
Brooklyn Center. Minnesota. Dieses Interview wurde vor zwei Monaten geführt, also bereits zwei Monate nach den Ereignissen in diesem Frühjahr in Brooklyn Center, Minnesota. Die Auseinandersetzungen in Brooklyn Center fanden im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Derek Chauvin statt, fast ein Jahr nachdem er George Floyd ermordet hatte. Dieses Interview war ein Versuch, die Erfahrungen eines Teilnehmers mit den Ereignissen in Brooklyn Center zu reflektieren und zu überlegen, was sie uns darüber sagen, wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln könnten. Vielen von uns hat der Aufstand gegen George Floyd schwer zu schaffen gemacht, während wir versuchen, uns die nächsten Schritte vorzustellen. Was mir in diesem Interview klar wurde, war, dass zwischen der George Floyd Revolte und dem Aufstand im Brooklyn Center – trotz des direkten Einflusses und der geografischen Nähe – ein weiter Weg liegt.
Obwohl der Aufstand im Brooklyn Center ein Ergebnis der George Floyd Revolte war, war er auch eine Erinnerung daran, dass sich die Ereignisse des vergangenen Sommers nicht wiederholen würden. Jetzt, nach einem relativ ruhigen Sommer, scheint es umso wichtiger zu sein, in die Zukunft zu blicken, anstatt den Blick auf den Aufstand des letzten Sommers zu fixieren. In diesem Interview erkunden wir einige der Entwicklungen und besonderen Merkmale von Aufständen nach der George Floyd Revolte.
Ursprünglich veröffentlicht in Anathema Volume 7 Issue 5. Übersetzt von Riot Turtle.
Du warst in April im Brooklyn Center. Kannst du beschreiben, was passiert ist?
Ja, es gab einen Polizistenmord: Daunte Wright, 20 Jahre alt. Er versuchte, vom Tatort zu fliehen, als er angehalten wurde. Es gab zwei Nächte lang Ausschreitungen – ich sage Ausschreitungen. Einige Leute sagen: „Das ist kein Riot, das ist eine Revolte“. Ich nenne es einfach einen Riot.
Die Menschen bewarfen die Bullen mit Gegenständen. In der Gegend um Brooklyn Center, aber auch in Minneapolis und den umliegenden Vororten kam es zu Plünderungen mit Autos. In der ersten Nacht wurde auf die benachbarte Polizeistation geschossen; jemand schoss auf die Eingangstüren. Jemand anderes schoss auf einen Bullen – vielleicht 3 Tage nachdem es losging.
Die ganze Zeit über riefen die Leute dazu auf, das Polizeirevier niederzubrennen (das war der Brennpunkt der Krawallen). Das ist ihnen nie gelungen. Die Leute versuchten es. Die Polizei errichtete ein Tor. Es war ähnlich wie in Portland beim Gerichtsgebäude. Aber sie haben das Tor nicht wirklich durchbrochen.
Nach den ersten beiden Tagen mit Plünderungen, Brandstiftung, Straßenkämpfen und Sachbeschädigung kam es eine Woche lang zu konfrontativen Protesten vor dem Polizeirevier.
Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Veränderungen seit dem letzten Jahr?
Was seit Herbst letzten Jahres passiert ist, ist, dass die Polizei wirklich auf Ausschreitungen vorbereitet war. Wenn die Leute sich also auf Krawalltaktiken einlassen, müssen sie die Polizei austricksen. Es kann nicht diese Art von Frontalangriff sein, wie es in Minneapolis im 3. Revier passierte.
Das begann mit der Revolte von Breonna Taylor Ende September. Es sind nicht Tausende von Menschen auf der Straße, die sich mit den Bullen anlegen. Das ist nicht der Fall.
Außerdem sah man im Brooklyn Center Leute in Black Bloc oder Frontliner Optik, die versuchten, junge, meist schwarze Jugendliche davon abzuhalten, Dinge in Brand zu stecken und Barrikaden zu errichten.
