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Interview über die Situation der anarchistischen Genoss:innen Mónica Caballero und Francisco Solar

In Fortsetzung der Veröffentlichungen in andauernder Solidarität mit Mónica und Francisco führte Facção Fictícia [eine brasilianische anarchistische Website] ein Interview mit Angehörigen und Freund:innen von subversiven Gefangenen und Anarchist:innen aus dem Gebiet Chiles. Das Interview informiert nicht nur über den Stand des Prozesses, sondern spricht auch über die Bedeutung der aktiven Solidarität mit den Gefangenen und über die aktuellen Kämpfe auf dem vom chilenischen Staat beherrschten Gebiet.

Ursprünglich veröffentlicht von Contra Info. Deutsche Übersetzung Bratislav Metulski.

In den letzten Jahren wurden Mónica und Francisco sowohl auf dem vom chilenischen Staat beherrschten Territorium im Jahr 2010 ( im sogenannten “ Bombas Case“) sowie einige Jahre später in Spanien angeklagt und inhaftiert. Wir möchten euch bitten, ein wenig über diese Geschichte der Verfolgung und die Auswirkungen auf diese Räume und den Kampf im Allgemeinen zu erzählen.

Um dies in einen Kontext zu stellen und eine kurze Übersicht über die repressiven Fälle zu geben, in welche die beiden Genoss:innen verwickelt waren, ist es erforderlich, im Jahr 2010 zu beginnen. Der Staat versuchte, den von unterschiedlichen anarchistischen und antikapitalistischen Gruppen verübten Sprengstoffanschlägen ein Ende zu bereiten, und begann einen Angriff gegen verschiedene anarchistische Genoss:innen, indem er sie beschuldigte, Teil einer „illegalen terroristischen Vereinigung“ zu sein, wobei er erschiedene antiautoritäre Ausdrucksformen traf. Nach langen MonatenimGefängnis, einem augedehnten Hungerstreik und vielen Mobilisierungen gelang es den Genoss:innen, auf die Straßen zurückzukehren und sich einem langwierigen Prozess zu stellen in welchem sie letztendlich freigesprochen wurden.

Kurz darauf gingen Mónica und Francisco nach Spanien, wo sie 2013 wegen des Sprengstoffanschlags auf die Basilika von El Pilar verhaftet wurden. Die Zusammenarbeit zwischen den Staaten war von Anfang an offensichtlich und ging so weit, dass im Zuge der Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Anschlag sowie vor der Verhaftung diverse Polizeiberichte und Geheimdienstmitarbeiter von einer Seite zur anderen weitergereicht wurden, um Empfehlungen für die Durchführung der Ermittlungen zu unterbreiten sowie Verdachtsmomente rund um die Genossinnen zu bestätigen.

Nach einem Schnellverfahren wurden beide zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Verringerung der Strafe auf 4,5 Jahre gelang es ihnen 2017, begleitetet von einem monatelangen Medienrummel sowie diversen Polizeischikanen, nach Chile abgeschoben zu werden.

Am 24. Juli 2020, dem Tag, an dem sie vom chilenischen Staat entführt wurden, wurde gegen Mónica und Francisco eine Untersuchungshaft von 6 Monaten angeordnet. Kürzlich, nach Ablauf dieser Zeit, wurde eine neue Frist festgelegt und die Inhaftierung verlängert, ohne dass ein Urteil ergangen wäre. Wie sieht der aktuelle Stand des Verfahrens aus? Gibt es inzwischen einen voraussichtlichen Termin für die Verhandlung?

Die prozessuale Situation stellt sich wie folgt dar: Francisco wird beschuldigt, zwei Sprengstoffpakete an das 54. Polizeirevier und an den ehemaligen Innenminister Rodrigo Hinzpetter (ein Gehilfe bei der brutalen Repression während seiner Amtszeit) geschickt zu haben; der Sprengsatz an die Polizei konnte explodieren, während der an den ehemaligen Minister gesendete durch Zufall nicht geöffnet und erst nach dem ersten Ausbruch entdeckt wurde; Monica und Francisco werden für einen zweifachen Sprengstoffanschlag auf ein Immobilienbüro in einem reichen Viertel im Zuge der Revolte verantwortlich gemacht.

Beide sind unter dem Waffengesetz formalisiert, zusätzlich zu verschiedenen Fällen von versuchter Tötung. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung gab ihnen das Gericht eine Ermittlungsfrist von 6 Monaten, welche im Februar 2021 verlängert wurde. Diese Ermittlungsfrist kann bis auf zwei Jahre verlängert werden, ehe es zum Prozess kommt.

Wir denken, dass die Staatsanwaltschaft, sofern sie wollte, bereits vor Gericht gehen könnte, aber es scheint auch, als würde diese Verzögerung mit der Teilnahme des Teams von Staatsanwälten an anderen Prozessen zusammenhängen oder aber auch mit der eingehenden Durchsicht der Gerichtsakte, um Fehler wie im „Bombas Case“ zu vermeiden.

