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Werden die sozialen Medien der Konzerne zusammenbrechen und somit Raum für Alternativen öffnen? – Ein Blick auf die Twitter-Übernahme durch Elon Musk und den anhaltenden Niedergang von Facebook

Ein Blick auf die Twitter-Übernahme durch Elon Musk und den anhaltenden Niedergang von Facebook als Folge von „Metaverse“. Wenn sich diese Trends fortsetzen, wird dies zu einem Wachstum von konzernunabhängigen Alternativen führen?

Ursprünglich veröffentlicht von It’s Going Down. Übersetzt von Riot Turtle.

Am vergangenen Donnerstag stürzte der Aktienkurs von Facebook um mehr als 25 Prozent ab und ließ den Marktanteil des Unternehmens dramatisch um 650 Milliarden Dollar sinken, nachdem er vor einem Jahr noch bei über einer Billion lag. Investoren und so ziemlich alle anderen waren sehr skeptisch gegenüber Facebooks Umstellung auf das „Metaverse“, eine virtuelle Realitätsumgebung, in der die Benutzer*innen große, klobige Headsets tragen, um mit den unscheinbaren, gruseligen Cartoon-„Avataren“ der anderen zu interagieren. Es ist eine Art Google Glass, nur dass es zehnmal dümmer aussieht und man seine tatsächliche Umgebung nicht sehen kann, ohne eine unscharfe Durchgangskamera zu aktivieren. Selbst Facebooks eigene Mitarbeiter*innen wollen das Ding nicht benutzen.

Das Metaversum-Abenteuer ist der am wenigsten würdevolle Übergang vom hochfliegenden Tech-Einhorn zur langweiligsten Goldesel aller Zeiten. Wenn Facebook, das sich mit dem ersten Rückgang seiner Nutzer*innenzahlen konfrontiert sieht, in den Hardware-Bereich einsteigen wollte, warum nicht einfach eine Reihe von Smartphones im mittleren Preissegment mit herausnehmbarem Akku, Kopfhöreranschluss und natürlich Facebook, Instagram und WhatsApp vorinstalliert herstellen? Oder sollte man versuchen, in das Geschäft mit Cloud-Speicherlösungen einzusteigen, indem man die umfangreichen Erfahrungen nutzt, die das Unternehmen im Laufe der Jahre beim Betrieb seiner eigenen Server gesammelt hat? Immerhin hat es bei Amazon funktioniert.

Wenn das vergangene Jahr für Facebook schlecht war, könnte dieses Jahr noch schlimmer werden.

Der Grund dafür ist Frances Haugen. Die Unternehmensmedien tun jetzt ihr Bestes, um sie aus dem Gedächtnis zu verdrängen, aber Ende 2021 war sie für einen kurzen Zeitraum unausweichlich. Haugens Enthüllung, dass Facebook nicht nur Teenagern schadet, sondern auch, dass die Führungskräfte des Unternehmens davon wussten, löste einen medialen Flächenbrand aus und führte zu Prozessen, Ermittlungen, Anhörungen im Kongress und strengeren Vorschriften in Europa. Mark Zuckerberg musste etwas tun, etwas, das auffällig genug war, um die Welt davon abzulenken, dass sein Unternehmen Menschenhandel ermöglichte, rechtsextreme Ansichten und Medien förderte, die Pandemie verschärfte und heimlich seine eigenen Moderationsregeln für Prominente aushebelte. Die Änderung des Namens in Meta und der Versuch, eine Science-Fiction-Trope in ein reales technisches Projekt zu verwandeln, war das Beste, was ihm einfiel.

Kurzfristig funktionierte es. Die Medien schalteten pflichtbewusst einen Gang zurück und begannen, Haugen zu ignorieren, um sich über den gewagten Schritt von „Meta“ in eine mutige neue Zukunft zu freuen. Mittelfristig jedoch hat Zuckerbergs Glücksspiel sein Unternehmen dazu gebracht, zig Milliarden für ein kühnes Projekt auszugeben, das es wahrscheinlich nicht umsetzen kann und das ohnehin niemand benutzen würde. Die Investoren haben es endlich gemerkt. Meta wird wahrscheinlich weiter Geld verlieren, bis Zuckerberg gezwungen ist, in Ungnade zurückzutreten, und dann seinen Abstieg in die Myspace’sche Bedeutungslosigkeit fortsetzen. Seine einzige Alternative ist es, zu sagen „Oops, egal“ und dem Metaverse den Stecker zu ziehen, bevor es das gesamte Unternehmen versenkt, aber das würde den letzten Rest an Glaubwürdigkeit zerstören, den er als Führungskraft noch hat. Erwarte nicht zu viel.

