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#Belarus: Wir, die von den Autoritäten Verfluchten

Ein Text aus Belarus: „Du und ich haben auf diesen Straßen von einem freien Leben geträumt.“

Ursprünglich von Pramen veröffentlicht. Übersetzt von Enough 14.

Wir, die von den Autoritäten Verfluchten

Es spielt keine Rolle, ob du in der Sowjetunion oder in der Republik Belarus geboren bist. Es spielt keine Rolle, in welcher Stadt oder in welchem Dorf du geboren bist. Wir sind nebeneinander geboren. So nah und so fern…

Wir wurden nicht in die Familie eines Beamten oder Inhabers einer großen Firma geboren… Du und ich wurden als Niemand geboren. Dir und mir wurde jeden Tag gesagt, dass wir Niemande sind und dass wir unseren Platz in dieser Welt einnehmen sollten. Absolviert die Schule, das Abitur, vielleicht sogar die Universität und geht zur Arbeit. Arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten! Schau nicht in die andere Richtung. Schließe deine Augen, wenn es zu beängstigend wird und du nicht länger stark bist.

Du und ich, so verschieden und so ähnlich. Vielleicht haben einige von uns nicht gehorcht und vielleicht sogar protestiert. Einige von uns haben von einer Welt geträumt, in der wir unsere Schultern ausstrecken und frei leben können. Aber diese Macht hat jeden von uns verflucht.

Wir sind verflucht durch das Wissen, das in unseren Köpfen und Herzen ist. Wir erinnern uns an die Auflösung von Demonstrationen und Verhaftungen. Wir erinnern uns daran, dass wir in den Jahren 2006, 2010 und 2017 auf den Inhaftierungslisten nach einander gesucht haben. Ich erinnere mich, dass du mir geholfen hast, nachdem ich entlassen wurde, weil Menschen wie ich nicht in eine staatliche Fabrik gehören.

Diese Macht verfluchte uns, wenn wir für Jahre ins Gefängnis gingen oder auf der anderen Seite der Mauer bleiben mussten. Und wir lebten mit dem Gedanken, dass wir es hätten sein sollen. Einige von uns sind sogar gegangen, in der Hoffnung, dass der Fluch einfach vergessen werden könnte.

Aber wir haben zugehört, wir haben versucht zu vergessen, wir haben versucht, weiterzumachen. Wir haben unser Bestes versucht, aber der Fluch wird dich nie in Ruhe lassen. Selbst wenn 2017 einer von uns auf die Straße gegangen ist und der Rest von uns sein Bestes versucht hat, wegzuschauen. Und es ist nicht unsere Schuld. Denn so wurde es uns beigebracht.

Weil wir hier geboren sind.

Dieser Fluch verfolgte uns die ganze Zeit: als wir unsere Freunde und Lieben begraben mussten, die an dem Coronavirus gestorben sind. Und wir tranken Wodka, aber nicht, um gesund zu bleiben. Als wir uns gegenseitig halfen, ohne Wasser zu überleben, und die Beamten uns Märchen erzählten.

Wir alle werden von den Autoritäten verflucht, und unser ganzes Leben lang eilen wir zwischen diesem Fluch und dem Versuch, ihn loszuwerden, hin und her. Aber es ist ein Fluch für immer. Denn niemand wird die zerschlagenen Köpfe und das Blut vergessen, das die Straßen entlang läuft, auf denen wir aufgewachsen sind. Das Blut, das den Asphalt so vulgär rot färbt, dass niemand es je vergessen wird.

Du und ich haben auf diesen Straßen von einem freien Leben geträumt. Und wir haben Gummigeschosse und Tränengas bekommen. Wir dürfen nicht vergessen, wie wir von Polizeiautos gerammt und von Granaten in die Luft gesprengt wurden. Das wird uns für immer in Erinnerung bleiben.

Wir werden immer all die Schrecken mit uns herumtragen müssen, die wir nie wollten. Diese Macht entführt, foltert und tötet unsere Brüder und Schwestern. Es ist die Macht, die uns dazu bringt, unser eigenes Blut von den Stufen der U-Bahn abzukratzen.

Sie sagen uns, dass der Protest friedlich sein muss, dass wir der Provokation nicht nachgeben dürfen und dass wir weiterhin unser Joch ziehen müssen. Du und ich, so verschieden, aber zusammen. Und ich glaube, wenn sie versuchen, mich zu schlagen, zu verhaften oder zu töten, wirst du mich nicht im Stich lassen. Ich habe dich in den Straßen von Minsk, Grodno, Brest, Baranowitschi und Dutzenden anderer Städte gesehen, und du hast nicht zugelassen, dass sie mich schnappen.

Ein Freund sagte mir, dass der einzige Weg, diesen Fluch zu brechen, darin besteht, den Palast der Republik in der Höhle der Bestie in Brand zu setzen. Mitten im Herzen unserer Welt haben du und ich ein magisches Schloss, das diesen Horror brechen kann.

Denkt nicht, dass ich an diesen Aberglauben glaube! Aber ich weiß, dass dieser Palast brennen wird wie die Sonne!

Und wenn wir diese Diktatur jetzt nicht loswerden, können wir es nie wieder tun. Ja, wir können den Fluch nicht brechen, aber wir können alles tun, was in unseren Macht steht, um dafür zu sorgen, dass diejenigen, die nach uns kommen, wieder voll atmen können.

Und wissen Ihr was, liebe Freunde? Wir werden diesen Fluch zu unserer Macht werden lassen. Anstatt die Hände niederzulegen und nach Hause zu gehen, werden wir tief in das Grauen dieser Diktatur hinein atmen, und das wird uns stärker machen. Wir werden nicht mehr weg schauen, wir werden nur noch nach vorne schauen, denn irgendwo hinter dem Horizont wartet unsere Freiheit.

Ich weiß, dass du mich hören kannst. Deshalb gehen du und ich an diesem Freitag um 19.00 Uhr mit weit geöffneten Schultern auf die Straßen unserer Städte. Und in der Umklammerung werden wir diese Welt erobern, die uns rechtmäßig gehört!

Pramen, 13. August, 2020.



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