Veröffentlicht am Schreib einen Kommentar

Eine Nebenbemerkung zu einer Erklärung – Anarchistická Federace [Tschechische Republik]

Die Internationale der Anarchistischen Föderationen hat eine Erklärung zum Krieg in der Ukraine abgegeben, aber wir, Anarchistická Federace, halten sie für unzureichend. Wir kommen zur gemeinsamen Debatte mit einer Erklärung unserer Positionen und Punkte, die wir für wesentlich halten.

Ursprünglich veröffentlicht von Anarchistická Federace. Übersetzt von Riot Turtle.

Die Internationale der Anarchistischen Föderationen hat eine Erklärung zum Krieg in der Ukraine abgegeben, die wir aber für unzureichend halten.

Der Ausschuss für die Beziehungen der Internationalen der Anarchistischen Föderationen (CRIFA), der am 19. und 20. März in Marseille getagt hat, hat unter anderem Fragen im Zusammenhang mit dem anhaltenden Krieg in der Ukraine diskutiert. Obwohl die Mitgliedsverbände in einigen Punkten unterschiedlicher Meinung sind, kamen sie überein, die Diskussion fortzusetzen. Die Debatte führte zu gemeinsamen Positionen, die in einer Kompromisserklärung mit dem Titel „Gegen Krieg, für globale Solidarität“ zusammengefasst wurden (vollständiger Text am Ende dieses Artikels).

Die Tschechische Anarchistische Föderation (AF) hat der Erklärung zugestimmt, weil sie einige allgemeine Prinzipien zum Ausdruck bringt, die auch unsere eigenen sind, ist aber intern dennoch sehr unzufrieden mit der Erklärung und beteiligt sich daher an der weiteren Diskussion. Wir gehen in die gemeinsame Debatte mit einer Erklärung unserer Positionen, einem Verweis auf unsere Aktivitäten und die Punkte, die wir für wesentlich halten. Es handelt sich aber nicht nur um eine interne Debatte innerhalb die Internationale der Anarchistischen Föderationen (IFA), sondern unsere Ausführungen richten sich an die breitere antiautoritäre Bewegung (insbesondere) in Europa.

Hier sind also die kurz zusammen gefassten Diskussionspunkte von AF:

1) Wir verstehen die gemeinsame IFA-Erklärung als einen Kompromiss, der jedoch unsere Positionen nicht vollständig zum Ausdruck bringt.

2) Wir plädieren in erster Linie dafür, dass die Bewegung die Anarchist*innen in der Ukraine, Russland und Belarus anhören sollte.

3) Wir betrachten jede Geringschätzung ihrer Positionen und Entscheidungen als arrogant, unempathisch und als Ausdruck ideologischer Vormachtstellung, die für uns inakzeptabel ist. Osteuropa wird vom westlichen Machtblock seit langem auf diese Art und Weise behandelt. Wir haben nicht vor, so etwas in der internationalen anarchistischen Bewegung zu dulden.

4) Wir unterstützen die kämpferischen und nicht kämpferischen Aktivitäten der Anarchist*innen in der Ukraine voll und ganz. Wir sind mit ihren Positionen und Dilemmas vertraut. Wir schätzen ihre schwierigen Entscheidungen. Wir weigern uns, sie aus der Bequemlichkeit friedlicher Territorien heraus ideologisch zu beurteilen.

5) Wir erkennen die Notwendigkeit an, die russische Invasion im Interesse der Arbeiter*innenklasse in der Ukraine sowie in Russland und Belarus schnell zurückzuschlagen. Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, ist die militärische Niederlage der russischen Armee. Derzeit gibt es in Russland und Belarus keine ausreichend starke antimilitaristische Bewegung, um den Angriff wirksam zu sabotieren, und es ist nicht zu erwarten, dass sich diese Situation in naher Zukunft ändern wird.

6) Wir finden es unverschämt zu behaupten, dass beide Seiten des Krieges in der Ukraine gleich sind. Putins Regime ist unendlich viel brutaler als eine kapitalistische Demokratie, in der es zumindest einige Möglichkeiten für die Entwicklung antiautoritärer Netzwerke und Beziehungen gibt. Darüber hinaus hält sich die russische Armee in keiner Weise an sämtliche internationalen Menschenrechtskonventionen; im Gegenteil, sie richtet systematisch Massaker unter der Zivilbevölkerung an, um die Moral der Verteidiger*innen zu untergraben. Die Unterstützung des bewaffneten Kampfes gegen die Besatzer*innen ist daher eine Pflicht für jeden, der sich in den Augen der ukrainischen Bevölkerung nicht völlig diskreditieren möchte.

7) Wir stimmen nicht mit der Behauptung überein, dass es sich um einen Krieg zwischen Russland und der NATO handelt. Einige NATO-Staaten sind pro-russisch (Ungarn), die meisten halten sich fern oder haben lediglich Erklärungen abgegeben und begrenzte Sanktionen verhängt, um das Kapital im eigenen Land nicht zu schädigen. Die praktische Unterstützung der NATO für die Ukraine ist völlig unbedeutend, zögerlich und alibihaft. Mit diesem Ansatz hat die NATO die Ukraine praktisch geopfert und die gesamte Last der russischen Invasion der Ukraine und ihrer Bevölkerung überlassen.

8) Wir unterstützen die von Repression betroffenen Anarchist*innen in Russland und Belarus aktiv.

