Veröffentlicht am Schreib einen Kommentar

Tomás Ibáñez: Ludd, Hypermidernität und Neototalitarismus in Zeiten von #COVID19

Ein weiterer Beitrag von Tomás Ibáñez, Sozialaktivist und Autor von Anarchismus ist Bewegung, in Zeiten des Coronavirus.

Ursprünglich bei El Lokal erschienen. Englische Übersetzung von Autonomies, deutsche Übersetzung Enough14. Geschrieben von Tomás Ibáñez.

You might as well be hung for death

As breaking a machine–

So now my Lad, your sword unsheath

And make it sharp and keen-

We are ready now your cause to join

Whenever you may call;

So make foul blood run clear & fine

Of Tyrants great and small!–

Ausschnitt aus einem Lied der Ludditen, “Welcome Ned Ludd”

Tomás Ibáñez: Ludd, Hypermidernität und Neototalitarismus in Zeiten von #COVID19

Tomás Ibáñez (El Lokal, 01/05/2020)

Vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten, im Jahr 1811 und während der folgenden fünf Jahre, war England Schauplatz einer kraftvollen sozialen Revolte, welche – in Anspielung auf ihren gleichnamigen Protagonisten Ned Ludd – als „Ludditen-Rebellion“ bezeichnet wurde und einen Teil der neuartigen Textilmaschinen zerstörte, deren Installation Arbeitsplätze vernichtete und Teile der Bevölkerung zum Elend verurteilte. Tausende von Soldaten waren notwendig, um diese Rebellion zu unterdrücken, die, weit davon entfernt, technikfeindliche Motive zu verfolgen, am Arbeitsplatz angezettelt versuchte, sich den schädlichsten Folgen des „Fortschritts“ der kapitalistischen Ausbeutung entgegenzustellen.

Heute ist es unerlässlich, diese Art der Revolte „neu zu erfinden“ und sie von der Sphäre der rein wirtschaftlichen Forderungen in die direktere politische Sphäre der Kämpfe für Freiheit und gegen den neu geprägten Totalitarismus zu verschieben, welcher seit einiger Zeit dabei ist, sich zu etablieren, und der in der gegenwärtigen COVID-19-Krise reichlich Treibstoff findet, um seine Entwicklung zu beschleunigen.

Ihn aus der wirtschaftlichen Sphäre zu verschieben, bedeutet nicht, den Kapitalismus als Hauptfeind abzulegen, denn der neue Typus des Totalitarismus, auf den ich mich beziehe, stellt ein absolut grundlegendes Element der neuen kapitalistischen Ära dar, die von der enormen technologischen Innovation beleuchtet wird, die die digitale Revolution war und weiterhin ist.

Wie bereits bei der Rebellion der Ludditen beruht auch diese unverzichtbare Revolte nicht auf technikfeindlichen Beweggründen, sondern hat die Forderung nach Freiheit und Autonomie als Hauptantriebskraft, aus einem klaren Bewusstsein heraus, dass, wenn es uns nicht gelingt, den Fortschritt des neuen Totalitarismus aufzuhalten, die Möglichkeiten des Kampfes und Widerstands gegen Herrschaft und Ausbeutung entweder zunichte gemacht oder auf die Bedeutungslosigkeit reduziert werden.

Es erübrigt sich, hier das Ensemble der Überwachungsinstrumente und -verfahren aufzuführen, mit deren Umsetzung begonnen wurde oder welche schon in grossem Umfang wirken; die diesbezüglichen Informationen sind im Überfluss vorhanden und stehen allen zur Verfügung. Auch die Darstellung der Kämpfe, welche gegen die Ausweitung und Verallgemeinerung der sozialen Kontrolle stattfinden, ist entbehrlich. Diese sind allgemein bekannt und reichen von den Aktionen der Hacker über die Sabotage von 5G-Antennen, über die Praxis, das Telefon zu Hause zu lassen und sich von seiner Benutzung zu entwöhnen, bis hin zu mehr gemeinschaftlichen Aktivitäten, welche im Aufbau lokaler Netzwerke und Communities bestehen.

Es erscheint mir jedoch angebracht, die Beständigkeit hervorzuheben, auf welche die Veränderungen des Wirtschaftssystems, zumindest im Westen, zurückzuführen sind, da die wissenschaftliche Vernunft die Voraussetzungen dafür schuf, dass die Technologien in den Händen der Produzenten und Handwerker in Technologien übergingen, deren Einsatz die Größe und Kapazitäten der lokalen Gemeinschaften und Gruppen überstieg, und dass sie so sowohl in das übergeordnete Produktionssystem als auch in die staatlichen Machtstrukturen integriert werden konnten.

Es ist diese enge Verbindung zwischen wissenschaftlicher Vernunft, Technologien und wirtschaftlichen sowie politischen Machtstrukturen, die sich durch die gesamte Geschichte der Moderne und des Kapitalismus zieht und die eine Hypermodernität ausmacht, in der die digitale Revolution das Bindeglied zwischen den drei von mir erwähnten Gebilden verstärkt. Dies treibt eine Transformation des Kapitalismus voran, der sich nun in einen digitalen- und Überwachungskapitalismus verwandelt und sich in der politischen Sphäre zu einer neuen Art von Totalitarismus bewegt. Im Gegensatz zu früheren totalitären Regimen sind es die Subjekte selbst, welche durch ihre jeweiligen Verhaltensweisen ständig die Bestandteile liefern, welche ihre vollständige Unterwerfung ermöglichen. Es ist unser eigenes Leben, das die Kontroll- und Normierungsvorrichtungen in einer Umgebung ohne Äußerlichkeiten nährt, deren erstes Instrument nicht die Repression, sondern die Anstachelung ist.