Unter der Begründung der Bekämpfung von Covid-19 wurden sowohl Mónica als auch Francisco und mit ihnen viele andere Inhaftierte daran gehindert, Besuche zu empfangen, was sie in eine noch striktere Isolation innerhalb des Gefängnisses versetzte. Wie ist die Situation jetzt? Haben bereits wieder Besuche stattgefunden? Wie geht es Mónica und Francisco im Moment?

Die Situation ist immer noch eingeschränkt, grundsätzlich auf einen Besuch einer einzelnen Person, 2 Stunden, alle drei Wochen. Jedes Gefängnis und jedes Regime hat seine Eigenheiten; im Fall von Mónica muss sie in dieser Woche wählen, ob sie einen Besuch haben möchte oder ob sie eine Zuordnung wünscht (Lebensmittel, die aus Solidarität ins Gefängnis gebracht werden), während in Franciscos Fall durch die Beschränkungen erzwungen wird, dass ihn nur seine Blutsverwandtschaft besuchen kann. Mit den “ Verwandten und Freunden von subversiven Gefangenen und Anarchist:innen“ haben wir durch die Verbreitung von Informationen und dem Kampf für die Rückkehr zu Besuchen auf verschiedene Weise teilgenommen.

Tatsächlich geht es beiden soweit gut, sie leben in unterschiedlichen Realitäten des Gefängnisses. Francisco ist seinerseits unter strenger Isolation, einen Großteil des Tages eingesperrt, mit wenig bis gar keinem Sonnenlicht, während Mónica ihrerseits in der öffentlichen Konnotationsabteilung sitzt, isoliert vom Rest der Gefängnisbevölkerung, wo sie mit Gefangenen zusammenleben muss, welche vom Rest getrennt sind, weil ihnen Verbrechen vorgeworfen werden, welche als nicht tolerierbar gelten und von den übrigen Gefangenen gerächt werden könnten.

Trotz der unterschiedlichen Realitäten sind beide guter Dinge; sie haben Zugang zum Gendarmerie-Telefon, so können sie mit ihren Freund:innen und Genoss:innen kommunizieren und erkundigen sich stets nach den Bedingungen draußen sowie nach den anderen Genoss:innen im Gefängnis.

Das vom chilenischen Staat beherrschte Gebiet ist sehr erschütterungsreich und hat eine bewegte Geschichte von Aufständen und anarchischen Kämpfen. Am meisten wissen wir über die Intensivierung des Mapuche-Aufstandes während der letzten Jahre, vor allem im Zusammenhang mit den territorialen Rückeroberungen, und über den Aufstand vom 18. Oktober 2019. Wir haben Informationen über mehrere Mapuche-Gefangene und Morde (wie der jüngste Fall der Genoss:in Emília BAU, umgebracht von Auftragskillern aus einer privaten Wohnanlage in Panguipulli), sowie über mehr als 2.000 Verhaftete, viele Verletzte und solche, die von der Polizei getötet wurden. Es scheint uns sehr offensichtlich, dass die Inhaftierung jener an den Kämpfen beteiligten Personen ein Coup des Staates ist, um zu versuchen, die aufständische Flamme, welche auf den Straßen brennt, auszulöschen. Wir würden euch bitten, ein wenig über die aktuelle Situation der Kämpfe da draußen zu berichten und darüber, wie ihr diese Reaktion der Repressionskräfte analysiert.

Das repressive Panorama ist so weit gefasst wie auch der Kampf. Zweifellos markiert die Revolte in Chile seit dem 18. Oktober einerseits ein Vorher und Nachher, andererseits aber auch eine Kontinuität und Verschärfung. Es ist unbestreitbar, dass viele Menschen im Zusammenhang mit diesem Kampf im Gefängnis sind; im Dezember 2019 gab es 2.500 Gefangene der Revolte, eine Zahl, die dann schrittweise abnahm. Dabei handelt es sich eher um eine breite und vielfältige Realität, als um eine homogene Gruppe mit klaren Positionen.

Im Hinblick auf die Gefangenen des Aufstandes sowie die infolge der Repression in diesem Zusammenhang Getöteten und Verstümmelten ist es notwendig, darauf hinzuweisen, dass es sich nicht bei allen von ihnen um revolutionäre Genoss:innen handelt, sondern vielmehr um Individuen, welche sich aus den unterschiedlichsten Gründen gegen die herrschende Ordnung erhoben haben.

Es ist eine breite und vielfältige Realität, die aus vielerlei politischen Positionen besteht, von den unversöhnlichsten anarchischen bis hin zu bürgerlichen Positionen sowie Menschen, die bestrebt sind, sich in das System zu integrieren, über viele Leute, die einfach müde waren und spontan und mit großer Wut protestierten. Es ist wichtig, diese Vielfalt zu berücksichtigen, um nicht in eine Romantik zu verfallen, Situationen zu idealisieren oder Dynamiken zu forcieren, die gar keine sind. Gerade in Anbetracht dieser Realität erheben sich verschiedene Initiativen in Solidarität mit den Gefangenen des Aufstandes, aber ebenso in Gedenken und Rache für die Toten und Verstümmelten sowie gegen den Staat.

