
Berlin. Die Kundgebung startete 45 Minuten vor dem Gerichtstermin mit kraftvollen Reden und ein wenig Musik. Comrades eines anderen Verfahren, in dem 8 Leute für die Unterbrechung der Bundespresseschau 2019 für den kurdischen Kampf angeklagt waren, kamen auch dazu. Diese wurden gegen Auflagen nicht verurteilt.
12:15 ging der Prozess wegen 125a schliesslich los. Viele Leute wollten rein, doch nur 12 konnten. Der Rest blieb draussen bis der Prozess vorbei war. Es war ein starker Moment des Zusammenkommens, der Unterstützung der Beschuldigten und des Kampfes gegen das Justizsystem.
Ursprünglich veröffentlicht von Kontrapolis. (Tor-Adresse).
Drinnen war es während dem Prozess voll und die Beschuldigte las ein Statement vor. Die Atmosphäre war gespannt und das Publikum hatte die Gelegenheit durch Applaus, Kommentare und Verärgerung von Richterin und Staatsanwalt teilzunehmen.
Nur einer der Bulletten (Eike Bünsow) kreuzte auf und gab wieder an, die Beschuldigte beim Werfen eines Gegenstandes – möglicherweisse eines grauen Steines – in Richtung eines Gebäudes gesehen zu haben. Er sah nicht, ob das Geschoss das Gebäude traf oder ob ein Schaden entstand. Der andere Bullette (PM Meier) kam gar nicht, und das unentschuldigt. Der Anwalt beantragte, dass dieser den Gerichtstermin zahlen solle.
Das Verfahren wird nun am 29.11. um 15:00 im selben Raum fortgesetzt. Es ist wieder öffentlich, es wird aber keine Kundgebung draussen geben. Die Angeklagte muss auch nicht erscheinen und kann durch ihren Anwalt vertreten werden.
Prozess Erklärung der Beschuldigten und ihrer Soligruppe
Am 01.08.2020 haben sich tausende Menschen unter dem Motto „Raus aus der Defensive“ die Straßen von Neukölln genommen – gegen die Verdrängung von selbstorganisierten Räumen, die Gentrifizierung unserer Städte, die unterdrückende Regierung, die schon seit Jahrzehnten versucht, ihr Modell von sterilen Nachbarschaften durchzusetzen und gegen die Übernahme der totalen Kontrolle über unser Leben. Die Wut der Demonstrant*innen verwies die unterdrückende Kräfte des Staates und Symbole der Gentrifizierung an deren rechten Platz, indem sie von kämpfenden Menschen in die Defensive gedrängt wurden – wenn auch nur temporär. Das Ereignis, das an diesem Datum stattfand, war nicht etwa ein Bild der Vergangenheit oder einer dystopische Zukunft, sondern eine Realität der wir ins Auge sehen.
Aber am 1. August 2020 konnte man auch Zeuge der brutalen Auflösung von einer Demonstration von tausenden von Leuten werden, die gegen die Räumung von Projekten demonstrierten. Riesige Mengen Pfefferspray wurden eingesetzt und Gewalt durch die Polizei verursachte ernsthafte Verletzungen – auch durch die 11. Einsatzhundertschaft. Eben jener Einheit, die heute in Person von Eike Bünsow hier vertreten ist, um eine Geschichte zu erzählen, die zur repressiven Strategie passt und auf der ihre Karriere aufbauen kann. Einer der Anführer exakt dieser Einheit, Sebastian Gerlach, wurde vor einigen Monaten vom eigenen Gesetz als nicht glaubwürdig verurteilt. Etwa zur selben Zeit wurde ein anderer Polizist wiederum der selben Einheit aus dem Bereitschaftsdienst ausgeschlossen weil er zu gewalttätig war. Generell mit Polizist*innen und im besonderen mit dieser Hundertschaft haben wir es mit Staatsbütteln zu tun, die Gewalt, Misshandlung und politische Verfolgung in hunderten von Fällen zu verantworten haben. Ihre Verurteilung wirft ein oberflächliches Licht auf ein sorgfältig unterschlagenes Phänomen und überschattet gleichzeitig all die anderen Fälle, die den Menschen Berlins ins Bewusstsein gebrannt sind, indem die Verhaltensweisen von einigen Polizist*innen als Einzelfälle dargestellt werden. Wir wissen: die Polizei unterdrückt, foltert, vergewaltigt und mordet um dem Profit von Staat und Kapital zu dienen. Und es wird nicht besser.