COVID-19 hat dank der Nachfrage nach Bio-Sicherheit, welche aus der Angst der Bevölkerung vor biologischen Risiken entstanden ist, die Entwicklung ausgefeilter sozialer Kontrollmaßnahmen gefördert. Was seit der Ausrufung der Pandemie und der anschliessenden Ausrufung des Ausnahmezustands durch den spanischen Staat geschah, lässt wenig Zweifel daran, dass ein grosser Teil der Bevölkerung nicht nur keinen Widerstand leisten, sondern bereitwillig akzeptieren würde, beobachtet zu werden, und sich bereitwillig dem Gebot der Selbstkontrolle unterwerfen würde, um die Krankheit zu verhindern.

Das Coronavirus nimmt auch die mehr als wahrscheinliche Folge neuer Pandemien mit ähnlicher oder noch größerer Gefahr vorweg. Das biologische Risiko ist selbstverständlich Teil des menschlichen Daseins selbst, aber die Wahrscheinlichkeit des Eintretens und dessen Folgen werden durch die herrschenden Lebensbedingungen begünstigt: riesige Menschenmassen, welche in gigantischen Städten zusammengepfercht werden, eine Globalisierung, welche einen konstanten und schnellen Handelsaustausch auf globaler Ebene fördert, Transportmittel, welche unaufhörliche Bevölkerungsströme begünstigen, geringere Investitionen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung und selbstverständlich auch die Schädigung der Umwelt.

Es sollte hervorgehoben werden, dass der letztgenannte Faktor nur ein weiterer und vermutlich nicht unbedingt der wichtigste unter all diesen Faktoren ist, welche Pandemien begünstigen. Dies bedeutet nicht, dass Umweltrisiken nicht zu bekämpfen wären, aber eine übermäßige Konzentration auf sie könnte dazu beitragen, die größte und unmittelbare Bedrohung im Zusammenhang mit biologischen Risiken zu verschleiern und die Aufmerksamkeit von den Fortschritten des Neo-Totalitarismus abzulenken, so dass wir, wenn wir die totalitäre Gefahr, die von biologischen Bedrohungen ausgeht, nicht stoppen können, noch nicht einmal mehr in der Lage sein werden, den Kampf gegen die Degradierung des Planeten fortzusetzen.

Etwa vierzig Jahre sind vergangen, seit Michel Foucault das Konzept der Biomacht zur Charakterisierung der neuen, vom Neoliberalismus geprägten Modalitäten der Regierungsweise vorlegte, und es scheint, dass die Verwaltung des Lebens, die Biosicherheit und die Kontrolle der Bevölkerungen, auf die er sich seinerzeit bezog, einen bevorzugten Platz auf der Agenda des für unsere Hypermodernität typischen digitalen Kapitalismus eingenommen haben.

Dem neuen Totalitarismus steht das gesamte Arsenal an sozialer Kontrolle zur Verfügung, welches die digitale Technologie zur Verfügung stellt, während dieselbe Technologie das immense Feld der Gentechnik erschließt. Wenn wir biologische Risiken, Biopower, digitalen Kapitalismus, Biotechnologien und Neototalitarismus in Beziehung zueinander setzen, ist es leicht nachzuvollziehen, dass eine der Auswirkungen von Pandemien darin bestehen wird, dass die Bevölkerungen eher früher als später dazu veranlasst sein werden, biogenetische Interventionen zu akzeptieren, um uns gegen Corona und andere Virenplagen „resistent“ zu machen. Dies wird natürlich nicht berits morgen geschehen, sondern in einer fernen dystopischen Zukunft, wenn der Transhumanismus die „rationale“ Veränderung der menschlichen Spezies ermöglichen wird. Ich habe „fern“ gesagt, aber bei der Geschwindigkeit, mit der die Dinge voranschreiten, ist diese Zukunft vielleicht gar nicht mehr so fern, vorausgesetzt, es gelingt uns nicht, die Dinge grundlegend zu ändern.

Glücklicherweise lehrt uns die lange Geschichte der Menschheit, dass es auch immer Orte des Widerstands und der unbeugsamen Energie gegeben hat, welche die Praxis der Freiheit selbst in den unfreundlichsten Situationen zu fördern wussten. Es sind diese Praktiken und die Kämpfe, die sie fördern, welche es uns erlauben, trotz allem einen gewissen Optimismus zu hegen …

Halte den Enough 14 Blog und das Enough Info-Café am Laufen. Ihr könnt uns unterstützen, indem ihr etwas in unserem englischsprachigen Shop bestellt oder ihr könnt etwas spenden (siehe unter den Bildern für weitere Informationen).

Wir haben zwei Solidaritäts-T-Shirts (Bilder unten) für das Enough Info-Café entworfen. Ihr könnt die Enough Info-Café-Solidaritäts-T-Shirts hier bestellen: https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-werden-nicht-zur-normalitat-zuruckkehren-schwarz/ und  https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-sind-ein-bild-aus-der-zukunft-schwarz/

Enough 14: Unterstützt unsere Arbeit!

Enough 14: Unterstützt unsere Arbeit! Unterstützt unsere unabhängige Berichterstattung und Info-Café. Gerade jetzt braucht das Enough Info-Café eure Unterstürzung um die laufende Kosten während der vorübergehende Schließung (Corona) finanzieren zu können.

€1,00

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.