
Content warning: Polizeigewalt
Dannenrod. Vorgestern, am 16.11. habe ich im Baumhausdorf “Drüben” massive Polizeigewalt beobachtet. Dies ist ein Erfahrungsbericht einiger Situationen, die ich an diesem Tag miterlebt habe.
Bild oben: Heute, am 21. November 2020, durchtrennte die Polizei erneut ein Sicherheitsseil. Ein Aktivist stürzte zu Boden und wird nun im Krankenhaus behandelt. Wir wissen noch nicht, wie es dem Verletzten geht. Siehe Tweets im Artikel. Bild von @wsa_buendnis
Ursprünglich veröffentlicht von Wald Statt Asphalt.
Die Situation, über die später viel berichtet wurde, war nur der Anfang dieses furchtbaren Tages: Eine Person hing an einer langen Traverse, die durch die Baumkrone eines anderen Baums verlief. Ein Waldarbeiter fing an, diesen Baum zu fällen, obwohl von überall her Menschen geschrien haben, dass da ein Mensch drin hängt. Nach viel zu langer Zeit ist einer der vielen umstehenden Polizist:innen zu ihm gegangen und hat ihn aufgehalten. Er hat kurz aufgehört, die Situation überblickt und dann trotz offensichtlicher Lebensgefahr sehr zielstrebig weitergesägt. Der Baum ist umgefallen und hat das Traversenseil einige Meter mitgerissen, sodass die Person in der Traverse umhergeschleudert wurde. Das Seil ist glücklicherweise nicht gerissen, wie es scheinbar von weitem dem Eindruck gemacht hat. In diesem Moment dachte ich, dass ich jetzt zum ersten mal in meinem Leben sehen werde, wie ein Mensch stirbt. Und es war nicht das letzte mal an diesem Tag.
Ich saß die ganze Zeit über auf einem Ast und war gesichert an einem etwa 10m langen Walkway (zwei übereinanderliegende Traversenseile, eins zum drauf stehen und laufen, eins zum festhalten) auf etwa 25m Höhe, der zwei Baumhäuser miteinander verbunden hat.
Später wurde das Baumhaus direkt neben mir geräumt. Zwei Aktivist:innen hingen in einem Netz in der Baumkrone darüber und die Kletterpolizisten vom SEK haben sehr lang gebraucht, um sie dort herauszuholen. Zwei von ihnen sind von unten an das Netz herangeklettert, einer ist an der Hebebühne hängend von oben gekommen. Die Polizisten haben den einen Menschen an der Jacke gewürgt, sodass er keine Luft mehr bekommen hat. Dem anderen Menschen wurde über lange Zeit das Handgelenk umgedreht und immer wieder Schmerzpunkte gedrückt. Beide wurden an ihren Haaren gezogen und haben immer wieder vor Schmerz geschrien. Ich habe nicht gesehen, dass sie sich gewehrt haben, sie lagen einfach nur in dem Netz. Nach ein bis zwei Stunden wurde das Netz abgeschnitten und die Menschen an der Hebebühne hängend auf die Baumhausplattform gelassen. Ich konnte durch Fenster aus dünnem Plexiglas sehen, was drinnen passiert ist, habe immer wieder gesehen, wie die beiden Polizisten auf die Menschen eingetreten und geschlagen haben. Der eine hat mit einem Messer Schnitte in die Plexiglas-Fenster gemacht und den Kopf des Aktivisten durch die scharfkantige Öffnung nach draussen, mit dem Gesicht in die Tiefe, gedrückt. Mittlerweile ist ein Mensch an mir vorbei unter die Plattform geklettert, um besser sehen zu können, was dort passiert und die Polizisten anzuschreien, dass sie aufhören sollen die Aktivist*innen zu foltern. Er hat gehört, wie einer der Polizisten zu den beiden Aktivist:innen gesagt hat, dass sie gerade niemand sehen kann, dass niemand filmt, dass sie jetzt mit ihnen machen können was sie wollen.
