
Heute, am 19.10.2022 steht erneut ein politisch aktiver Mensch in Deutschland vor Gericht. Der Vorwurf: «Gewalt und Drohung gegen Beamte». Es besteht das Risiko einer Gefängnisstrafe von einigen Monaten bis hin zu 4 Jahren.
Ursprünglich veröffentlicht von Barrikade Info.
Im aktuellen Fall zeigte das Gericht Videos die einen «Steinwurf» in Richtung der Beamtinnen zeigen soll. Mehrere Fragen sind dabei offen: Handelt es sich wirklich um einen Stein (denn: wer hält einen Stein, wenn er geworfen werden soll, wie ein Häufchen Erde in der Hand), und wurde der Stein (falls er denn einer war) überhaupt geworfen? Was ging der Situation voraus, dass überhaupt an einen (Stein)-Wurf gedacht werden musste?
Dann ist die Frage: wenn es sich wirklich um einen Steinwurf handeln sollte – was bedeutet dieser Steinwurf für Polizist:innen?
Einige theoretische Gedanken zu Gewalt bei Räumungen – Gewalt hat System
Die Polizei schützt sich bei Räumungen durch Panzerungen, Helmen, Visieren, Schildern, durch Kameras, die an der Schutzkleidung angebracht werden können und ebenfalls durch die schiere Übermacht an Personal das aufgeboten wird. Die Beamt:innen sind bewaffnet mit Schlagstöcken (Mehrzweckstöcken), mit Pfefferspray, Tränengas, mit Tasern, in der Schweiz mit Gummischrot und mit Pistolen. Die eingesetzten Polizist:innen sind ausgebildet im Nahkampf, wenden Schmerzgriffe an und die meisten überlegen selten zweimal, bevor sie Menschen in Lebensgefahr bringen (Durchschneiden von tragenden Seilen oder Fällen von Bäumen), um die Besetzer:innen von ihren Baumhäusern oder Blockaden herunterzuholen. Die Polizei wertet die Lebenswertigkeit von Menschen im Widerstand ab und schafft ein Klima der Angst – dies ist Teil ihrer Strategie.
Ihre Gegenüber sind unbewaffnete und ungepanzerte Aktivisti. Sie setzen ein, was sie haben oder sich finden lässt. Ihre Körper, Blockadematerial, viel Zeit, aber allem voran ihre körperliche und seelische Gesundheit – oder dann auch Wurfgeschosse wie Steine, um die gewalttätigen und gefährlichen Polizist:innen auf Distanz zu halten. Aber was sind schon Steine gegen gepanzerte Menschen, gegen (gepanzerte) Fahrzeuge (wie z.B. Wasserwerfer)? Kann ein Steinwurf zur Verteidigung in dieser Situation wirklich als «gewaltätiger» Angriff gewertet werden? Wird dabei das Leben von Polizist:innen abgewertet?
Haft und Untersuchungshaft
Haft ist ein Teil unseres Systems.
Nach der Verhaftung während der Besetzung und Verteidigung des Dannröder Forsts wurden Menschen über Wochen, Monate oder sogar Jahre in Untersuchungshaft festgehalten. Teils, weil sie ihre Identität nicht angeben wollten, teils weil ihnen Fluchtgefahr «diagnostiziert» wurde.
Bei Untersuchungshaft handelt es sich um reine Schikane; vor allem, wenn diese sich über einen längeren Zeitraum ausdehnt. Menschen in Untersuchungshaft sollen zermürbt werden. Sie erhalten nur das aller Nötigste und werden über den gesamten Zeitraum ihrer Inhaftierung völlig im Unwissen über die Länge ihrer Inhaftierung gelassen. Die Unterstützung durch Anwält:innen wird ihnen teilweise verweigert.
Repression war, und ist in Gefängnissen an der Tagesordnung. Grundlos werden Inhaftierte an Wände geknallt, ihnen wird Hygiene oder medizinische Hilfe verweigert, Bedürfnisse an die Ernährung (Allergien, vegane Ernährung, etc.) werden ignoriert; sie werden sexuell belästigt, isoliert, verbal und körperlich angegriffen – die Liste lässt sich beliebig lange weiterführen. Das alles, ermöglicht vom Staat; ermöglicht vom Gewaltmonopol des Staates; ermöglicht durch unser Schweigen.
Denken wir an die vielen Menschen, die weltweit in Gefängnissen auf ihre Gerichtsverhandlung (wenn es denn überhaupt eine geben sollte) warten oder ihre «Strafe» absitzen, und fragen uns, aus welchen Gründen Menschen in Gefängnisse eingesperrt sind und wie die Polizei und Justiz (als ausführende und rechtsgebende Gewalt) über die Freiheit von Menschen bestimmt.
Davon ausgehend stellt sich die Frage, was ein Freiheitsentzug überhaupt bewirkt. Bei politischen Gefangenen kann davon ausgegangen werden, dass sich die politische Haltung grundsätzlich auch während einer Haftstrafe nicht ändern wird. Die Haftbedingungen fördern neben einer gewissen Resignation höchstens eine zusätzliche «Radikalisierung», was komplett verständlich ist. Die meisten Menschen die nicht resignieren, kämpfen umso intensiver, wenn sie keinen Ausweg sehen.
Ebenfalls ist es wichtig sich bewusst zu werden, wer die Gesetzte schuf – wann und wozu diese geschaffen wurden und wer davon profitiert. Häufig schützen Gesetze in unserer Gesellschaft Eigentum. Eigentum, das von allen gemeinsam erarbeitet, von anderen Menschen oder der Natur geraubt wurde, aber nur noch sehr wenigen gehört.
Eine Welt ohne Gewalt?
Eine gewaltlose Welt ist eine Illusion. Die physische und psychische Gewalt findet sich überall in unserem Alltag. Sei es beispielsweise bei der Herstellung von Lebensmitteln, in der Erziehung oder beim «Schutz von Grenzen». Befassen wir uns tiefer mit dem Begriff der Gewalt und reflektieren wir unser eigenes Handeln in diesem System. Beginnen wir damit uns zu fragen, welche Umstände Gewalt legitimieren – denn «Gewaltfreiheit», wenn es diese denn tatsächlich geben sollte, ist ein Privileg.
Gegen Staat, Patriarchat und Gefängnisse! Für den Widerstand, die Freiheit und eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen!