
Im Rahmen der Antifaschistische Kaffeefahrten in Sachsen waren wir heute, Samstag, den 22. Oktober, 2022, u.a. in Staupitz und in Naunhof bei Leisnig.
Ursprünglich veröffentlicht von Knack News: hier und hier.
Antifaschistische Kaffeefahrten in Sachsen: „Rechts rockt nicht!“
Im Rahmen der Antifaschistische Kaffeefahrten in Sachsen waren wir heute u.a. in Staupitz. Hier wurde durch Antifas folgender Flyer an Anwohner*innen verteilt:
Rechts rockt nicht!
Liebe Anwohnerinnen und Anwohner,
Sie wissen es sicher selbst: Seit 2008 finden im »Alten Gasthof Staupitz« regelmäßig Neonazi-Konzerte statt. Wahrscheinlich haben Sie sich bereits daran gewöhnt. Wir möchten Ihnen dennoch die Bedeutung dieses Ortes vor Augen führen und Sie ermutigen, dies nicht einfach hinzunehmen. Denn was hier passiert, ist nicht normal.
Was spielt sich hier ab?
Die Konzerte, die hier stattfinden, werden im Verborgenen organisiert und beworben. Dass wir von ihnen wissen, hängt auch damit zusammen, dass sie beim Landratsamt Nordsachsen ganz offiziell angemeldet werden. Zehn Konzerte im Jahr dürfen hier stattfinden, maximal 239 Personen sind dabei jeweils erlaubt. Mehr als die Hälfte aller Neonazi-Konzerte in Sachsen seit 2019 fand im »Alten Gasthof Staupitz« statt.
Die Bands, die hier in Staupitz auftreten, tragen Namen wie »Blitzkrieg«, »Deutsch, Stolz, Treue«, »Heiliger Krieg«, »Kraft durch Froide«, »Leibstandarte« oder »Überzeugungstäter«. Die slowakische Band »Kratky Proces«, die am 14. März 2020 hier auftrat, hieß früher »Judenmord«.
Die auftretenden Bands und die Namen der hier gespielten Lieder werden zwar vorab dem Landratsamt Nordsachsen vorgelegt. Doch die Konzerte sind geschlossene Veranstaltungen, zu denen nur in eingeweihten Kreisen eingeladen wird. Die Eindrücke, die dennoch nach außen dringen, sind verstörend – sie zeigen auch Hitlergrüße und strafbare Symbole. Weil der Zutritt zu den Konzerten erst ab 18 Jahren erlaubt ist, dürfen auch die zahlreichen als jugendgefährdend indizierten Lieder vieler Neonazi-Bands gespielt werden.
Der »Alte Gasthof Staupitz« ist europaweit eine bekannte Marke in der Neonazi-Szene. Regelmäßig treffen sich hier bis zu 250 Neonazis aus ganz Deutschland und den umliegenden Ländern. RechtsRock-Bands aus ganz Europa und sogar den USA und Australien verbreiteten hier bislang ungestört und abgeschottet ihren Hass. Wenn ein Konzert andernorts nicht stattfinden kann – in Staupitz klappt es immer. Darauf verlassen sich auch Bands aus der Ferne, denen hier in »Mitteldeutschland« ein sicherer Hafen in vertrauter Runde gewiss ist. So kündigte das britische RechtsRock-Urgestein »Brutal Attack« im Sommer 2020 ein Konzert an, mit dem man im »Alten Gasthof Staupitz« das vierzigjährige Bandjubiläum zelebrieren wollte. Aufgrund der Vorschriften zur Eindämmung der Corona-Pandemie fiel dieses Konzert jedoch aus. Auch die Neonazi-Band »Endstufe« feierte ihr vierzigjähriges Bestehen im September 2022 nicht etwa in ihrer Heimatstadt Bremen, sondern hier in Staupitz. Gleich an zwei Tagen hintereinander konnten die Neonazis dabei ihrem Hass frönen. Zu dem Konzert war auch eine Band aus den USA eingeladen, auf deren neuesten Fanartikeln der Spruch »Bringing back fascism« prangt – »Wir bringen den Faschismus zurück«. Ein anderes zweitägiges Konzert hatte schon im Juni 2022 stattgefunden.
Die Konzerte im »Alten Gasthof Staupitz« dienen nicht nur der Unterhaltung. Vielmehr ist die Musik ein Kitt der Neonazi-Szene. Konzerte sind Orte der Vernetzung und des Austauschs, sie stärken den Zusammenhalt und helfen beim Aufbau von Strukturen. Alte und junge Menschen werden hier in ihrem menschenverachtetenden Weltbild gefestigt und an Neonazi-Strukturen gebunden. Und natürlich dient der Verkauf von CDs, Bekleidung, Getränken und Eintrittskarten auch der Finanzierung der Szene.