Die beiden Aktivist:innen wurden dann irgendwann mit der Hebebühne nach unten gebracht und wie die meisten anderen dann rausgezerrt und weggetragen, häufig sah auch das sehr gewaltvoll aus. Zwei Polizisten sind auf der Plattform geblieben und haben nach und nach das Baumhaus zerstört, alle Sachen heruntergeworfen, die sich noch darin befanden und die Wände zersägt. Sie wussten, dass an der einen Ecke der Plattform ein Mensch direkt darunter lag, zwischen einem Ast und der Plattform gequetscht. Für mich wirkte es, als würden sie ihm gezielt Angst machen wollen. Immer wieder hat ein Polizist in direkter Nähe gesägt, es sah sogar so aus als würde er in den Boden direkt neben ihm sägen. Irgendwann schrie er auf und nach Nachfragen sagte er, dass sie gerade durch die Plattform auf ihn urinieren würden.
Über den Tag bin ich immer mehr erstarrt, anfangs konnte ich noch mitrufen „You are not alone, you are not alone“, aber ich bin immer stiller geworden, habe am ganzen Körper gezittert. Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, genau überblicken zu müssen, wo die Polizei gerade überall ist und was sie tut, weil ich keinerlei Vertrauen hatte, dass sie auf die Sicherheit unserer Leben achtet. Am Boden waren schon lange keine Unterstützer*innen mehr zu sehen, der gesamte Bereich um uns herum wurde schon am Morgen großräumig abgesperrt, auch die Presse wurde scheinbar nicht durchgelassen.
Nachdem die Polizisten den Menschen unter der Plattform geräumt haben war ich sicher, dass ich als nächstes dran sein würde. Es war mittlerweile dunkel und sie sind mit der Hebebühne einige Meter von mir entfernt an den Walkway gefahren, an dem ich und nun auch noch zwei andere Menschen hingen. Es gab dort zwei Seile, ich war an beiden gesichert aus Angst, dass sie eins durchschneiden könnten. Und tatsächlich hat der eine Polizist sein Messer an das untere Seil gehalten und zu seinem Kollegen gesagt, dass sie das ja durchschneiden könnten, weil wir alle nicht daran gesichert sind. Ich habe Angst bekommen wie noch nie in meinem Leben, mein Herz hat gerast, ich habe panisch aufgeschrien und gerufen, dass ich an dem Seil gesichert bin. Er hat meinen Schrei nachgeäfft und uns zugerufen, wir seien doch selbst Schuld. Dann sind sie heruntergefahren und haben die Hebebühne wieder eingefahren, um die Personenräumung für diesen Tag zu beenden.
Obwohl es mittlerweile viel zu dunkel war um die Situation überblicken zu können, hat die Abrissmaschine noch die Baumhäuser abgerissen, die bereits geräumt wurden, wahrscheinlich um zu verhindern, dass sie über Nacht neu besetzt werden. Eins war offenbar auch mit einem Seil verbunden, in dem ein Mensch hing, auch hier wieder minutenlange Warnungsschreie von überall her, bis irgendwann mal ein Polizist den Mensch in der Maschine gestoppt hat. Das Baumhaus war da bereits zerstört, der Person im Seil ist scheinbar körperlich nicht verletzt worden, jedenfalls antwortete sie nach Nachfragen, ob sie okay sei irgendwann mit: „yes, kind of“.
Mittlerweile hat es angefangen zu regnen und es kam mir unendlich lang vor, bis die Polizist*innen endlich weg waren. Die ganze Zeit über hing ich zitternd und weinend da oben und hab mich an meiner Sicherung festgekrallt, um mich dann endlich mit letzter Kraft abseilen zu können.
Einen Tag zuvor wurde bereits eine Person schwer verletzt, weil ein Polizist trotz Warnungen ein Seil durchgeschnitten hat. Immer wieder wird von Unfällen gesprochen, doch aus meiner Sicht wird die Gefährdung von Menschenleben aktiv in Kauf genommen, wenn nicht sogar willentlich herbeigeführt. Ich bin davon überzeugt, dass die Ursache dieser Gewalt nicht nur einzelne sadistische Polizisten sind, sondern Aktivist*innen systematisch eingeschüchtert werden sollen und dass Menschen sterben werden, wenn die Räumung und die Zerstörung des Waldes in den nächsten Wochen so weitergeht.
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