
Zum 28. Jahrestag der Unruhen in Los Angeles, die am 29. April 1992 begannen, schrieben wir: „Wenn man sich heute die Stadt ansieht, ist das Einzige, was die Lunte ausgehen lässt, die Bedrohung durch COVID-19. Derselbe rassistische, klassizistische, sexistische, schwarzenfeindliche Blödsinn, den wir 1992 hatten, ist noch immer da, aber er wird durch die Gentrifizierung und alles, was diese mit sich bringt, nur noch verstärkt.
Ursprünglich veröffentlicht von Prole Wave. Übersetzt von Enough 14.
Und jetzt haben wir eine offene Revolte in der ganzen Stadt, obwohl diese eine der von der COVID-19-Pandemie am stärksten betroffenen US-Städte ist. Allerdings ist die Last der Pandemie nicht gleichmäßig verteilt worden. Wie die Berichterstattung gezeigt hat, sind es überwiegend Schwarze, nicht schwarze Latinx und andere Proles of Color in dieser Stadt, welche dazu gezwungen sind, sich mit den äusserst bescheidenen und vom Staat bereitgestellten Ressourcen selbst zu versorgen. Und doch, wenn wir uns die Menschen in den Straßen von Los Angeles betrachten, so sehen wir die Jugend eben dieser überbeanspruchten Bevölkerung. Sie sind diejenigen welche dort draußen ihr Leben riskieren, um für George Floyd einen Hauch von Gerechtigkeit oder auch Rache zu üben. Ein Schwarzer, den sie höchstwahrscheinlich bis zur vergangenen Woche weder kannten noch je getroffen haben. Dennoch erkennt das rassifizierte Proletariat der Stadt (in einer Stadt mit einer der mörderischsten Polizeiabteilungen der Welt) in seinem Tod einen Teil von sich selbst.
In Zeiten wie diesen, versuchen viele Radikale, auseinander zu nehmen, warum ausgerechnet DIESER Mord eine Welle der Revolte, wie wir sie nun erleben, ausgelöst hat. Schwarze Menschen werden weiterhin von der Polizei grausam behandelt und getötet, auch nachdem die so genannte Black Lives Matter-Bewegung von vor einigen Jahren durch staatliche Repression und auch durch liberale Kooptierung zerschlagen wurde. Doch die Schwarzenfeindlichkeit in den Vereinigten Staaten ist nicht nur ein Ereignis oder eine Anhäufung von Ereignissen, sie ist die Grundlage und Struktur der amerikanischen Zivilgesellschaft. Die Wurzeln dieser Revolte sind tief und historisch. Ich bin nicht überrascht, dass diese Revolte jetzt stattfindet, ich bin überrascht, dass sie nicht schon früher begonnen wurde.
Es ist nicht nur Kritik an den Plünderungen geübt, sondern auch viel Negatives über die Propaganda externer Agitator*innen oder weißer Anarchist*innen in der Revolte gesagt worden. Ich werde nur über meine Heimatstadt sprechen. Meine Erfahrung in den Straßen einer Stadt, in welcher ich geboren wurde und in der ich mein ganzes Leben lang gelebt habe, zeigt mir, dass es junge Schwarze und nichtschwarze Jugendliche of Color waren, die sich munter auf den Straßen herumtreiben. Für Liberale und sogar viele Linke übersteigt die Vorstellung das Menschen sich, dass was ihnen ständig angeboten, jedoch für sie stets unerreichbar bleibt, einfach nehmen, ihre Analyse. Diese gelten als „lumpen“. Ich möchte einen pro-situ-Essay über den Chicano-Aufstand von 1972 in East L.A. zitieren:
„Die Plünderer nehmen die „wohlhabende“ Gesellschaft beim Wort. [Sie] akzeptieren den Überfluss, nur unterwerfen [sie] sich nicht dem Leid, welches die Gesellschaft denjenigen zufügt, die sich für das opfern sollen, was sie angeblich wollen. Sie wollen die Waren besitzen, die ihnen überall gezeigt werden, in den Schaufenstern, in den Medien, während sie die Regeln des Tauschs und die damit verbundenen Opfer ablehnen. Sie lehnen die Warenform ab, welche die Waren in ihrem Griff einschließt und sie gemäß den Motiven des Profits formt, entsprechend den von der Madison Avenue geschaffenen falschen Bedürfnissen“.
