
Akten für Alle! Unter diesem Slogan veröffentlichen Mitstreiter:innen aus Deutschland immer wieder Erkenntnisse aus Verfahren, um sichtbar zu machen, wie Ermittlungen funktionieren, wie wir uns vor ihnen schützen können und um gleichzeitig Aufmerksamkeit für das Thema zu wecken. Dies ist auch das Ziel dieses Beitrages. Er möchte einerseits anhand von Akten der Öffentlichkeit bisher unbekannte, jedoch wichtige Informationen zu den Ermittlungen im Zusammenhang mit den Aktionen gegen die Gewalt in den Bundesasyllagern zugänglich machen und andererseits auch eine Gegenstimme zu der medialen Darstellung der Geschehnisse vetreten.
Ursprünglich veröffentlicht von Barrikade Info.
Zur Vorgeschichte: In den Jahren 2020 und 2021 sind verschiedene Geschichten von Geflüchteten veröffentlicht worden, die von Gewaltakten seitens des Securitas-Personals im Bundesasyllager Basel berichten. Für das Sicherheitspersonal hatten die Vorfälle bis dato nur wenig Konsequenzen, die von der Gewalt Betroffenen wurden jedoch mit Repression überzogen. Solidarische Menschen von ausserhalb unterstützten die Betroffenen und halfen dabei, ihre Geschichten bekannter zu machen (siehe bspw. https://3rgg.ch/securitas-gewalt-im-lager-basel/). Begleitet wurde die Kampagne immer auch von direkten Aktionen gegen die involvierten Firmen (eine unvollständge Übersicht findet sich unter https://barrikade.info/search;term=securitas). Dies spitzte sich Anfang 2021 zu, als drei lokale Verantwortliche von SEM (Staatssekretiariat für Migration), ORS (Betreiberin von Asyllagern) und Securitas vermehrt in den öffentlichen Fokus gerieten. Hauptsächlich davon betroffen war die vom SEM angestellte Edna Baumgartner, SP-Mitglied und Leiterin des Bundesasyllagers in Basel. Die Ermittlungen zu ihrem Schutz liefen unter dem Namen «Operation MOLESTIA» und wurden von der Bundeskriminalpolizei im Namen der Bundesanwaltschaft geführt.
Worum geht es?
Nachdem in Dornach SO, dem Wohnort von Edna Baumgartner, verschiedene Plakate mit «ehrverletzendem Inhalt» auftauchten und sie während einem Mail- und Telefon-Aktionstag Mitte März 2021 viele Mails und vereinzelte Anrufe erhielt, eröffnet die Bundesanwaltschaft auf Drängen des SEM ein Verfahren wegen Nötigung und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Die Bundeskriminalpolizei (BKP), Abteilung Staatsschutz und kriminelle Organisationen, übernimmt die Leitung der Emittlungen. Im April 2021 wird das Verfahren auf Sachbeschädigung und Tierquälerei ausgedehnt, weil es angeblich Manipulationen an Fahrzeugen gegeben habe und die Katze von Baumgartner verletzt aufgefunden wurde. Dazu später mehr.
Warum wurde nicht eine kantonale Staatsanwaltschaft eingesetzt?
Da es sich bei der SEM-Mitarbeiterin Edna Baumgartner um eine Angestellte des Bundes handelt, ist Bundesgerichtsbarkeit gegeben. Grundsätzlich wäre aber auch eine kantonale Gerichtsbarkeit möglich gewesen, wie die Bundesanwaltschaft selbst schreibt. Mario Gattiker, Chef des Staatssekretariats für Migration, hat die Anzeige allerdings höchstpersönlich und bewusst direkt bei der Bundesanwaltschaft eingereicht, um auf höchster Ebene Druck zu machen.
Welche Strafverfolgungsbehörden sind u.a. involviert?