Zuckerberg mag Facebook in den Ruin treiben, aber zumindest macht er es langsam. Elon Musk hingegen könnte Twitter an einem einzigen Tag vernichtet haben. Zur Erinnerung. Musk startete eine feindliche Übernahme von Twitter, scheiterte, stimmte zu, mehr zu zahlen, als das Unternehmen wert war, um die Kontrolle zu übernehmen, machte einen Rückzieher, nachdem er einen Kaufvertrag unterzeichnet hatte, wurde verklagt, verpatzte die juristische Antwort und schloss schließlich den Kauf ab und setzte sich selbst als neuen CEO ein. Auf dem Weg dorthin gelang es ihm, sich als die absolut letzte Person auf der Welt zu etablieren, die Twitter leiten sollte. Zunächst versprach Musk, die Moderation von Inhalten auf der Website praktisch abzuschaffen und lebenslange Sperren für Nutzer*innen aufzuheben, die wegen Vergehen wie Hassreden oder Gewaltandrohung von der Plattform geworfen worden waren, wodurch Twitter im Wesentlichen zu einer größeren Version von Parler wurde. Nun, zumindest vorübergehend größer. Werbetreibende Unternehmen werden keine Geschäfte mit einer Website machen, auf der rassistische Hassrede offen gedeiht, weshalb General Motors bereits seine Werbung auf der Plattform eingestellt hat. Musks Versuch, seine Kund*innen zu beruhigen, bestand aus einem Tweet, in dem er sagte, dass Twitter „natürlich nicht zu einer frei verfügbaren Höllenlandschaft werden kann“.

„Elon kontrolliert jetzt Twitter. Entfesselt die rassistischen Beleidigungen. K—S UND N—–S“, schrieb ein Account und verwendete Schimpfwörter für Jud*innen und schwarze Menschen. „Ich kann jetzt frei ausdrücken, wie sehr ich n—–s hasse, danke, Elon“, sagte ein anderer.

Profi-Tipp, Elon: Wenn du jedem sagen musst, dass die große Social-Media-Plattform, die du gerade gekauft hast, nicht zu einem Höllentrip für alle wird (nein, wirklich nicht!), hast du ein Problem. Vor allem, wenn rechtsgerichtete Trolle die Seite an dem Tag, an dem du sie übernimmst, mit rassistischen Tweets überfluten. Vor allem, wenn einer von diesen Tweets von dir stammt.

Es war nicht gerade hilfreich, als Musk potenziellen Investoren mitteilte, dass er 75 Prozent der Belegschaft von Twitter entlassen wolle. Es gibt einen Grund, warum Unternehmen Entlassungspläne geheim halten, bis sie bereit sind, den Abzug zu betätigen – um zu verhindern, dass die Leute, die sie behalten wollen, verschreckt werden und sich nach neuen Jobs umsehen. Zugegeben, dies war keine öffentliche Ankündigung, aber er muss gewusst haben, dass es an die Medien durchsickern würde. Zwar versuchte er einige Tage später, seine Ankündigung in einer Ansprache an die Mitarbeiter*innen zurückzunehmen, aber wem würde er wohl eher die Wahrheit sagen, den Mitarbeiter*innen oder den Investoren? Die Antwort liegt auf der Hand. Musks Ruf als furchtbarer Chef ist auch nicht gerade förderlich für ihn. Erwartet einen Massenexodus von Twitter-Mitarbeiter*innen, die das Risiko, für Elon Musk arbeiten zu müssen, nicht eingehen wollen.

Der Verlust von Dreiviertel der Belegschaft wird auch nichts an Twitters vorherrschenden Bedingungen ändern. Apropos Whistleblower*innen: Der ehemalige Sicherheitschef des Unternehmens, Mudge, reichte vor kurzem eine Beschwerde bei der Börsenaufsichtsbehörde ein und sagte vor dem Kongress aus, wobei er seinem ehemaligen Arbeitgeber so laxe Sicherheitspraktiken vorwarf, dass er seine Existenz bedroht sah. Zu den Problemen gehören ein unzureichender Schutz der persönlichen Daten der Nutzer*innen, verspätete Software-Sicherheitsupdates, die Verschleierung der wahren Anzahl von Bot-Accounts und mindestens ein chinesischer Spion auf der Gehaltsliste. Zumindest die chinesischen Spione könnten entlassen werden, aber die anderen Sicherheitsprobleme von Twitter werden durch den Verlust des institutionellen Gedächtnisses und den allgemeinen Umbruch im Zusammenhang mit der Übernahme durch Musk nur noch schlimmer werden. Hacker*innen sollten sich das unbedingt merken. Die Nutzer*innen werden aufgefordert, ihre Konten zu löschen und zu Mastodon zu wechseln. Liebhaber*innen hochwertiger Unterhaltung sollten sich mit Popcorn eindecken.