Und Plünderungen waren schon immer ein Bestandteil des radikalen Kampfes, jedoch einer, der oft wie ein schmutziges Geheimnis verborgen wurde. Ich möchte hier auch die schwarze radikale Schriftstellerin Bobby London aus ihrem Essay von 2014 zitieren:
„Wann immer es in schwarzen Gemeinden zu Unruhen kommt, geht es immer um „Plünderungen“, ob es nun 2 Personen sind, die dies tun, oder 200, ob es nun aus Wut über die Brutalität der Polizei oder wegen des Mangels an ausreichenden Vorräten im Fall Katrina geschieht, die Medien und die scheinbare allgemeine Öffentlichkeit machen sich eher Sorgen um die Ladenbesitzer*innen, deren Eigentum gestohlen wurde, als um die schwarzen Leben, die verloren gehen. Da stellt sich mir die Frage: Würde das Leben von Schwarzen mehr geschätzt werden, wenn wir noch Eigentum wären?“
Die Lokalnachrichten tragen dazu bei, einen Keil zwischen die Plünderer und die guten, friedlichen Demonstrant*innen zu treiben, und diese Vorstellung breitet sich leider immer weiter aus. Allerdings waren die Lokalnachrichten in Los Angeles schon immer reaktionär und pro “ Law and Order „. Los Angeles ist eine Stadt, in der es mehrere Realitäten gibt, die sich deutlich zwischen Rasse und Klasse unterscheiden. Es gibt das Spektakel, welches der Welt des entspannten weißen Wohlstands präsentiert wird, und dann gibt es das rassifizierte Proletariat, das jeden Tag die Stadt gestaltet und nun daran arbeitet, sie zunichte zu machen.
“Man könnte Plünderung auch als eine außergesetzliche Reizüberprüfung betrachten, welche gleichzeitig noch die kapitalistische Logik stört. Zwei zum Nicht-Preis von einem! “
Die Unruhen von 1992 blieben weitestgehend auf das Gebiet von South Central Los Angeles beschränkt. Die Unruhen, die wir heute sehen, griffen nicht nur ein hyperzentralisiertes Stadtzentrum an (welches im Wesentlichen durch internationales Finanzkapital finanziert wurde), sondern plünderten schließlich auch die viel wohlhabendere Westseite der Stadt. Nach den Unruhen von 1992 war es eine gängige Meinung, dass die Unruhestifter die wohlhabenderen Teile der Stadt hätten treffen sollen, und am Samstag, dem 30. Mai, sowie am Sonntag, dem 31. Mai 2020, taten sie genau das. Sie zerstörten außerdem weit über ein Dutzend LAPD-Fahrzeuge.
In Minneapolis konnten wir nach dem beispiellosen und inspirierenden Ereignis des Abbrennens eines Polizeireviers beobachten, dass ein Depot mit angehäuften Beutegegenständen zusammengetragen und frei an die Menschen auf den Straßen verteilt wurde. Etwas, das die an der Kommunisierung Interessierten als „kommunistische Maßnahme“ bezeichnen würden, aber die Notwendigkeit des Kommunismus entsteht nicht aus der Theorie, sondern vielmehr ist es die gelebte Erfahrung der Proles, welche ausmacht, was der Kommunismus sein kann und sein wird, indem er auf ihre ganz realen materiellen und persönlichen Bedingungen eingeht. In anderen Städten haben wir dasselbe beobachtet. Auf den Straßen von Los Angeles sah ich Menschen, welche sich kostenlose Masken und kostenloses Wasser teilten und umherziehende Jugendliche auf Fahrrädern, die als Späher*innen fungierten, um die wilden Demonstrant*innen zu warnen, wo die Bullen sind und wo nicht. Gegenseitige Hilfe ist eine Eigenschaft des proletarischen Lebens und nicht einfach eine Idee, welche von selbsternannten Radikalen verbreitet wird.
Unsere ganze Liebe und Unterstützung gilt denjenigen, die auf den Straßen von Minneapolis und auf der ganzen Welt kämpfen. Und wir wissen, dass zu diesen Kämpfen nicht nur Zusammenstöße mit der Polizei auf der Straße gehören, sondern auch die Bereitstellung kostenloser (oder freigemachter) Lebensmittel, die Sanitäter*innenteams auf der Straße, die Menschen zu Hause, die dabei helfen, Informationen an die Leute auf der Straße weiterzugeben, diejenigen, die sich um Rechtshilfe und Unterstützung kümmern, die Personen, welche das Wissen darüber teilen, wie man sich während und nach dem Aufenthalt auf der Straße umeinander kümmert, und diejenigen, die helfen, den Kampf gegen Hetzkampagnen zu verteidigen. Wir wissen, dass ein Kampf nicht nur die Straßenkämpfe sind. Der Kampf gegen diesen schwarzfeindlichen kapitalistischen Nationalstaat auf gestohlenem Land richtet sich gegen die Gesamtheit der kapitalistischen Zivilisation. Es erfordert nicht nur die Beseitigung des Staates und des Kapitals, sondern auch eine tiefe, radikale Umgestaltung unserer gesellschaftlichen Beziehungen, um Schwarzenfeindlichkeit, Patriarchat und den Siedlerkolonialismus zu entwurzeln.