9) Wir bedauern, dass Anarchist*innen nicht in der Lage sind, auf internationaler Ebene eine klarere Position zu beziehen und insgesamt den Genoss*innen in den betroffenen Ländern praktische Unterstützung zu geben. Wir befürchten, dass die defätistischen Erklärungen viele Organisationen und Kollektive in den Augen unserer Freund*innen aus Osteuropa diskreditieren werden. Wir bedauern, dass zum Beispiel osteuropäische Organisationen angesichts des Versagens der IFA, flexibel und einfühlsam zu reagieren, wohl kaum mehr mit ihr zusammenarbeiten werden. Dies wird einen Teufelskreis der Vorherrschaft von Verbänden schaffen, die nicht direkt von dem aktuellen Konflikt betroffen sind.

Wir könnten natürlich noch mehr dazu sagen, aber wir erachten es nicht als zweckmäßig. Wir wollen zuhören und praktische Solidarität leisten, statt Slogans, die angesichts der Realität nutzlos erscheinen.

Wir wollen zeigen, dass die Positionen von Anarchist*innen außerhalb der imperialen Zentren der westlichen Zivilisation wertvoll sind und Respekt verdienen. Wir verstehen Anarchismus als eine Reihe von Prinzipien, die in der Lage sind, dynamisch auf das zu reagieren, was um uns herum geschieht, und nicht als eine starre Ideologie ohne Bezug zur Realität. Wir wollen in erster Linie Menschen und Gemeinschaften sehen, nicht unsere eigenen Egos, die in ideologischen und kulturellen Rahmenbedingungen gefangen sind.

Anarchistická Federace

April, 2022

IFA: Gegen Krieg, für globale Solidarität

Das Komitee für Beziehungen der Internationale der Anarchistischen Föderationen (CRIFA) traf sich am 19. und 20. März 2022 in Marseille und diskutierte Aspekte des laufenden Krieges in der Ukraine. Obwohl es in einigen Punkten unterschiedliche Ansichten unter den Mitgliedsverbänden gibt, zu denen wir uns verpflichten, den Austausch und die konstruktive Diskussion fortzusetzen, ergaben sich aus der Diskussion wichtige gemeinsame Punkte.

Wir verurteilen die verbrecherische Aggression gegen die Ukraine, die von der russischen Regierung vorangetrieben wird, zusammen mit jeglichem Militarismus, und wir sind solidarisch mit den unterdrückten Menschen auf beiden Seiten der Grenze, indem wir aktive Unterstützung für die Opfer des Konflikts, für Geflüchtete, Deserteure und Gefangene auf allen Seiten dieses Krieges und seiner möglichen Ausweitung fördern. In den Kontexten, in denen unsere verschiedenen Verbände tätig sind, müssen wir die Rolle der NATO, der USA und der EU aufdecken und bekämpfen, die ebenfalls die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der russische Staat seinen schwächeren Nachbar*innen mit der Komplizenschaft seiner Marionette Belarus angreifen kann. Wir verurteilen den Anstieg des Autoritarismus in der ganzen Welt in den letzten Jahren, der die wachsende Rolle der Armeen in der allgemeinen Politik mit sich gebracht hat. In der gegenwärtigen Situation betonen wir insbesondere die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft im Zusammenhang mit der zunehmenden Aufrüstung in der EU und dem allgemeinen Ruf nach einer europäischen Armee, die zu Lasten der Sozialausgaben geht.

Die mittellosen und unterdrückten Menschen auf der Welt sind immer die Verlierer*innen in Kriegen. Sie sind zu Kanonenfutter geworden, wurden aus ihren Häusern vertrieben und sehen sich als Folge dieses Krieges mit Armut und Krankheit konfrontiert. Gleichzeitig arbeiten die globalen Bosse weiter daran, die Ressourcen der Welt zu kontrollieren. Wir stellen uns gegen den globalen Kapitalismus und den Nationalismus, die die Ursachen des Krieges sind. Stattdessen müssen wir den Klassenkampf führen, indem wir der Kriegsindustrie und den öffentlichen Ausgaben für den Krieg sowie der gesamten Kriegslogik entgegentreten und breitere horizontale Mobilisierungen von Arbeiter*innen und Kollektiven fördern.

Ebenso betonen wir die Gefahr, den Fehler zu begehen, „unsere“ Nation oder „unser“ Land zu verteidigen, indem wir unsere antinationalistischen und defätistischen/verweigernden Positionen hervorheben, da unser Feind in „unserem“ Land und „unserem“ Nationalstaat oder der nationalen Bourgeoisie sitzt. Stattdessen zielen wir darauf ab, Solidarität unter allen Proletarier*innen aufzubauen und den globalen Charakter der kapitalistischen Staaten zu betonen.

Indem wir unsere historischen Werte des Internationalismus, der Solidarität und der weltweiten Verbundenheit über die Grenzen hinweg bestätigen, bekräftigen wir unseren Widerstand gegen alle Verbrechen und Massaker des Kapitals und des Staates, vom Völkermord an den schwarzen und indigenen Völkern, der bis heute in Brasilien, Lateinamerika und im gesamten globalen Süden andauert, bis hin zur Zerstörung der Umwelt durch die Logik der Staaten, des Profits und der Märkte, die das Leben auf unserem Planeten bedroht.

Im immerwährenden Krieg der Unterdrücker*innen gegen die Unterdrückten sehen wir die Verschlechterung der Lebensbedingungen der mittellosen Menschen auf der ganzen Welt aufgrund der Pandemie und regionalen Kriege, die in den letzten Jahren begonnen haben, als Folge der steigenden Kosten für die Grundversorgung und weiterer Ausgaben für Rüstung aufgrund der Kriegswirtschaft. Wir betonen besonders die Tragödie der Migrant*innen, der marginalisierten und ethnisch definierten Menschen, denen die elementarsten Rechte verweigert werden, und wir stehen an der Seite der Letzten, der Vergessenen, der Diskriminierten, gegen Staaten, Kapitalismus, Faschismus, Rassismus, Patriarchat und Ausbeutung.

Internationale der Anarchistischen Föderationen

4. April, 2022


Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.