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Aufstandsbekämpfung: Die Löschung der Flammen von #Minneapolis – von Peter Gelderloos

Welche Techniken der Aufstandsbekämpfung setzt der Staat ein, um die Bewegung anzugreifen und zu untergraben, wenn sich Menschen gegen Polizeigewalt und strukturellen Rassismus erheben?

Ursprünglich veröffentlicht von Roar Mag. Geschrieben von Peter Gelderloos. Übersetzt von Enough 14.

Der Aufstand, der sich seit dem Polizeimord an George Floyd am 25. Mai in Minneapolis über die Vereinigten Staaten ausbreitete, ist wie jede aufrührerische Bewegung auf polizeiliche Strategien der Aufstandsbekämpfung gestoßen. Es ist ausführlich dokumentiert, wie moderne Polizeieinheiten systematisch Strategien zur Aufstandsbekämpfung gegen ihre eigene Bevölkerung anwenden.

Die bisher sichtbarste Maßnahme der Aufstandsbekämpfung war die Kampagne der direkten, brutalen Repression: Die tausenden von Menschen, welche von Polizei und Nationalgarde im ganzen Land verhaftet und verletzt wurden, sowie auch die Handvoll der Schwarzen, die seit dem 25. Mai ermordet und von Bullen und weißen Selbstjustizlern erschossen wurden.

Nichtsdestotrotz haben sich die Menschen mutig behauptet, indem sie auf den Straßen blieben, den Reichtum durch Plünderungen und gegenseitige Hilfsinitiativen umverteilten, sich gegenseitig mit horizontal organisierter Erster Hilfe und Rechtsbeistand unterstützten, Polizeifahrzeuge und Infrastruktur außer Gefecht setzten, um die Fähigkeit der Bullen, Verletzungen zu verursachen, physisch zu beseitigen, und viele jener Geschäfte zerstörten, welche überhaupt erst zu Gentrifizierung, Ausgrenzung und Polizeigewalt führten.

Es versteht sich von selbst, dass dies eine unglaubliche Leistung ist. Inmitten einer so gefährlichen, sich brutalisierenden, potenziell traumatisierenden Situation ist es die kollektive Stärke, welche die Menschen durchhalten lässt. Deshalb ist in Zeiten wie diesen die andere Seite der Aufstandsbekämpfung, diejenige, welche die Bewegungen gegen sich selbst spaltet, am verhängnisvollsten – zumal es oft die Teilnehmer*innen solcher Bewegungen selbst sind, welche derartige Maßnahmen ermöglichen und reproduzieren.

GEWALTLOSIGKEIT

Seit den britischen Kolonialkriegen in Kenia und Indien haben Polizeistrategen die Notwendigkeit erkannt, Widerstandsbewegungen auf einer Ebene der Gewaltlosigkeit oder einfacher verbaler Meinungsverschiedenheiten verhaftet zu halten. Dies ist eine grundlegende Funktion der Aufstandsbekämpfung: Die Gesellschaft wie eine feindselige Bevölkerung zu behandeln und sie davon abzuhalten, aufzubegehren.

Bei früheren Rebellionen gegen Polizeimorde waren sich Bürgermeister*innen, Polizeioberhäupter*innen und Möchtegern-Protestführer*innen von den ersten Stunden an darin einig, dass nur symbolischer Protest eine legitime Reaktion sei. So geschehen in Oakland nach dem Mord an Oscar Grant und in Ferguson nach dem Mord an Mike Brown. Glücklicherweise haben wir seither schon einen langen Weg zurückgelegt. Die Menschen haben gesehen, dass Bullen nur dann für einen Mord angeklagt werden, wenn es zu Ausschreitungen kommt. Zudem haben wir auch Geschichten von Kämpfen wiederentdeckt, welche von den herrschenden Institutionen gezähmt und manipuliert worden waren.

Nun erinnern wir uns abermals daran, dass fast alle unsere Siege der Vergangenheit, sei es in der Arbeiter*innenbewegung, in Antikriegsbewegungen oder sogar in der Bürgerrechtsbewegung, aus Krawallen, Rebellionen und wilden Aktionen hervorgingen, und zwar gerade in jenen Momenten, in denen wir unkontrollierbar waren.

In den ersten Tagen nach der Ermordung von George Floyd trat kaum jemand offen für Gewaltlosigkeit ein, da es sich angesichts dessen zu deutlich danach angehörte hätte, dass Eigentum über das Leben von Schwarzen gestellt würde. Sogar der Bürgermeister von Minneapolis, behauptete, nachdem Blockläden und eine Polizeistation niedergebrannt worden waren, er könne sich in die Wut der Randalierer hineinversetzen.

Um diese Bewegung zu befrieden, waren subtilere Strategien erforderlich. So bediente man sich der Legende der „Outside Agitators“.