• Bundesanwaltschaft
• Bundeskriminalpolizei, Abteilung Staatsschutz, Kriminelle Organisationen (SK1)
• Bundeskriminalpolizei, Abteilung IT-Forensik/Cybercrime, Kommissariat Fernmeldeüberachung / IT-Überwachung (IFC3) und Kommissariat Cyberkriminalität (IFC4)
Die Ermittlungen im Detail
Die Bundesanwaltschaft bzw. die Bundeskriminalpolizei (BKP) ermittelte wegen Nötigung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Sachbeschädigung und Tierquälerei. Bevor die Ermittlungen jedoch auf Bundesebene zusammengeführt wurden, sind bei der Stawa BS bzw. SO zusätzlich Ermittlungen wegen «übler Nachrede», «(eventuell) strafbaren Vorbereitungshandlungen», «Gefährdung des Lebens (Versuch)», «Hausfriedensbruch», «geringfügiger Diebstahl» angestrebt worden. Diese basieren auf den Anzeigen, die Edna Baumgartner privat getätigt hat. Es ist dabei wohl kein Zufall, dass es die als besonders repressiv geltende Stawa BS war, welche die schwereren Straftatbestände ins Spiel bringen wollte. Die Bundesanwaltschaft hat diese aber nicht weiter verfolgt.
1. Nötigung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte
Das SEM hat beim Erstatten der Anzeige ein halbes Dutzend an Punkten aufgeführt, die insbesondere den Straftatbestand der Gewalt und Drohung gegen Edna Baumgartner legitimieren sollen. Ermittlungsansätze waren allerdings keine erfolgsversprechenden vorhanden, also konzentrierte sich die BKP in der Folge auf insbesondere zwei Aspekte:
• die Identitätsfeststellung derjenigen, die am E-Mail- und Telefon-Aktionstag teilgenommen haben sollen sowie
• die kriminaltechnische Untersuchung von zwei Plakaten, auf denen Edna Baumgartner und andere Verantwortliche mit persönlichen Informationen abgebildet waren
In Bezug auf die E-Mails und Telefonanrufe wurden einerseits Informationen über die Besitzer:innen von Telefonnummern bei den entsprechenden Mobilfunk-Anbieter:innen eingeholt. Andererseits wurden Provider wie Protonmail mittels sogenannten Editionsverfügungen zur Herausgabe von Informationen gezwungen. Das beinhaltete insbesondere Zeitstempel der Account-Erstellung bzw. des letzten Zugriffs, IP-Adresse (die Rückschlüsse auf den Internetanschluss zulassen), Recovery-Informationen (im Sinne hinterlegter E-Mail-Adressen oder Telefonnummern), Android Device Tokens (die Rückschlüsse auf das verwendete Smartphone geben) etc. Bei herkömmlichen Providern wie Google (Gmail) brauchte es scheinbar nicht einmal eine Editionsverfügung, um an solche Daten zu kommen. Im Gegensatz dazu hat die BKP davon abgesehen, Informationen bei anderen ausländischen Providern wie Yahoo einzufordern, weil es dafür ein internationales Rechtshilfegesuch gebraucht hätte. Wieso Google – als ebenfalls ausländischer Dienst – davon ausgenommen ist, bleibt unklar.
Erfreulich in diesem Zusammenhang ist, dass sich zahlreiche E-Mail-Adressen laut BPK nicht identifizieren liessen, weil «anonymisierende Massnahmen, wie zum Beispiel der Einsatz des TOR-Browsers etc., eingesetzt wurden».
Die identifizierten Telefonnummern, E-Mail-Adressen und/oder Internetanschlüsse führten für neun Personen zu Vorladungen bei der BKP als Auskunftspersonen.
Zu den beiden Plakaten: Diese wurden der BKP von Edna Baumgartner persönlich übergeben und kriminaltechnisch auf Fingerabdrücke, DNA und Herkunft untersucht. Am Klebeband, mit dem die Plakate befestigt waren, wurden Fingerabdrücke gefunden, die einen Hit in der polizeilichen Datenbank ergab. Dies führte zur Vorladung einer zehnten Auskunftsperson bei der BKP. Auf beiden Plakaten wurden auch Haare sichergestellt und ausgewertet, die jedoch zu keinen Treffern in der DNA-Datenbank führten.
Desweiteren wurden die Plakate IT-forensisch untersucht und es wurde festgehalten, dass diese mittels Farblaserdrucker mit Identifikationscode gedruckt wurden. Bei diesem Code handelt es sich um Markierungen, die automatisch mitgedruckt werden und von blossem Auge kaum sichtbar sind. Sie können Rückschlüsse auf den verwendeten Drucker zulassen.
