
Dies ist eine Antwort auf einen eher willkürlichen Beitrag mit dem Titel: „Zelenskiy verbietet 11 linke Parteien und fusioniert alle TV-Kanäle zu einem einzigen – aber Neonazi-Gruppen sind weiterhin willkommen„. Dieser Artikel erschien auf einer britischen Website für Linke der Labour-Partei, der SKWAWKBOX, die von Steve Walker betrieben wird. Ich hätte den Text normalerweise ignoriert, da der/die Autor(en) eine derartige Unkenntnis der ukrainischen politischen Realitäten, insbesondere der ukrainischen Linken, an den Tag legt/legen, aber ähnliche Befürchtungen werden überall laut.
Ursprünglich veröffentlicht von Freedom News. Geschrieben von Svitlana Matviyenko. Übersetzt von Riot Turtle. Bild oben von Fab Rand. Bild ist lizenziert unter Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0) Lizenz.
In dem Artikel wird behauptet: „Der ukrainische Präsident Wolodimir Zelensky hat heute eine Videobotschaft veröffentlicht, in der er elf linke Oppositionsparteien verbietet und behauptet, sie seien prorussisch. Der Schritt wurde als opportunistischer Schachzug zur Beseitigung der politischen Opposition kritisiert, obwohl Zelenskiy von den westlichen Medien einen Freifahrtschein erhalten hat. Die Oppositionsplattform „Für das Leben“, die Sharij-Partei, Naschi, der Oppositionsblock, die Linke Opposition, die Union der Linken Kräfte, Derzhava, die Progressive Sozialistische Partei der Ukraine, die Sozialistische Partei der Ukraine, die Sozialisten und der Block von Volodymyr Saldo sind nun alle verboten und sehen sich schweren Repressionen ausgesetzt.„
Erstens. Es wäre schön gewesen, wenn es in der Ukraine linke Parteien gegeben hätte. Aber es gibt keine. Die ukrainische Linke ist nicht im Parlament vertreten. Wir sind lediglich viele Gruppen von Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen usw. Wir arbeiten täglich und jede Stunde daran, das zu verbessern, was in unserem nicht ganz so perfekten Land verbessert werden könnte.
Zweitens. Der Oppositionsblock (OP) besteht aus den Überresten der Partei der Regionen, der Partei unseres 2014 gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Die Partei der reichsten Menschen der Ukraine, der Milliardäre der Forbes-Liste. Ihre Ausrichtung liegt irgendwo zwischen Trumpismus und Putinismus. Ihr Weg ins Parlament wurde jahrelang von Kremlberater*innen gestaltet (die erstmals in 2004, während der Wahlkampagne von Janukowytsch/Juschtschenko, das Wort „Nazi“ in Umlauf brachten, um jeden zu identifizieren, der in und westlich von Kyiv lebt, um das Land zu spalten und sich die Stimmen aus dem Osten zu schnappen); und danach von dem amerikanischen Politikberater Paul Manafort, der zwischen 2010 und 2014 mehr als 60 Millionen US-Dollar vom ukrainischen Milliardär Rinat Achmetow erhielt. Bei Achmetow, einer Schlüsselfigur des Oppositionsblocks, handelt es sich um einen Geschäftsmann aus den kriminellen 1990er Jahren. Eine kleine Wikipedia-Suche wird euch mehr über ihn verraten. Ein weiteres repräsentatives Beispiel ist Viktor Medwedtschuk. Zu seinen Vermögenswerten, gehört eine 200 Millionen US-Dollar teure Yacht, um die sich die Medien in letzter Zeit gerissen haben. Oder Vadim Novinsky, überprüft ihn selbst.
Sie sind in der Tat alle pro-russisch und spielen vielleicht mit dem Gedanken an eine Wiederbelebung der Sowjetunion in irgendeiner Form, aber das ist weder nostalgisch noch ideologisch. Ihre einzige Ideologie ist die Kleptokratie. Wenn sie tatsächlich an irgendeine Vereinigung mit Russland denken, dann nur, um ein auf die Förderung fossiler Brennstoffe ausgerichtetes, jetzt kapitalistisches Imperium wiederzubeleben. Das sind die ukrainischen Trumps. Und genau wie bei Trump in den USA wählen viele mittellose Menschen aus den östlichen Regionen, die von russischer Propaganda und der Propaganda der OP-eigenen Fernsehkanäle bombardiert werden (da diese Leute bis vor kurzem den größten Teil der Medieninfrastruktur in der Ukraine kontrollierten), wählen diese Kapitalisten, die die gesamte Industrie in diesen Regionen kontrollieren und besitzen.