„Als Nächstes müssen wir alle Polizeireviere in den Vereinigten Staaten niederbrennen.“
Moment mal – was sollte Menschen dazu bewegen, sich als Schwarzer Block zu kleiden, um Riots zu verhindern?
Ich weiß es nicht. Ich glaube einfach, dass es zu einer populären Erscheinung geworden ist und dass Leute es übernommen haben, die noch nie eine Revolte erlebt haben. Es ist seltsam, diese Gruppe namens Minnesota Freedom Fighters – das ist im Grunde eine Art gemeinnützige Organisation. Ihr Ziel ist es, Riots zu deeskalieren, aber sie kleiden sich alle im schwarzen Block Outfit, tragen Gasmasken und haben Regenschirme. Es ist eine seltsame Sache, die aus Portland importiert wurde und ursprünglich aus Hongkong und Chile stammt. In Portland und Seattle machte es Sinn, aber sobald es an Orte wie Philly und Brooklyn gelangt, wird es von den aufständischen Aktivitäten isoliert. Das ist wirklich bizarr.
In Brooklyn Center sind es fast ausschließlich junge, schwarze, arme Menschen aus der Arbeiter*innenklasse, die noch immer bereit sind, sich an aufständischen Taktiken zu beteiligen. Und sie werden immer mehr isoliert.
Brooklyn Center liegt 20 Minuten außerhalb von Minneapolis und ist sehr vorstädtisch geprägt. Das hat das Terrain für Ausschreitungen wirklich schwierig gemacht. Es ist eine Wohngegend mit vielen Wohnhäusern. Es gab zwei Tankstellen und ein Einkaufszentrum – das wurde alles zerstört.
Du sagst, es war ein schwieriges Terrain. Wie sahen die Ausschreitungen in den Vorstädten aus?
Das machte es schwieriger, einen anhaltenden Aufstand durchzuführen, der die Tore durchbrechen würde, weil nicht tausende von Menschen dort waren. Es gab vereinzelte Formen des Kampfes: Schüsse auf Bullen und die Nationalgarde. Winston Smith ist ein Beispiel dafür. Daran kann sich nicht jeder beteiligen – es ist gefährlich. Aber es ist auch das, was in Abwesenheit eines Massenaufstandes passiert.
Ein Ein-Dollar-Laden wurde in Brand gesetzt. Das ganze Einkaufszentrum wurde verwüstet und geplündert. Es gab einen wirklich interessanten Moment: Der Besitzer einer Pizzeria sagte: Ich mache euch ein paar Pizzen. Er fing an, Pizzas für die Menge der potenziellen Plünder*innen zu machen. Und so hat er verhindert, dass sein Laden geplündert wurde.
Es gab ein paar Mitglieder*innen einer Miliz mit Sturmgewehren, die versuchten, den Dollar-General zu schützen, und sie wurden schnell von jungen Leuten umzingelt, die sagten: Ihr werdet uns nicht aufhalten. Sie gingen einfach um sie herum. Das war ein sehr intensiver Moment.
Es gab auch Leute, die keine Waffen hatten und versuchten, ihr Eigentum zu schützen, aber sie wurden einfach verprügelt. Die Leute, die in den ersten beiden Nächten randalierten, waren immer noch in der Minderheit, aber sie waren in der Lage, etwas zu tun.
Was änderte sich in der dritten Nacht? Waren die Milizen und die Friedenspolizei erfolgreicher beim Stoppen der Aufständischen?
Ich denke, das war es in Kombination mit der polizeilichen Repression: Die Nationalgarde war da draußen, das FBI war da draußen. Wir wurden von Leuten angehalten, die sagten, sie würden mit dem FBI zusammenarbeiten.