Und warum der ganze Aufwand? Der Grund für die Vorladungen waren letztlich nicht die E-Mails und Anrufe, sondern die Beschädigung des Autos sowie die Verletzung der Katze, um die es nachfolgend gehen wird. Die BKP hatte wohl gehofft, dass es eine Verbindung zwischen den angeblichen Teilnehmenden des Aktionstags, einer Person, deren Fingerabdrücke an einem Stück Tape war, und den ‹Angriffen› gegen Baumgartner geben könnte. Bei der Lektüre der Ermittlungsakte wirkt das aber alles ziemlich konstruiert und willkürlich.
2. Sachbeschädigung und Tierquälerei
Laut den Aussagen von Edna Baumgartner sei sie Ende April 2021 um ca. 21.30 Uhr von der Arbeit nach Hause gekommen und habe dabei zwei Personen beobachtet, die sich am Smart ihres Mannes (übrigens ein Polizist!) zu schaffen machten. Bei ihrem Anblick hätten die zwei Personen auf Fahrrädern die Flucht ergriffen. In der Folge seien von der Kapo SO mehrere Beschädigungen festgestellt worden – an einem Bremsschlauch, einem ABS-Sensor-Kabel sowie am Kabelzug für die Handbremse. Bemerkenswert ist, dass keine der Beschädigungen weiter als die Schutzhülle reichte: Keiner der Kabeldrähte an sich war tatsächlich an- oder durchgeschnitten. In manchen Schnitten wurden sogar Schmutzablagerungen oder Rost festgestellt, was eher darauf hindeutet, dass die meisten Beschädigungen schon älter waren, aber erst jetzt entdeckt wurden. Soweit so unklar. Auch ob und inwiefern die Schäden tatsächlich einen Einfluss auf die Fahrzeugsicherheit gehabt hätten, lässt sich nicht beurteilen: Ein solcher Test hätte von der BKP bei einer spezialisierten Stelle in Auftrag gegeben werden müssen, wie den Akten zu entnehmen ist – hat sie aber nicht. Die BKP beschränkt sich in ihren Ermittlungen ja auch darauf, wegen Sachbeschädigung zu ermitteln und nicht – wie von Baumgartner (und der Stawa BS) ursprünglich angezeigt – wegen einer versuchten Gefährdung des Lebens.
Das SEM hatte sich das wohl alles ganz anders vorgestellt. So kam es der Behörde gerade recht, dass ungefähr zur gleichen Zeit eine andere Basler Asyllager-Mitarbeiterin Probleme mit ihrem Privatauto hatte: Eine Schraube, die sich – laut Garagist – normalerweise nicht löse, war lose, und so verlor das Auto überdurchschnittlich viel Bremsflüssigkeit. Die SEM-Mitarbeiterin, welche als Fachbereichsleiterin Disposition unter anderem abgewiesenen Asylsuchenden den «Ausreisetermin» nennt, meldete den Vorfall ihren Vorgesetzten, weil sie von der Geschichte mit Baumgartner gehört hatte und siehe da: Ohne weitere Anhaltspunkte wird vom SEM schon der nächste, angeblich lebensgefährliche Angriff konstruiert.
Doch damit noch nicht genug: In den Akten findet sich auch der Bericht der Tierklinik VetTrust, welche die verletzte Katze von Baumgartner behandelte. Keine Frage, die Katze wies Verletzungen auf und musste operiert werden. Ob es sich jedoch um «Fremdeinwirkung» handelt (inwiefern soll eine solche Aktion emanzipatorisch sein?) oder ob die Katze verunfallt war, lässt sich laut Klinik nicht abschliessend feststellen. Weitere Spuren, Indizien oder gar Beweise bleibt die Polizei ebenfalls schuldig. Die im Frühjahr 2021 in den Medien verbreitete Darstellung einer absichtlichen lebensgefährlichen Verletzung der Katze erweist sich als reine Behauptung.
Eines sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden: Genau im Zeitraum dieser Ereignisse werden Journalist:innen erneut auf die Gewalt-Vorfälle im Lager und das anschliessende Nichtstun der Behörden aufmerksam. Alle drei Ereignisse – die beiden Autos und die Katze – werden also genau in jenem Moment medial breit getreten, als dem SEM bereits klar war, dass neue Medienartikel folgen werden. Es wirkt im Nachhinein umso stärker wie ein gezieltes Manöver, um die Deutungshoheit über die Ereignisse wieder zu erlangen.
