache gekümmert“, prahlte er.
Anfang des Monats, war Trump noch deutlicher. Er erzählt dem faschistischen Kommentator Jeanine Pirro: „Zweieinhalb Tage gingen vorbei, und ich schrieb [auf Twitter], ‚Wann werden Sie ihn holen gehen?‘ Und die US-Marshals gingen rein, um ihn zu holen, und nach kurzer Zeit endete es in einer Schießerei. Dieser Typ war ein gewalttätiger Krimineller, und die US-Marshals haben ihn getötet. Und ich sage Ihnen etwas – so muss es sein. Es muss Vergeltung geben, wenn man ein Verbrechen wie dieses getan hat.“ (Wie wir wissen, schreibt Trump hier seine Twitter-Geschichte um – er hat diesen Aufruf erst getwittert, nachdem er wusste, dass Reinoehl getötet worden war.) Am 12. September sagte er einer Menschenmenge, dass die Marshals einen „großartigen Job“ gemacht hätten, und fügte augenzwinkernd hinzu: „Sie wissen, was ich meine.“
Trumps explizitestes Schuldeingeständnis kam am 15. Oktober, als er den Ereignissen um Reinoehls Tod etwas Kontext hinzufügte. „Sie wollten ihn nicht verhaften“, sagte er über die Marshals – ein Kommentar, der darauf hindeutet, dass Trump den Geisteszustand der Marshals kannte, bevor sie Reinoehl töteten. “ Nach 15 Minuten war es vorbei. Wir haben ihn.“ Die Menge jubelte.
Für seinen Teil krähte Barr auch über die Tötung Reinoehl. In seiner falschen Erzählung sagt er, dass Reinoehl Beamte bedroht hätte. Nennen Reinoehl ein „gefährlicher Flüchtigen, zugelasses Antifa-Mitglied, und mutmaßlicher Mörder“, der „versucht, der Verhaftung zu entkommen und eine Feuerwaffe dabei hat zum Schießen“ ( keines von den sachen ist tatsächlich passiert), Barr behauptet, dass mit Reinoehl zu „entfernen“ (seine Worte) war eine „bedeutende Leistung“, um die Straßen sicherer zu machen. Barr hat seit dem nicht mehr in der Öffentlichkeit über den Tod von Reinoehls gesprochen.
Die Marshals veröffentlichten auch eine oberflächliche Erklärung, die etwas weniger hitzig war als die von Barr und behauptete nur, dass „erste Berichte“ darauf hinwiesen, dass Reinoehl eine Schusswaffe bei sich trug. Für unsere Zwecke ist der bemerkenswerteste Aspekt dieser Erklärung, dass der US Marshals Service bestätigte, dass Deputy Marshals in der Tat während Reinoehls Tötung anwesend waren, obwohl ihre Namen nicht veröffentlicht wurden. Bis zum heutigen Tag kennen wir nicht die Identitäten der Personen, die die Auslöser betätigten, die die Kugeln abfeuerten, die Michael Reinoehl töteten.
Endstation
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinen laufenden Prozess oder ein Verfahren, das die zentralen Fragen hinter dem Mord an Michael Reinoehl beantworten könnte: War es ein von Donald Trump befohlener Mord? Hat die Regierung der Vereinigten Staaten einen US-Bürger auf amerikanischem Boden ermordet?
Gemäß dem Washingtoner Gesetz über polizeiliche Schießereien wird Reinoehls Tod von einer staatlichen Behörde untersucht, die nicht in den Vorfall involviert war, in diesem Fall das Thurston County Sheriff’s Office. Die einzigen Nachrichten, die bisher aus der Untersuchung herausgekommen sind entmutigend für jeden, der denken könnte, dass Transparenz hier das Ziel ist. C.J. Ciaramella, ein Reporter von Reason, hat bei allen Behörden, die in den Mord an Reinoehl verwickelt waren, Anträge auf Herausgabe von Filmmaterial oder Dokumenten zu der Schießerei gestellt. Alle Behörden weigerten sich, die Unterlagen herauszugeben, mit Ausnahme des Washington Department of Corrections, einem PNVOTF-Mitglied. Aber bevor das DOC irgendwelche Dokumente herausgeben konnte, erhob das Thurston County Sheriff’s Office Klage, um sie zu stoppen, und das Gericht gab dem Antrag vorläufig statt. Dieser Fall, und andere ähnliche Rechtsstreitigkeiten sind noch nicht abgeschlossen.
Aber diese Verfahren finden vor staatlichen Gerichten statt und richten sich gegen staatliche Behörden. Der Sheriff von Thurston County ist ein Staatsbeamter. Einfach ausgedrückt: Die Täter, die hier geschossen haben, waren Bundesbeamte. Selbst die wohlwollendste Interpretation von Reinoehls Tod verwickelt direkt die US-Marshalls, die das Einsatzkommando leiten, das Reinoehl getötet hat und die am Tatort anwesend waren. Staatliche Gerichte und staatliche Strafverfolgungsbehörden werden den Bundesakteuren, die den Mord an Reinoehl befohlen haben könnten, keine Dokumente abnehmen, geschweige denn Zeugenaussagen erzwingen.
In Wahrheit wird jeder Prozess, der eine Chance hat, die Wahrheit über Reinoehls Tod herauszufinden, notwendigerweise Aussagen von mindestens hochrangigen Mitgliedern der US-Marshalls unter Eid beinhalten und idealerweise sowohl William Barr als auch Donald Trump einschließen. Der Schlüssel ist die Feststellung der Kommunikationskette von oben nach unten. Mit wem hat Barr über Reinoehl gesprochen? Und wann? Auf wessen Befehl hat sich die Task Force an diesem Tag an Reinoehl gewandt? Ein bevollmächtigter Ermittler könnte von unten beginnen – die Leute, die den Hebel umgelegt haben – und sich methodisch nach oben vorarbeiten.
Leider gibt es keine Anzeichen dafür, dass dies geschehen wird. Joe Biden hat nie öffentlich über Reinoehl gesprochen. Im Oktober gaben zwei Mitglieder des Repräsentantenhauses eine Erklärung ab, in der sie eine Untersuchung des Mordes an Reinoehl forderten. Diese wurden aber offenbar ignoriert und sie hörten prompt auf, über das Thema zusprechen. Reinoehls Familie – er hatte zwei Kinder – könnte eine Bundesklage versuchen, aber bräuchten Starke beweise um müssten gegen Barr, Trump, und das Justizministerium ankämpfen.
Und das ist, wo wir die Hinrichtung von Michael Reinoehl verlassen: mit einer notorisch gewalttätigen Bundes Task Force, die teilweise aus MAGA Getreuen besteht. Mit einem Generalstaatsanwalt, der bereit ist, Bundespolizist:innen auf brutale Weise auf Anarchist:innen, Black Lives Matter-Demonstrant:innen und Antifaschist:innen zu hetzen. Und mit einem Präsidenten, der gedroht hat, ihn zu töten, und dann zugab, ihn getötet zu haben. Trump sagte bekanntlich einmal, dass er jemanden auf der Fifth Avenue erschießen könnte und keine Unterstützung verlieren würde. Zumindest hat er gezeigt, dass er jemanden in Lacey töten kann und nie mit Konsequenzen rechnen muss.
photo: Tito Texidor III via Unsplash