Wir verließen gerade eine Gegend, in der das ganze Zeug passierte, und wurden von etwa 5 verschiedenen Streifenwagen angehalten. Sie machten Fotos von uns, unseren Tattoos, unseren Verletzungen. Wir hatten all dieses Zeug in unserem Auto (Gasmasken, Schutzwesten), aber wir hatten nichts Illegales bei uns. Sie konnten also eigentlich nichts tun. Sie sammelten Informationen. Sie verhörten uns.
Wir wurden alle getrennt; wir waren 4 Personen. Wir wurden in ein anderes Auto gesetzt. Sie versuchten, uns eine Heidenangst einzujagen, indem sie sagten: „Ihr werdet alle verhaftet, ihr werdet abgefertigt und eure Fingerabdrücke werden genommen, wir beschlagnahmen das Auto.“ Sie stellten uns Fragen darüber, woher wir uns kennen und wie wir miteinander verbunden sind. Dann ließen sie uns einfach gehen.
Leute wie wir sind letzten Sommer mit so viel Scheiße davongekommen, dass wir es uns bequem gemacht haben. Das Terrain hat sich verändert, und wir können nicht mehr mit der gleichen Art von Dingen davonkommen. Wir waren uns dessen nicht so bewusst, wie wir es hätten sein sollen.
Letztes Jahr war der Staat, vor allem wegen der Pandemie, nicht bereit. Das ändert, was die Menschen tun können. Es wird weiterhin kleinere, lokal begrenzte Aufstände von kurzer Dauer geben, und es gibt eine Grenze, die sie sehr schnell erreichen werden.
Beginnend mit den Breonna-Taylor-Protesten im September und bestätigt durch die Walter-Wallace-Krawalle im Oktober, wurden die Bullen viel gewalttätiger. Ein Ergebnis davon ist, dass die multiethnische Dimension abgenommen hat. Das liegt an der Repression. Das erste Mal fiel mir das auf, als ich im September in Louisville war und dort hauptsächlich junge Schwarze unterwegs waren.
Gab es Anarchist*innen bei den Ausschreitungen?
Von allen politischen Strömungen waren die Anarchist*innen am stärksten beteiligt, aber sie waren immer noch eine kleine Minderheit. Und sie waren „als Anarchist*innen“ nicht relevant. Der Ausgangspunkt sollte sein, was die Leute auf der Straße, die den ganzen Scheiß machen, tun wollen. Es war nicht die anarchistische Politik, die die Leute dazu gebracht hat, mit dem Staat auf Konfrontationskurs zu gehen.
Als Nächstes müssen wir jedes Polizeirevier in den Vereinigten Staaten niederbrennen. Dafür setzen wir uns also ein. Wir drängen nicht darauf, dass die Leute Anarchist*innen werden.
Der Riot in Brooklyn Center war lokal begrenzt und liegt mehrere Monate zurück. Ist das für die Menschen in Philadelphia jetzt relevant?
Daraus kann man einiges lernen. Die Dinge werden immer atomisierter, gefährlicher und fallen in eine eher allgemeine Outlaw-Kultur. Die ausweglose Situation, die wir in Brooklyn Center erlebt haben, findet auch in Philadelphia statt. Es gibt keinen ausgewachsenen Aufstand, sondern diese diffuseren Formen des Kampfes. Als der Chauvin-Prozess zu Ende ging, gab es in Philly in der ganzen Stadt Gruppen von jungen Leuten auf Dirt-Bikes, die von den Bullen gejagt wurden. Das war eindeutig eine Form des Widerstands.
Abschließende Gedanken?
Den Leuten ist es egal, was du sagst, worum es dir geht. Es geht darum, ob man als Teil des Aufstandes wahrgenommen wird. Es sind diejenigen, die dem Geist der Revolte treu sind, und alle anderen. Das ist die Kluft. Wenn du nur Zuschauer*in bist, bist du vielleicht nicht so willkommen. Mehr als alles andere kommt es darauf an, was man durch sein Handeln vermittelt.