Wie sich die Polizei eine Hauptverdächtige zusammenbastelt
Die BKP muss aufgrund der medialen Inszenierung ziemlich unter Druck gestanden haben, Ermittlungserfolge zu erzielen. So geriet eine Person, die in Bezug auf den Aktionstag als Auskunftsperson vorgeladen wurde, besonders ins Fadenkreuz der Ermittler:innen. Ausschlaggebend dafür war der Moment vor der Einvernahme, als sie sich zusammen mit einer Begleitperson durch das Drehkreuz (im Behörden-Sprech «Vereinzelungsanlage») des BKP-Gebäudes bewegte und damit einen kleineren Sicherheitseinsatz auslöste. Da hat es bei der BKP gleich Klick gemacht: Wurden von Baumgartner nicht zwei Personen bei der Auto-Manipulation beobachtet? Und kann es ein Zufall sein, dass zur Vorladung ebenfalls zwei Personen erscheinen, die sich ‹renitent› verhalten, in dem sie sich nicht ‹vereinzeln› lassen? Dieses angeblich verdächtige Verhalten wurde von den Ermittler:innen kombiniert mit der Tatsache, dass die Meldeadresse der Auskunftsperson «nur eine Distanz von 9 Kilometern» zum Tatort aufweist und sie sich während der ganzen Befragung verhielt, «wie es in linksextremistischen Kreisen praktiziert und auf einschlägigen Seiten proklamiert wird [Anm. d. A.: Gemeint ist eine konsequente Aussageverweigerung], wobei dieser Eindruck durch ihr persönliches Auftreten unterstrichen wurde».
Auf Basis dieser lächerlichen Indizienlage, genannt «objektive Anhaltspunkte», beschliesst das BKP die halbjährige, rückwirkende Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) der Betroffenen. Ziel ist, «das Bewegungsbild der Person im überwachten Zeitraum festzustellen, wobei insbesondere die Zeiträume rund um die vorgenannten Vorfälle interessieren». Nebst den Standort-Daten wurden auch die Kontakte der Person in diesem Zeitraum durchleuchtet. Da es sich um eine rückwirkende Überwachung handelte, konnten die Ermittler:innen lediglich Randdaten (also keine Kommunikationsinhalte) auswerten. Durchgeführt wurde die Massnahme vom Informatik Service Center ISC-EJPD, Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr, 3003 Bern.
Sichtbar verwertbare Erkenntnisse ergaben sich daraus allerdings ebenfalls nicht.
Weitere Ungereimtheiten
Es sollte an diesem Punkt bereits klar geworden sein, dass es die Medien, das SEM und die Bundesanwaltschaft bzw. die Bundeskriminalpolizei manchmal nicht genau genommen haben mit der Wahrheit. Nachfolgend daher noch einige Details, die den Zweifel an der vom SEM verbreiteten Version der Geschehnisse zusätzlich untermauern.
1. Baumgartner und das Geister-Plakat
Laut Baumgartner haben Unbekannte, nachdem bereits die Katze verletzt und das Auto manipuliert worden sind, ein Demo-Aufruf-Plakat an ihre Hauswand geklebt. Vor dem Eintreffen der Polizei habe sie dieses jedoch bereits entfernt bzw. weggeputzt und nur noch einige Überreste übergeben können. Sie hätte allerdings ein Foto davon gemacht. Die forensischen Ermittlungen der Kapo SO ergaben, dass sich an der betreffenden Stelle kein Plakat befunden haben kann, weil a) die Wand eine komplett andere Struktur als auf dem von Baumgartner erstellten Foto aufwies und b) keine Rückstände von Kleber oder Reinigungsmitteln festgestellt werden konnten (es wurden übrigens grosse Anstrengungen von Seiten der Kapo SO unternommen, um den Verbleib des Reinigungsmittels festzustellen – ohne Erfolg). Die Kapo SO hatte dadurch «berechtigte Zweifel an den Aussagen der Geschädigten».