Drittens. Sharij’s Partei auf der Liste ist ein anderes Beispiel: Die Partei des rechten Libertarismus [1], und sie ist eine Fälschung. Sie ist nicht einmal auf eine echte Person, Anatoliy Sharij selbst, registriert, sondern auf einen Mann mit dem gleichen Nachnamen. Ukrainische Journalist*innen enthüllten, dass Sharij 500 Dollar gezahlt hat, um den Nachnamen des Mannes für seinen Parteinamen zu verwenden, um mögliche juristische Probleme zu vermeiden, nur für den Fall, dass es dazu kommen sollte. Und genau das ist geschehen. Sharij ist ein populärer homophober Blogger, der sich durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Hass eine große Fangemeinde schaffen konnte. Wenn ihr mich fragt, ist er ein reines Social-Media-Phänomen, das als Social-Media-Unternehmen betrieben wird, und es gibt keine Ideologie, nicht einmal der rechte Libertarismus. Sein Produkt ist Sensationshascherei. Er hätte wahrscheinlich gelacht, wenn er gewusst hätte, dass seine Partei als „links“ bezeichnet wurde, aber er hätte es auch nicht dementiert, denn alles, was ihm Aufmerksamkeit verschafft, ist es wert. Er führt ein Luxusleben in Europa, er hat Sponsoren für sein start-up Partei-Business. Es gibt verschiedene Theorien, wessen Marionette er ist.
Die übrigen Parteien auf der Liste sind ähnlich merkwürdige Konstruktionen mit ähnlich merkwürdiger Geschichte. Der Vorsitzende einer dieser sozialistischen Parteien, Serhiy Kaplin, nannte zum Beispiel Margaret Thatcher als sein politisches Vorbild. Und das ist alles, was man über den so genannten ukrainischen „Sozialismus“ im Parlament wissen muss. Das sind die Kräfte, die einerseits den „Sozialismus“ immer wieder diskreditieren, indem sie ihn als viel zu bizarr und phantasmagorisch, als eine reine Fälschung darstellen (so wie es rechte und liberale Gruppen gerne tun); und andererseits verhindern sie auch, dass wirklich sozialistische Gruppen die politische Bühne betreten können.
Ich würde gerne mehr darüber erfahren, was genau zu der Entscheidung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine geführt hat, die Aktivitäten der Plattform auszusetzen. Vor einigen Wochen wurde berichtet, dass einige Politiker*innen erwischt wurden, als sie mit den Invasoren Geschäfte aushandelten, in denen das Szenario zur Übernahme von Kyiv durch die russischen Besatzer*innen entwickelt wurde. Wir werden sehen. Aber es ist sicherlich nicht die Auseinandersetzung zwischen rechts und links. Und ich hoffe, dass das, was ich oben gesagt habe, dies deutlich macht.
Genau wie in Frankreich, Italien, Deutschland usw. gibt es auch in der Ukraine rechte Gruppen, die vor allem von der europäischen Rechten unterstützt werden. Leider wird dieser Krieg sicherlich den Nationalismus verstärken und beschleunigen, das ist das, was Kriege anrichten. Aber bitte, lass das unser Problem sein, und bitte haltet euch da raus und konzentriert euch auf eure eigenen Rechtsextremen, anstatt Desinformation zu verbreiten, die uns hier nicht helfen, gegen Putins Faschismus zu kämpfen. Dieser Krieg wurde nur möglich, weil Europäer*innen zwei Jahrzehnte lang Putins totalitäres Regime legitimiert haben, ihm die Hand geschüttelt und Geschäfte mit ihm gemacht haben. Genoss*innen, ihr habt den russischen Nationalismus, wenn ich das so sagen darf, nicht wirklich bekämpft, und sein vor kurzem erfolgter Übergang zum Faschismus blieb von euch unbemerkt. Jetzt kostet er uns jeden Tag Hunderte von Menschenleben.
Grüße aus dem kalten und nassen Luftschutzbunker, in dem ich diesen Abend leider verbringen muss; denn ich hätte andere, wichtigere und gesündere Dinge tun können, aber so ist es nun mal.
Svitlana Matviyenko
Svitlana Matviyenko ist Assistenzprofessorin für kritische Medienanalyse an der Fakultät für Kommunikation der Simon Fraser Universität in Kanada. Sie ist Mitautorin von „Cyberwar and Revolution: Digital Subterfuge in Global Capitalism„.
Die erste Version dieses Textes erschien im Blog vom „Institute of Network Cultures„.
Fußnoten
[1] Rechter Libertarismus: Der Paläolibertarismus oder Libertäre Populismus ist eine Mischung aus Libertarismus im Bereich der Politik und der Wirtschaft und kulturellem Konservatismus in gesellschaftlichen Fragen. Dieser gesellschaftliche Konservatismus grenzt die paläo-libertären von den anarcho-kapitalistischen Strömungen ab, bei welchen die persönliche und die wirtschaftliche Freiheit gleichermaßen im Vordergrund stehen. Murray Rothbard argumentiert, Libertarismus sei nichts anderes als eine Neuformulierung der Überzeugungen der alten Rechten, welche die staatliche Intervention durch den New Deal im frühen 20. Jahrhundert ablehnte. https://de.wikipedia.org/wiki/Libertarismus