Trotz der ständigen Verfolgung durch den Staat blieben Monica und Francisco kämpferisch und erhobenen Hauptes, insbesondere im Gefängnis. Sie haben sogar eine Erklärung geschrieben, welche die Notwendigkeit der Harmonie zwischen den Kämpfen innerhalb und außerhalb der Gefängnisse anspricht. Schaffen sie es, Kontakt zu den übrigen subversiven Menschen zu haben, die ebenfalls im Gefängnis sitzen? Und mit denjenigen die draußen sind? Ist zum Beispiel der Zugang zu Büchern und Briefen erlaubt?

Monica und Francisco sind seit Jahren Teil des Umfelds der Genoss:innen im Gefängnis; beide waren häufig zu Besuch bei inhaftierten subversiven Genoss:innen. Diese Beziehung besteht also ungebrochen fort, sie hat lediglich ihre Form und Modalität geändert. Trotz der Tatsache, dass Francisco in der gleichen Strafeinheit untergebracht ist, hat er nur wenig direkten Kontakt mit den Gefangenen der Maximalen Sicherheitsstufe und fast keinen direkten Kontakt (von Angesicht zu Angesicht) mit den Gefangenen in der hohen Sicherheitsstufe, allerdings werden die bestehenden Netzwerke und Verbindungen durch eine fließende Kommunikation zwischen allen Genoss:innen vertieft.

Nur ein Beispiel dafür stellt die gemeinsame Schrift verschiedener Genoss:innen dar „Before the revolt, the plebiscite and the judicial situation: Communiqué of the prisoners of the social war for the destruction of prison society.“

Wie bewertet ihr die Bedeutung der Solidarität, welche sowohl die Gefängnismauern als auch die Grenzen zwischen den Staaten überwindet?

Dies ist ein notwendiges und interessantes Dilemma, eine Herausforderung an den anarchistischen Kampf. Im Fall der Genoss:innen wurden wir schon 2010 anlässlich des „Bombas Case“ mit der Frage der internationalistischen Solidarität konfrontiert, wobei hier auf informelle Art und Weise wunderbare Netzwerke in Verbindung mit den Inhaftierten geschmiedet wurden, und auf der anderen Seite, wurde diese Frage an uns gerichtet, als sie in Spanien verhaftet wurden, was unsere Fähigkeit angeht, uns zu artikulieren und dabei Grenzen zu überschreiten. Heute, während die Genoss:innen hier inhaftiert sind, gibt es täglich viele Angelegenheiten, welche dringend geklärt werden müssen, da immer wieder rechtliche und finanzielle Hilfe benötigt wird.

Aber auch dies ist nur ein Aspekt der Solidarität; es gibt auf der anderen Seite die Verbreitung und die Agitation in dieser Sache und vielleicht noch wichtiger und nachhaltiger sind die öffentlichen Debatten rund um die Positionen der Genoss:innen. Bringen wir sie auf die Straße, lassen wir sie aus ihrem Zustand der Inhaftierung heraus sprechen und zum Kampf beitragen.

Hinzu kommt die Befürchtung, dass die Solidarität mit beiden von Resignation befallen wird und es sich nicht lohnt zu kämpfen, sondern dass nur noch die Notwendigkeit bestünde, sich mit einer möglichen Verurteilung abzufinden und dann für die Kosten des Lebens der Genoss:innen im Gefängnis aufkommen zu müssen. Dieses Szenario wäre wirklich das Schlimmste.

Abschließend: Wie können Menschen aus der Solidarität heraus die Kampagne für die Freiheit von Monica und Francisco unterstützen? Gibt es einen Kanal, über den Informationen und Kommunikation begleitet werden können?

Wir stellen Texte und Informationen auf die verschiedenen Gegeninformations-Seiten, wir versuchen, uns sehr präzise auszudrücken und laden regelmäßig Updates sowie relevante Informationen hoch. Wir bewegen uns abseits jener Positionen, welche darauf abzielen, möglichst nicht aufzufallen oder das Profil der jeweiligen Verfahren zu senken. Die Genoss:innen sind für die Aktionen des Kampfes inhaftiert, die Genoss:innen sind seit Jahren Teil dieses Kampfes und dieser entspricht einem Dialog mit allen von uns, welche sich hier auf dieser Seite der Barrikade befinden, sowie einer Information über sie.

Die Art und Weise, wie sie unterstützt werden können, liegt in den kreativen Fähigkeiten jedes Einzelnen, von der Verbreitung über die Agitation bis hin zum Sammeln von wirtschaftlichen Mitteln, sowie der direkten Kommunikation mit ihnen in Form von Briefen, der Einbeziehung in Projekte oder ganz einfach durch eine eigene Solidaritätsinitiative.


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