Die Nationalgarde patrouilliert bereits in den Straßen der Innenstadt und der Westseite von Los Angeles. Der Bürgermeister hat eine Ausgangssperre verhängt, welche immer länger wird, von 20.00 Uhr – 5.30 Uhr auf 18.00 Uhr bis 6.00 Uhr morgens. Am Sonntag um 17.20 Uhr erhielten die Einwohner*innen von Los Angeles eine SMS-Nachricht, in welcher mitgeteilt wurde, dass die Ausgangssperre von 20.00 Uhr auf 18.00 Uhr geändert wurde, so dass den Leuten nur wenig Zeit zum Reagieren blieb; außerdem ist die Versendung einer nur in Englisch abgefassten Nachricht in Los Angeles eine wesentliche Maßnahme, um die große Zahl der Einwanderer*innen nicht zu informieren. Dies wird wahrscheinlich fortgesetzt werden. Der Bürgermeister hat auch alle kostenlosen COVID-19-Tests der Stadt als Strafmaßnahme gegen ihre Bewohner*innen eingestellt.
Dies sind Zeiten, die sowohl ehrfurchteinflößend als auch unsicher sind. Wir sehen, was Genoss*innen auf der ganzen Welt getan haben, und wir überprüfen erneut ihre Kämpfe und ihre Strategien, um zu sehen, wie sie ihren Kampf gegen diese Welt ausgeweitet und vertieft haben. Um von Unruhen zur Revolution überzugehen. Ein Prozess, der sich in den Vereinigten Staaten bisher einer Übersetzung entzogen hat.
Wir hoffen, dass, so wie an anderen Orten auf der Welt, immer mehr Menschen die maskierte Brutalität der Polizei und dieser ganzen anti-schwarzen kapitalistischen Gesellschaft sehen werden. Allerdings sind diejenigen von uns, welche es bereits besser wissen, auf den Straßen unterwegs. Sogar die Medien sind zur Zielscheibe der Polizei geworden, sie werden während des Sendens verhaftet oder auch direkt mit Gummigeschossen angegriffen. Zahlreiche Videos zeigen nicht nur die Polizei, die mit ihren Fahrzeugen in Menschenmengen rammt, sondern auch weiße Rassist*innen, die dasselbe tun, ermutigt durch die Rhetorik von Donald Trump, der nun behauptet, die „Antifa“ sei eine terroristische Organisation, obwohl sie nichts dergleichen ist.
Wie sonst sollten Jugendliche reagieren, wenn sie zusehen müssen, wie jede Möglichkeit einer Zukunft vor ihren Augen verschwindet? Was sollten sie ansonsten tun, wenn die offizielle Politik ihnen die Wahl zwischen zwei rassistischen und sexuell belästigenden weißen Männern anbietet? Die Hälfte des County Los Angeles ist ohne Arbeit, und diejenigen, die am härtesten gearbeitet haben, sind sicher die rassisierten proletarischen Jugendlichen: Ist es da verwunderlich, dass diese Jugendlichen immer wieder auf die Strasse gehen? Ein Verständnis von Anti-Schwarzheit ist das Wissen, dass es sich um eine Gesamtheit, eine Struktur und nicht nur um ein Problem handelt, mit dem man sich befassen muss, um persönliche Vorurteile auszuräumen. Die Straßen sagen mehr aus als alles, was das radikale Milieu in Jahrzehnten hervorgebracht hat. Mein ganzes Leben lang die Straßen von Los Angeles zu sehen, hat mich zu einem Radikalen gemacht, und nicht irgendein Buch oder Pamphlet.
Lang lebe die Revolte! Gegen diese anti-schwarze, anti-native kapitalistische Welt.
Für Big Floyd!
Ein angepisster Chicano Prole im sogenannten Los Angeles, Tovaangar.1. Juni 2020.