2. Baumgartner und die Zusammenarbeit mit der Kapo SO
Die Geschichte mit dem Plakat und dem Reinigungsmittel zeigt denn auch exemplarisch, wie harzig die Zusammenarbeit zwischen der Kapo SO und Baumgartner ablief. Die Kapo SO bemängelte immer wieder die fehlende Kooperation seitens Baumgartner, weil sie sich beispielsweise immer direkt an die Bundesbehörden (SEM oder Bundessicherheitsdienst BSD) wandte, statt wie vereinbart erst die lokale Polizei zu informieren. Zudem hätte Baumgartner Spuren unzureichend geschützt oder gar vernichtet, wie wohl im Falle des Geister-Plakats geschehen. Und schliesslich zweifelt selbst die Solothurner Polizei in ihrem Nachtragsrapport an der in den Medien verbreiteten Version, wonach die Katze vorsätzlich verletzt wurde.
Die Polizei patroullierte dennoch regelmässig im Quartier und sowohl die Kapo SO als auch Baumgartner selbst hatten Kameras installiert, um mögliche weitere Straftaten zu verhindern oder zumindest aufzuzeichnen. Die Kameras schienen jedoch nur unzuverlässig zu funktionieren, was für zusätzliche Verunsicherung sorgte. Beispielsweise wurde in so einem kamerafreien Zeitraum der eine Lieblingsschuh von Baumgartners Ehemann geklaut. Für die Kapo SO kam in erster Linie bloss ein Fuchs als Täter in Frage. In Baumgartners Schlusseinvernahme bei der BKP darauf angesprochen, beschwerte sie sich erneut, wie schlecht und unprofessionell die Zusammenarbeit mit der Kapo SO war. Sie sei sich sicher, dass es sich beim Diebstahl um eine weitere Drohung handelte. Der Schuh wurde später übrigens im Quartier gefunden.
3. Baumgartner und ihr Beruf
In den Medienberichten zu den Gewaltvorfällen im Asyllager wurden Baumgartner und das SEM nicht müde zu betonen, dass die Kampagne die Falsche treffe: Sie sei gar nicht die Leiterin des BAZ Basel und daher auch nicht verantwortlich zu machen für die Securitas-Gewalt. Ironischerweise bestätigt die Kapo SO in einer ihrer Strafanzeigen, die sie direkt von Baumgartner erhalten hat, dass ihre Berufsbezeichnung «Leiterin Bundesasylzentrum» lautet (mehr Infos zu ihrer Rolle im Lager findet sich hier: https://barrikade.info/article/4299). An anderer Stelle steht allerdings weiterhin «Fachspezialistin», was jedoch nicht heissen muss, dass Baumgartner keine Entscheidungsmacht im Lager hat.
Zum Stand der Ermittlungen und Fazit
Aus den zehn Einvernahmen, die die BKP durchgeführt hat, hätten sich keine weiteren Erkenntnisse ergeben. Es seien daher keine weiteren Ermittlungsansätze ersichtlich. Die Verfahren werden also voraussichtlich eingestellt.
Es besteht im Übrigen kein Zweifel daran, dass Baumgartner und andere Verantwortliche von SEM, ORS und Securitas mittels direkter Aktionen auf ihre persönliche Verantwortung hingewiesen wurden. Welche davon im Hinblick auf Baumgartner jedoch tatsächlich mit einem emanzipatorischen Motiv begangen wurden und bei welchen die Behörden in der Deutung etwas nachgeholfen haben, bleibt unklar: Bei der genaueren Lektüre der Akte tun sich immer wieder Widersprüche auf, denen die Behörden mehr oder minder bewusst nicht nachgegangen sind – hauptsache, es können irgendwelche Schuldigen gefunden werden (und nicht einmal das hat geklappt).