Es wird nicht besser, denn diese Art von Repression zeigt das Gewaltmonopol mit Ursprung im römischen Reich. Herrscher und Noble schufen das Recht des Ewigen Landfrieden 1495 um Gewalt in spezifischen Gebieten zu legitimieren, um ihre eigenen legalen Ansprüche innerhalb der Lehen zu behaupten und einen stärkeren Nationalstaat zu erleichtern oder imperiale Macht zu verbreitern. Der deutsche Staat hat dieses Gesetz in den Paragraph 125, den „Landfriedensbruch“ umgestaltet und dieses Gewaltmonopol wird nun gegen die Unterdrückten angewandt, die jedem Monopol entgegnen, indem sie ihre Wut im Bereich der Öffentlichkeit zeigen. Öffentlicher Frieden ist inexistent, denn die Störung kommt durch Land- und Grundeigentümer und ihre Zusammenarbeit mit dem Staat. Dieser unterdrückt unseren Willen zur Freiheit durch ihre legalisierte Gewalt und um die Ordnung zu erhalten, schmeißen sie uns einige Krumen wie das 9 Euro Ticket hin.
Diesen Vorwurf in Form des Paragraphen 125A zu nutzen, bedeutet das Narrativ der legitimen Gewalt zu nutzen ohne darüber nachzudenken, wie Unterdrückung in Westeuropa aussieht. Im Bewusstsein dessen erscheint das Gericht als nichts anderes als ein absurdes Puppentheater, da es immernoch die Macht für die Herrscher von heute und morgen schützt. Sie lassen sich willig für den Schutz von Land, Eigentum und Unternehmen gebrauchen.
Sie geben vor, den öffentlichen Frieden, legitimiert durch das Gewaltmonopol, gegen die Unterdrückten durch Repression, Landausbeutung und Mord zu verteidigen. In diesem gut einstudierten Theater wird die Angeklagte dafür kriminalisiert, wütend wegen des Entzugs existenzieller Bedürfnisse zu sein. Dieses Gesetz ist kein Schutz von öffentlichem Frieden, dieses Gesetz ist ein Werkzeug der Repression und der Herstellung einer Friedhofsruhe.
Und von Berlin nach Minneapolis, von Nicaragua bis Griechenland, bis Iran, Indonesien und der Türkei – überall ertränken die repressiven Kräfte Revolten in Blut und Migranten in den Meeren. Was vor zwei Jahren auf dieser Demonstration geschah, war eine minimale Antwort und ein massives Anzeichen von Gegengewalt gegen die Brutalität des Staates und des Kapitals. Momente wie dieser am 1. August zeigen uns, dass unsere Stärke darin liegt, gemeinsam zu kämpfen.
Dies ist ein kollektiver Kampf gegen die Umfunktionierung unserer Straßen in Gebiete des Konsums, welche zur Vertreibung von Einwohner*innen und zur Einschränkung unseres Zugangs zu öffentlichen Räumen führt. Also dazu, dass jeder mögliche Raum für soziopolitische Entwicklungen, die möglicherweiße den existierenden Machtkomplex der Herrschaft in Frage stellen könnten, verschwindet.