Wer steckt dahinter?
Der wirtschaftliche Aspekt der Konzerte offenbart sich beim Blick auf die Veranstalter. In den Anfangsjahren waren es vor allem Personen aus lokalen Neonazi-Strukturen, die hier Konzerte organisierten. Doch seit einigen Jahren werden praktisch alle Konzerte im »Alten Gasthof Staupitz« von einigen wenigen Neonazis veranstaltet, die aus Cottbus, Oranienburg (Brandenburg) und Chemnitz kommen und seit Jahren im RechtsRock-Geschäft tonangebend sind. Einer der Veranstalter steckt hinter einem weltweit bedeutsamen Neonazi-Versand in Chemnitz. Er ist bestens in der international organisierten »Blood & Honour«-Bewegung vernetzt (die in Deutschland verboten ist) und organisiert seit 2013 unter anderem Konzerte in Staupitz. Ein anderer Veranstalter betreibt in Cottbus ebenfalls einen einflussreichen Versand für Szene-Artikel und Musik. Gemeinsam mit dem Veranstalter aus Oranienburg unterhält er zudem enge Kontakte zu den »Hammerskins«, einer verschworenen, internationalen Neonazi-»Bruderschaft«.
Auch der Sicherheitsdienst an Veranstaltungsabenden liegt in Staupitz in eingespielten Händen: eine kampfsporterfahrene Neonazi-Gruppierung aus dem Spreewald ist seit Jahren dafür zuständig. Anhänger dieser Gruppe waren regelmäßig als Kämpfer auf dem europaweit bekannten Neonazi-Kampfsportturnier »Kampf der Nibelungen« anzutreffen.
Den Besitzer des »Alten Gasthof Staupitz« kennen Sie vermutlich bereits. Er ist ein bekannter Neonazi aus der Region Torgau, für den die Konzerte seit Jahren eine verlässliche Einnahmequelle sein dürften. Bei Veranstaltungen erhält er Unterstützung von seiner Frau und von einzelnen Personen aus Staupitz.
Was können Sie tun?
Dass Neonazis in einem Gebäude seit 14 Jahren ungestört Konzerte veranstalten können, ist bundesweit einzigartig. Dass dieses Gebäude ausgerechnet in Ihrem Ort liegt und Ihre Lebensqualität hier beeinträchtigt, ist ärgerlich.
Doch Bürgerinitiativen aus anderen Regionen zeigen, dass Widerstand gegen Neonazi-Konzerte funktionieren kann. So hat die Bürgerinitiative »Kein Rechtsrock in Nienhagen« dazu beigetragen, dass in dem kleinen Ortsteil der Stadt Schwanebeck im Harz seit 2015 keine RechtsRock-Konzerte mehr stattfinden. Und in der Kleinstadt Ostritz bei Görlitz haben die Initiative »Rechts rockt nicht!« und das »Ostritzer Friedensfest« den Neonazis ihre Konzerte im dortigen »Hotel Neißeblick« vermiest. Dort fand 2019 das bislang letzte RechtsRock-Event statt.
Für Unterstützung können Sie sich beispielsweise an das Kulturbüro Sachsen wenden. Das Kulturbüro Sachsen e.V. berät und unterstützt seit über 20 Jahren Bürgerinitiativen, Vereine und Kirchgemeinden, die sich gegen Neonazi-Strukturen und für eine aktive, demokratische Zivilgesellschaft einsetzen. Auch Gemeindeparlamente und Stadträte können die Angebote des Kulturbüros in Anspruch nehmen.
Organisieren Sie sich, vernetzen Sie sich, finden Sie Verbündete in Staupitz, Torgau oder Leipzig. Haben Sie Mut, tun Sie sich zusammen und zeigen Sie den Neonazis, dass sie in Staupitz nicht willkommen sind! Sie werden sehen, dass Sie nicht allein sind. Lassen Sie nicht zu, dass Staupitz nur durch Neonazis und deren Konzerte bekannt ist. Bauen Sie öffentlichen Druck auf und appellieren Sie an die Lokalpolitik und das Landratsamt!
Die netten Leute von der Kaffeefahrt, Oktober 2022
Infobox: Was ist RechtsRock?
RechtsRock gibt es seit Ende der 1970er Jahre. Er entstand aus der Skinhead-Kultur in England. Heute ist »RechtsRock« ein Sammelbegriff für alle musikalischen Spielarten aus der Neonazi-Szene. Dies beinhaltet Rock, Balladen, Heavy Metal, Punk, Black Metal, aber auch moderne Stile wie Hip-Hop, Hardcore und Techno. Die Musik ist Mittel zum Zweck, denn sie transportiert lediglich die menschenverachtende Ideologie und ruft zur Hass und Gewalt gegen all diejenigen auf, die nicht ins Bild der Neonazis passen – aufgrund von Herkunft, politischer Einstellung oder Sexualität.