Eines zeigt das Verfahren auf jeden Fall in aller Deutlichkeit: mit welch grossen Geschützen das SEM versucht hat, den vereinten Widerstand gegen die Gewalt in den Asyllagern zu spalten und ein Klima der Unsicherheit und Angst zu schaffen. Mit einer Bundesbehörde, die normalerweise für kriminelle Organisationen wie die Mafia zuständig ist, wurde Jagd gemacht auf Menschen, die eine Mail geschrieben oder einen Telefonanruf getätigt haben sollen. Hinzu kommt, dass diejenigen Betroffenen der Securitas-Gewalt, die es gewagt haben ihre Geschichte öffentlich zu machen und/oder die Täter anzuzeigen, ruhig gestellt werden sollten – mittels Verlegung in andere Lager, Gegenanzeigen oder anderen Schikanen. Er erstaunt kaum, dass die Schreibtischtäter:innen der Asyllager und die Securitas-Täter bisher keine nennenswerten Konsequenzen für ihre Handlungen erfahren haben und die Anzeigen gegen sie in den Schubladen der Stawa verstauben. Dieser Umgang offenbart die ganze Logik dieses rassistischen (Migrations-)Systems: Die Repräsentant:innen dieser Ordnung werden mehr oder weniger kompromisslos geschützt und gleichzeitig werden diejenigen, welche täglich unter prekärsten Umständen überleben müssen, nicht ernst genommen und sogar zusätzlich verfolgt, sollten sie es wagen, sich zu wehren.
In den Medien fand dieser Aspekt keine Beachtung, denn das erheblich unter Druck stehende SEM inszenierte die angebliche Lebensgefahr von Baumgartner, die – Zitat von damals – «mutmassliche» Manipulation am Auto der anderen SEM-Mitarbeiterin und die «Häutung» der Katze bewusst und geschickt, um von den Securitas-Gewalttaten abzulenken und den Widerstand dagegen zu delegitimieren. Welches Narrativ passt besser, den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, als eine Horde skrupelloser, tierquälender Asylsystem-Gegner:innen, die vor nichts zurückschrecken um ihre Ziele zu erreichen – nicht mal süsse Hauskatzen werden verschont.
Auf gewisse Weise haben es die Behörden geschafft: Seit der medialen Offensive ist es stiller geworden um den Widerstand. Auch haben sich einige Gruppen und Organisationen in voreiligem Gehorsam von den problematisierten ‹Aktionen› distanziert, die angeblich passiert sind. Die Gewalt in den Lagern – sei sie physisch oder psychisch – hat jedoch nicht aufgehört.
Lassen wir es nicht zu, dass die Verantwortlichen den legitimen Widerstand gegen die rassistische Politik der Internierung und Isolation von Geflüchteten spalten.
Kämpferische Solidarität mit den Betroffenen der Securitas-Gewalt und solidarische Grüsse an diejenigen, welche in letzter Zeit die Securitas-Chefetage zuhause besucht haben! Für eine Welt ohne Grenzen, Lager und Knäste!
P.S.
Tipps für Aktivist:innen digital…
Die Ermittlungen zum E-Mail- und Telefon-Aktionstag zeigen, wie wichtig es ist, die eigene Identität zu schützen. Konkret heisst das für Aktivistmus im Internet (unvollständige Liste):
• keine private, ungeschützte Internetleitung und kein (oder wenn dann nur ein Burner-) Smartphone benutzen
• keine privaten E-Mail-Adressen oder Telefonnummern verwenden
• keine privaten E-Mail-Adressen oder Telefonnummern zur Erstellung von ‹anonymen› E-Mail-Adressen verwenden («Recovery»)
Zum letzten Punkt muss hinzugefügt werden, dass selbst bei privatsphärefreundlichen Providern wie Protonmail o.ä. Randdaten und weitere Informationen gespeichert werden, die per Gesetz mit den Strafverfolgungsbehörden geteilt werden müssen.
Möglichkeiten, um der staatlichen Kontrolle in diesem Kontext zu entgehen, bietet freie Software wie der Tor Browser, insbesondere in Kombination mit dem Live-Betriebssystem Tails (für eine Anleitung siehe capulcu.blackblogs.org/neue-texte/bandi bzw. torproject.org/download und tails.boum.org) oder sogenannte ‹Einweghandys›, die nur zu diesem Zweck eingesetzt werden.
… und analog
Bevor sich die ganze Geschichte anfing zuzuspitzen, wurden von der Kapo SO Plakate sichergestellt und untersucht, die Baumgartners damaligen Wahlkampf sabotieren sollten. Im Auswertungsbericht hiess es dann unter anderem, dass aufgrund des Kleisters keine Finger- oder Handflächenabdrücke mehr hätten sichergestellt werden können. Das ist als Information erstmal interessant, gleichzeitig schützt Kleister nicht vor einer DNA-Analyse.