Eine anhaltende Gentrifizierung ist dazu bestimmt, unsere Nachbarschaften und Städte zu säubern und sie für die Gier des Kapitalismus, der sich selbst als Lösung aller Probleme darstelt, zu sterilisieren. Politisches und ökonomisches Ziel ist es, sie in private Erholungsgebiete, Orte kapitalistischen Warentauschs oder Land für Spekulation zu verwandeln. Die Verbindung von selbstorganisierten Orten mit lokalen Kämpfen, mit solidarischen Aktionen und mit ihren Netzwerken gibt ihnen einen Wert. Sie dienen als Orte und als Boden für die Kämpfe die gekämpft werden müssen. Sie werden zu Bezugspunkten in ihrer sozialen Umgebung. Sie sind als Territorien definiert, weil es Orte sind wo Menschen eine Reihe von essentiellen Bedürfnissen und Freiheiten haben, die sie in keinem kommerziellen oder staatlichen Ort finden. Denn kommerzielle und staatliche Orte werden allesamt nur aus der kalten Logik des Profits gespeist.
Der Angriff auf die selbstorganisierten Orte und Strukturen der antagonistischen Bewegung, der 2020 bis 2022 stattfand, ist kein Spezifikum der damaligen Regierung, dass sie von früheren oder späteren unterscheidet. Je nach Verwalter der Macht und Regierungschef kann sich die Wahl der Worte und ihre Aggressivität ändern. Doch nichts weiter ändert sich.
Andere kämpfende Teile der Gesellschaft waren immer ähnlichen Angriffen ausgesetzt: von den unbezahlten Arbeiter*innen beim Gorillaz Lieferdienst über die Jugendlichen, die sich während Covid-19 in den Parks aufhielten, die Gefangenen in deutschen Knästen, die während der Pandemie widerlichen Bedingungen unterworfen waren, die Bewohner*innen des Camps an der Rummelsbucht, die pünktlich zur Winterkälte 2021 gewaltsam geräumt wurden, bis hin zu den politischen Individuen, die ins staatliche Visier geraten und eingesperrt werden… diese Liste ist lang. Es sind nur Beispiele für all die Fälle der permenenten Angriffe und Abwertungen. Am Ende wird jede Person, die sich gegen die etablierte Autorität wendet von ihrer Arbeit gefeuert, verprügelt oder gar auf offener Straße oder in ihrer Wohnung ermordet, oder ohne Beweise festgenommen und vom Rest der Gesellschaft marginalisiert.
Die Notwendigkeit der Reaktion wächst mit jedem Tag, genau wie die Ausbeutung und der Angriff, den wir erfahren. Wenn wir von diesem Angriff reden, beziehen wir uns nicht bloß auf direkte Repression, sondern auch auf indirekte, beispielsweise die Erhöhung von Miet-, Strom- und Gaskosten, so wie die konstante Reevaluierung unserer grundlegenden Lebensnotwendigkeiten. Auch reden wir vom Krieg und von Umweltzerstörung als Angriff von Oben auf uns.
Auf der Demonstration am 01.08.2020 verteidigten wir nicht bloß eine linke Bar, sondern schufen einen weiteren Moment des kollektiven Widerstands, um angesichts all der Taten dieses ungerechten und gewaltvollen Systems zurück zuschlagen. Das System, in welchem Investoren, Polizisten, Richter und Staatsanwälte ihre Karrieren und ihren Profit auf der täglichen Unterdrückung und Ermordung Tausender bauen.
Aus all diesen Gründen und vielen mehr verteidigen wir unsere Territorien. Unser Kampf geht nicht nur darum, unseren Besitz zu retten, sondern auch die Perspektive der totalen Befreiung für alle am Leben zu halten.
Als eine antagonistische Bewegung bauen wir jedes Mal Hürden, wenn der Staat und kapitalistische Aggression sich manifestieren.
Gegen den Alptraum einer verwesenden Gegenwart und Zukunft ist der einzige Ausweg ein kollektiver Kampf für eine Welt der Gleichheit, Solidarität und Freiheit.