„Netzwerk völkischer Neonazi-Familien“
Im Rahmen der Antifaschistischen Kaffeefahrten in Sachsen waren wir auch in Naunhof bei Leisnig. Hier wurde nachfolgender Redebeitrag gehalten. Mehr zu dem Ort ist hier nachlesbar: https://www.runtervonderkarte.jetzt/leisnig-voelkische-siedler/
Wir befinden uns hier in Naunhof, einem Dorf mit 150 Einwohnerinnen und Einwohnern, das zur Stadt Leisnig im Landkreis Mittelsachsen gehört. In dieser Gegend hat sich in den vergangenen Jahren ein Netzwerk aus völkischen Neonazi-Familien angesiedelt.
So befindet sich neben uns, mit der Adresse Naunhof 6, der Hof des Ehepaars Dankwart Strauch und Bente Strauch und ihren fünf Kindern. Dankwart Strauch war in den Nuller Jahren in der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ tätig, einem neonazistischen Verein, der im Jahr 2009 verboten wurde. Die „HDJ“ organisierte vor allem Zeltlager für Kinder und Jugendliche, die dort militärisch gedrillt und ideologisch geschult wurden. Heute betreibt er mehrere Verläge und Versandhandel – „Deutscher Buchdienst“, „Buchdienst Kaden“, „Adoria-Verlag“, „Winkelried-Verlag“ –, über die er diverse neonazistische und geschichtsrevisionistische Bücher und Tonträger verkauft. Sein „Buchdienst Kaden“ hatte im Jahr 2015 einen Teil des NPD-Verlags „Deutsche Stimme“ übernommen.
Am 16. Januar 2019 durchsuchte die Polizei den Hof der Familie Strauch. Der Verdacht: Über seinen Verlag soll Dankwart Strauch NS-Literatur unkommentiert nachgedruckt haben. Die Polizei beschlagnahmte mehrere hundert Exemplare eines Buches, das erstmals in der NS-Zeit veröffentlicht wurde. Ob der Verdacht sich damit erhärtet hat oder nicht – der Jahresbericht des sächsischen Verfassungsschutzes verliert über die neonazistischen Verläge und Versandhandel kein Wort.
Nur wenige hundert Meter weiter liegt der Hof von Lutz Giesen und seiner Frau. Der 1974 geborene Lutz Giesen war von 2006 bis 2011 Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Im Jahr 2009 trat er bei einem Neonazi-Aufmarsch in Berlin auf und verlas Namen und Adressen von Personen, die von den Neonazis als politische Gegner*innen markiert werden sollten. In den letzten Jahren trat Lutz Giesen etwa beim „Dritten Weg“, bei der Nazi-„Gedächtnisstätte“ in Guthmannshausen und bei den geschichtsrevisionistischen Neonazi-Aufmärschen am 13. Februar in Dresden auf.
Die völkischen Siedler kaufen nicht nur Grundstücke und Häuser, sie machen in Neonazi-Kreisen auch Werbung für die Region. Ihnen sind allein im Gebiet der Stadt Leisnig mindestens fünf Immobilien, meist große Bauernhöfe, zuzuordnen. Viele der zugezogenen Neonazis haben eine Vergangenheit in der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), und viele von ihnen sind heute bei der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ aktiv. Auch durch ihre oft zahlreichen Kinder versuchen die Nazi-Familien, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen.
In jüngster Zeit nahmen Lutz Giesen und weitere völkische Siedler auch an rechten Kundgebungen auf dem Leisniger Marktplatz teil. Diese Kundgebungen sind ein wichtiges Instrument für die zugezogenen Neonazis, um vor Ort Fuß zu fassen. In ihren Reden vermischen die Neonazis die Ablehnung der Corona-Maßnahmen mit der Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates und versuchen so, ihren Einfluss in der Region ausweiten.
Der gezielte Zuzug von langjährig aktiven Neonazis kann als Fortführung der Strategie der Landnahme verstanden werden, die in Leisnig mutmaßlich noch nicht zu Ende ist. Ziel ist es, ländliche Regionen zu besetzen, um völkische Traditionen auszuleben, ohne dabei auf Widerstand zu stoßen. Dahinter steckt die Idee, dass es in Westdeutschland zu viele nicht-weiße Menschen gäbe, weswegen man gezielt in den Osten ziehe.
Lasst uns den Nazis ihren Traum vermiesen! Gegen national befreite Zonen in Leisnig und überall!