Dies ist eine leicht bearbeitete Rede, die wir anlässlich einer Mahnwache für George Floyd im so genannten Portland, Oregon, gehalten haben, und nur eine von vielen, welche die Wut über diese anti-schwarze Welt zum Ausdruck brachte. Viele von uns haben den Zyklus der friedlichen Proteste, den wir nur allzu gut kennen, satt und wollen vor allem den Weißen deutlich machen, dass sie unsere Wut und unseren Hass nicht kontrollieren werden.
Wir sprechen für uns selbst und nur für uns selbst, mit unseren Erfahrungen von schwarzer und brauner proletarischer Wut und Hass.
Wir schreiben dies, um das Andenken an George „Big“ Floyd zu ehren, einen weiteren Schwarzen, der von den Schweinen ermordet wurde, mit Breoanna Taylor in Louisville, Tony McDade in Tallahassee und zahllosen, aber nicht namenlosen anderen, die sich der erbärmlichen Liste der jüngsten Erinnerung anschließen. Sie alle, Rest in power and peace!
Wir schreiben dies auch, um uns mit den Randalierer*innen und den Plünderern von MPLS, welche keine Rechtfertigung für ihre Aktionen benötigen, zu solidarisieren. Es ist nicht nötig, die Schuld auf denjenigen zu schieben, der den Aufstand angezettelt hat, als ob ein einzelner Mensch einen Aufstand anzettelt und nicht eine Gruppe von Leuten, die bereit ist, sich zu wehren. Ein Aufstand mag die Sprache der ungehörten sein, aber er ist auch die Aktion derjenigen, welche sich weigern, mit der Macht in Dialog zu treten und sie stattdessen direkt attackiert. Polizeireviere niederzubrennen und uns aufzuzeigen, was es wirklich bedeutet, die Polizei zu hassen. Ziele zu plündern und zu zeigen, dass schöner Scheiß für alle keine Forderung, sondern eine Drohung ist.
Jede*r hat das Bedürfnis, ihren*/seinen* Arsch hochzukriegen und etwas zu tun. Was werdet ihr tun? Eine Petition unterschreiben, #BlackLivesMatter sagen und die Faust erheben, die Polizei zur Verantwortung ziehen, wählen? Wir haben von der Vielfalt der Taktiken gehört, aber dabei handelt es sich um eine extrem hohle Vielfalt. Nichts als Markenbildung, Schlagkraftverfolgung und Betrug durch Aktivist*innen.
Es war ein kleiner Geschäftsinhaber, der die Schweine auf Big Floyd ansetzte und uns damit zeigte, dass unabhängig von der Größe oder Herkunft des Kapitalisten sein Eigentum, nein die Wirtschaft, mehr Gewicht als das Leben der Schwarzen hat. Kein noch so großes Maß an Liebe oder positivem Engagement wird diese Tatsache ändern. Dies ist die Welt, in der wir leben; eine Welt, die vom Blut und den Tränen der Schwarzen lebt und auf ihren Rücken neben den Gräbern der Indigenen errichtet wurde. Was in MPLS geschieht und glücklicherweise ausbreitet, ist die Zerstörung und der Ausweg aus dieser Welt. Die Randalierer*innen und Plünderer zeigen uns aktiv, wie eine Entkolonialisierung aussieht, sie zeigen uns, wie Reparationen aussehen, und sie zeigen uns den Ausgangspunkt dafür, wie die Befreiung aussehen wird.
Wir fragen also erneut: Was werdet ihr tun?
– Freunde des Projekts, mehr angepisste schwarze und braune Proles
Wir haben zwei Solidaritäts-T-Shirts (Bilder unten) für das Enough Info-Café entworfen. Ihr könnt die Enough Info-Café-Solidaritäts-T-Shirts hier bestellen: https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-werden-nicht-zur-normalitat-zuruckkehren-schwarz/ und https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-sind-ein-bild-aus-der-zukunft-schwarz/
https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-werden-nicht-zur-normalitat-zuruckkehren-schwarz/ https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-werden-nicht-zur-normalitat-zuruckkehren-schwarz/
https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-sind-ein-bild-aus-der-zukunft-schwarz/ https://enoughisenough14.org/product/t-shirt-wir-sind-ein-bild-aus-der-zukunft-schwarz/

Support Enough 14!
Enough 14: Unterstützt unsere Arbeit! Unterstützt unsere unabhängige Berichterstattung und Info-Café. Gerade jetzt braucht das Enough Info-Café eure Unterstürzung um die laufende Kosten finanzieren zu können.
€1,00