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Die Polizei tötet, in Morges wie anderswo [Schweiz]

Morges. Schweiz. Ich schreibe diesen Text zwei Tage nachdem die Polizei einen Menschen auf einem Bahnsteig in Morges erschossen hat. Ich schreibe ihn, um eine kritische Position gegenüber der polizeiliche Institution und dem vorherrschenden Diskurs einzunehmen. Um dieser Position mehr Resonanz zu verleihen, teile diesen Artikel weiter.

Ursprünglich veröffentlicht von Barrikade Info.

Am Montag, den 30. August, gegen 18 Uhr, schoss ein Polizist dreimal auf einen 37-jährigen Mann. Mehreren Medienberichten zufolge riefen Pendler*innen, die „über das aufgeregte Verhalten des Mannes besorgt waren„, die Polizei und besiegelten damit sein Todesurteil.

Leider ist dies ein immer wiederkehrendes Szenario des Todes durch die Polizei. Eine Person kann ihre Emotionen nicht gut kontrollieren, ist gestört, aufgewühlt, bedrohlich (alles Begriffe, die von den Medien verwendet wurden, um den Mann zu beschreiben, der in Morges starb). Die Zeugen*innen riefen die Polizei. „Zwei Polizeistreifen begaben sich an den Ort des Geschehens, um mit der Person in Kontakt zu treten und sie in Obhut zu nehmen„, heißt es in der erste Presseerklärung der Polizei. In Obhut zu nehmen also? Aber wenn die Polizei sich der aufgeregten Person nähert, wird sie noch aufgeregter. Und was kann man anders erwarten, wenn, wie in diesem Fall, eine emotional instabile Person plötzlich vier uniformierten Polizeibeamten gegenübersteht? Ist die Polizei für ihr Wohlwollen bekannt? Nein. Wegen ihres psychologischen Fingerspitzengefühls und ihrer Fähigkeit, zu vermitteln und Spannungen abzubauen? Nein, ganz und gar nicht. Darüber hinaus ist die Polizei dafür bekannt, dass sie bewaffnet und bedrohlich ist. Es gibt unzählige Geschichten, in denen die Polizei durch ihre bloße Anwesenheit die Spannungen und die Gewalt in einer bereits bestehenden Konfliktsituation verstärkt hat.

Was kann man von einer emotional und psychisch instabilen Person [1] anderes erwarten als eine aggressive Reaktion auf die Konfrontation mit vier Polizeibeamten? Nichts, und die Geschichte der von der Polizei verursachten Todesfälle in der Schweiz und in der Welt bestätigt dies leider stark. Die Polizei schießt und tötet, wenn sie mit einer Bedrohung durch eine instabile Person konfrontiert wird. In der Polizeisprache bedeutet dies „ein Mensch in Obhut zu nehmen„. Ein mensch der emotionnel unstabil ist und sich in der Augen der Cops bedrohlich verhält, aus welchen Gründen auch immer [2], und vor der Polizei landet, hat sich also den Tod verdient.

Zwei Schüsse, die Person steht auf und taumelt, stark verletzt, weiterhin auf die Polizei zu. Die Bedrohung ist für die vier anwesenden Polizeibeamten jedoch immer noch so groß, dass sie ein dritten Schuss abgeben, der den Mann zu Boden bringt, zwar noch Lebend. Wenige Augenblicke später stirbt er jedoch. In ihrer zweiter Pressemitteilung gab die Polizei an, dass der Mann mit einem Messer bewaffnet war, als er sich auf die Beamten stürzte. Zwei Zeitungen zitierten aber Zeugen*innen, die ihn mit einem Stein in der Hand gesehen haben wollen. Lüge oder Warheit also? Bei einer Lüge, wäre dies nicht die erste Lüge der Polizei in diesem Fall. In ihrer erster Pressemitteilung behauptete die Polizei, dem Verletzten sofortige erste Hilfe geleistet zu haben. Nachdem Zeugen*innen jedoch ein Video veröffentlicht hatten, das beweist, dass die sterbende Person erst nach fünf Minuten ohne Hilfe eine Herzmassage erhielt und dass diese nicht von der Polizei, sondern von einem Krankenpfleger durchgeführt wurde, die die Szene beobachtet hat und eingegriffen ist. Die zweite polizeiliche Pressemitteilung korrigiert diese Lüge dann, geht aber nicht näher darauf ein.