Wie Zuckerberg kann auch Musk die Probleme seines Konzerns nur lösen, indem er seine Zusagen zurücknimmt und somit sein Gesicht verliert. Wenn er die bestehenden Richtlinien zur Inhaltsmoderation von Twitter beibehält und Trump nicht wieder auf der Plattform zulässt, wird er als Versager und Lügner dastehen, und seine konservativen Fans werden sich gegen ihn wenden. Wenn er seine Versprechen einhält, werden die Werbekunden die Plattform verlassen, und ein großer Teil der Nutzer wird ihnen folgen. Im Gegensatz zu Zuckerberg wird ein Kurswechsel Musk finanziell nicht viel bringen. Twitter hat noch nie einen nennenswerten Gewinn erwirtschaftet und seinen Eigentümern nur dann Geld eingebracht, wenn es an einen noch größeren Trottel verkauft wurde. Musk ist der letzte Trottel in der Reihe. Wenn er bei der Moderation von Inhalten spart (was wahrscheinlich der Grund für den Großteil der geplanten Entlassungen ist), dann ist die Hölle los, und alle Einsparungen werden durch die entgangenen Werbeeinnahmen wieder zunichte gemacht. Wenn er an der Technik spart, werden die technischen und sicherheitsrelevanten Schulden von Twitter wachsen, bis etwas Katastrophales passiert. Da er Twitter in die Privatwirtschaft überführt hat, muss er die Finanzberichte des Unternehmens nicht veröffentlichen und kann den Betrieb subventionieren, während er vorgibt, dass alles gut läuft. Musk hat zwar ein paar Investitionspartner*innen, aber die scheinen nur geringe Beträge beigesteuert zu haben, und rechtsgerichtete Magnaten wie Peter Thiel haben es abgelehnt, sich zu beteiligen.

Elon Musk twittert eine haltlose Verschwörungstheorie über einen Angriff auf Paul Pelosi als Reaktion auf Hillary Clinton.

Beide Männer veranschaulichen die Fallstricke, die entstehen, wenn man einer einzelnen Person die alleinige Verantwortung für ein Unternehmen überträgt: insbesondere einem reichen, anspruchsvollen, weißen Mann. Musk hat dafür bezahlt, Twitter in die Privatwirtschaft zu überführen, was ihm die volle Kontrolle über das Unternehmen gibt. Facebook ist zwar börsennotiert, aber Zuckerberg behält die Mehrheit der Aktien, so dass auch er nicht entlassen werden kann. Beide sind auf Lebenszeit gesetzt, unabhängig davon, was mit ihren jeweiligen Social-Media-Imperien geschieht. Wenn man jemanden zum Superstar ernennt und ihm den Spielraum gibt, in einem Unternehmen zu tun, was er will, ohne dass ihn jemand zur Rechenschaft ziehen oder auf seine Zurechnungsfähigkeit prüfen kann, ist es im Grunde nur eine Frage der Zeit, bis er eine dumme Entscheidung trifft und dann das Gefühl hat, dass er seine Meinung nicht ändern kann, ohne schlecht dazustehen. Zuckerberg hat in seinen Jahren bei Facebook viele dumme Entscheidungen getroffen, und die holen ihn jetzt ein. Musk hat die Kontrolle über Twitter erst vor ein paar Tagen übernommen, aber er holt die verlorene Zeit wieder auf. Für Anarchist*innen ist es keine schlechte Idee, solche Situationen im Auge zu behalten, um zu sehen, ob sie zu ihrem Gunsten genutzt werden können.

Was bedeutet das alles für die Zukunft der sozialen Interaktionen im Internet? Vielleicht nur etwas Gutes. Das bereits erwähnte Mastodon ist eine Open Source Alternative zu Twitter, die es Nutzer*innen und lokalen Serveradministrator*innen ermöglicht, ihre eigenen Inhalte zu kontrollieren, anstatt die Kontrolle an eine zentralisierte Organisation abzutreten, deren wichtigstes Ziel die Steigerung der Werbeeinnahmen ist. Mastodon hat sich nicht durchgesetzt, weil Twitter den Vorteil des Erstanbieters genossen hat. Die Umstellung auf Mastodon bedeutete für jeden einzelnen Nutzer*in bisher, dass er die meisten seiner Follower*innen zurücklassen musste. Aber wenn Twitter in Flammen aufgeht, werden sich viele Nutzer*innen nach einer besseren Option umsehen, und genau da wartet Mastodon auf sie.

Wenn wir richtig viel Glück haben, werden auch andere Open-Source-Social-Media-Projekte wie Pixelfed und PeerTube von diesem Glücksfall profitieren, so dass wir auf dem besten Weg sein werden, den Würgegriff der Konzerne über die sozialen Medien zu brechen. Hoffen wir es!

Ihr findet It’s Going Down übrigens auch auf Mastodon: @igd_news@kolektiva.social (https://kolektiva.social/@igd_news). Uns findet ihr auf Mastodon hier: @enough14D@todon.nl (https://todon.nl/web/@enough14D) und Riot Turtle findet ihr hier: @riotturtle@kolektiva.social (https://kolektiva.social/@riotturtle)

Bild oben (Titelbild): Das Bild wurde für diesen Artikel bearbeitet. Das Originalbild findet sich hier. Bild von Marc Levin. Lizensiert unter Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0).

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