Aber ob dieser Mann nun tatsächlich ein Messer oder einen Stein in der Hand hatte, spielt letztlich keine Rolle, in jedem Fall wäre er nicht gestorben, wenn die Polizei nicht eingegriffen hätte.

Eine ähnliche Situation wie die von Hervé Mandundu, der 2016 in Bex von einem Polizisten ermordet wurde. Die Polizei, die von Nachbarn gerufen wurde, die sich Sorgen um Hervé machten, kam zum Tatort und tötete ihn mit drei Kugeln. Der Grund: aggressives Verhalten und Drohungen mit einem … Brotmesser.

Eine ähnliche Situation wie die des 36-jährigen Mannes, der 2019 aus einer psychiatrischen Anstalt ausbrach und von der Polizei auf der Straße in Bern entdeckt wurde, weil er ein aufgeregtes Verhalten hatte. Die Polizei hielt ihn an, die Polizisten fühlten sich bedroht und schossen mehrmals auf den Mann. Auch hier wird in der Erklärung der Polizei von einer sofortigen Behandlung durch die Polizei nach den Schüssen gesprochen, die das Opfer nicht retten kann.

Ähnliche Situationen sind leider sehr häufig und haben eine gewisse Logik. Die Polizei ist eine repressive Institution. In Situationen, in denen Menschen unter emotionalen Störungen leiden, die Einfühlungsvermögen, Geduld und psychologische Vermittlungsfähigkeiten erfordern, reagiert die Polizei mit dem, wofür sie bekannt ist: Gewalt.

Heuchelei und Zynismus als Schlussworte

Ein Polizeibeamter äußerte sich in der Lokalzeitung zu dem Todesfall vom Montag wie folgt:
Die Einsatzkräfte handelten so weit wie möglich nach ihrem professionellen Gewissen, je nach der Situation, mit der sie konfrontiert waren. Eine Situation, die kein Polizist erleben möchte, selbst wenn er oder sie eine Waffe trägt.“ Dies ist eine heuchlerische und zynische Art und Weise, die Polizei als Opfer darzustellen, anstelle der Person, die getötet wurde, weil sie zu viele Emotionen im öffentlichen Raum gezeigt hat. Hätten sie diese Situation nicht erleben wollen, wären sie Sozialpädagog*innen, Ersthelfer*innen oder Therapeut*innen geworden.

Hier wie anderswo ist die Polizei ein Problem und eine Gefahr für den Rest der Bevölkerung, keine Lösung.

Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der getöteten Person. Unsere Wut gilt allen Polizeibeamt*innen, weltweit.

P.S.

Am Dienstagabend stellte die Zeitung „Le courrier“ in einem Artikel fest, dass es sich bei der getöteten Person um eine People of color Person handelte. Diese Information, die mir nicht vorlag, als ich diesen Artikel schrieb, erlaubt es uns, diese Tragödie unter einem zusätzlichen Prisma zu betrachten: der Rassismus, der sich darin zeigt, dass Polizist*innen noch leichter töten, wenn ihr Opfer nicht weiss ist.
Erinnern Wir uns uns an Hervé Bondembe Mandundu, Mike Ben Peter und Lamin Fatty.

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Dieser Artikel wurde zuerst auf französisch auf Renverse.co publiziert.

Ein weiteren Artikel analysiert kritisch wie die Medien auf diesen Fall reagiert haben.

Ausserdem wurde für den 3. September zu einer Demo aufgerufen gegen Polizeigewalt in Morges

Fußnoten

[1] In der zweiten Pressemitteilungder Polizei heißt es, dass der Mann „unter psychischen Problemen leidet“. Ob das stimmt oder nicht, ist nicht wichtig, sicher ist, dass die Polizei es mit einer Person zu tun hat, die Schwierigkeiten hat, ihren emotionalen Zustand zu kontrollieren.

[2] In keinem der bisher zu diesem Fall veröffentlichten Presseartikel wurde die Ursache für die Erregung dieses Mannes in Frage gestellt, ebenso wenig wie die Polizeibeamten, die seine Erregung ohne jegliche Informationen über seinen Lebenskontext als bedrohlich einstuften und ihn töteten


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