ABOLITIONIST*INNEN UND KRIMINELLE MIGRANT*INNEN

Das Konzept des „Outside Agitator“ [1] ist ein sehr alter Hut. Zu seinen ersten Verwendungen gehörte die Delegitimierung der Rebellionen versklavter Menschen, was darauf hindeuten sollte, dass die Afrikaner*innen nicht von sich aus rebellieren wollten oder nicht klug genug wären, dies zu tun, und stattdessen von ruchlosen weißen Abolitionist*innen aus dem Norden in die Rebellion geführt wurden. Ein weiterer früher Einsatz richtete sich gegen Anarchisten*innen, die vor allem in der US-Bewegung häufig Immigrant*innen waren und als solche fremdenfeindlichen Vorurteilen ausgesetzt.

Der Auftritt des „Outside Agitators“ ist eine psychologische Operation, welche suggerieren soll, dass diejenigen, die sich auflehnen, keine Legitimität dazu haben. Diejenigen, welche von außen kommen, bedrohen das geschlossene, örtliche System von Unterdrücker*innen und Unterdrückten. Den Außenstehenden werden böse, hinterhältige Motive unterstellt, während die Autoritäten einfach aus dem Wunsch heraus motiviert sind, dieses geschlossene System zu schützen. Und selbstverständlich wollen sie es schützen: Als die Unterdrücker*innen in diesem geschlossenen System sind sie diejenigen, welche davon profitieren. Solidarität und kollektive Macht werden vermieden, da die Menschen gezwungen sind, allen zu misstrauen, die nicht aus einem sehr kleinen Kreis kommen, wie beispielsweise Familienangehörige oder unmittelbaren Nachbar*innen. Gehorsam wird normalisiert, während Rebellion als etwas Finsteres dargestellt wird.

Ein weiteres beunruhigendes Element dieses Bildes ist die Andeutung, dass Weiße unverantwortlich seien, wenn sie auch gegen die Sklaverei kämpfen wollen, und dass Menschen, welche in anderen Ländern geboren wurden, verdächtig sind, wenn sie behaupten, auch unter dem Kapitalismus zu leiden. Die rassistischen, klassenbedingten Implikationen lassen sich gut auf die modernen Verwendungen des provokativen Buhmanns projizieren.

Die Logik der Aufstandsbekämpfung ist über das gesamte politische Spektrum verbreitet: Jede*r, der*/die* ein offiziell anerkanntes Recht hat, die sich entfaltende Rebellion zu kommentieren, jede*r, der*dem* von den Mainstream-Medien ein Megaphon gegeben wurde, hat vor`m „Outside Agitator“ gewarnt. Trump tut es, die meisten Polizeipräsident*innen tun es, demokratische Bürgermeister*innen tun es, sogar der progressive Flügel der Demokratischen Partei wie Ilhan Omar und Alexandria Ocasio-Cortez tun es. Die Rechtsextremen fügen den offensichtlich antisemitischen Hinweis hinzu, dass George Soros diese Agitatoren, die „professionellen Anarchist*innen“, finanziert, aber nichtsdestotrotz benutzen sie alle einen Ausdruck, welcher unheilbar rassistisch ist.

FÜR DIE BULLEN ARBEITEN

Die am häufigsten wiederholte Darstellung dieser Verschwörungstheorie, welche unter Menschen zirkuliert, die sich tatsächlich an Bewegungen gegen Polizeibrutalität beteiligen, lässt vermuten, dass der „Outside Agitator“ in Wirklichkeit die Polizei selbst ist, sogenannte Agent Provocateurs. Wie könnte den Bullen die Schuld an der Gewalt zu geben diesen möglicherweise in die Hände spielen?

Dies ist in der Tat eine der effektivsten und auch verhängnisvollsten Neuauflagen des Diskurses der Aufstandsbekämpfung, gerade weil die Leute, die ihn verbreiten, nicht erkennen, dass sie Befriedung begünstigen und die Arbeit der Bullen erledigen.

Wenn es nur Medien und Politiker*innen sind, welche behaupten, dass unsere Bewegungen unzulässig oder unsere Methoden zu extrem sind, spielt das eigentlich keine große Rolle, denn um einen revolutionären Wandel in der Gesellschaft herbeizuführen, müssen wir ohnehin stark genug sein, um gegen die Medien und die Regierung vorzugehen. Wenn sich die Bewegung allerdings gegen sich selbst wendet, verlieren wir.

Wie ich in The Failure of Nonviolence (Auch im Enough Info-Café erhältlich) dokumentierte, setzt das Anprangern von Demonstrant*innen als Infiltrator*innen, diese der Gewaltätigkeit aus, selbst wenn dies von Pazifist*innen getan wird. Es ist ein Signal an die Menge, dass die Person, welche herausgegriffen wird, eine Bedrohung und auch eine unvernünftige Kraft darstellt: Sie ist nicht die Person, welche sie vorgibt zu sein. Randalierer*innen können in der Tat sowohl vernünftig als auch höflich sein. Es ist nicht ungewöhnlich, inmitten eines Krawalls, umgeben von lodernden Lagerfeuern, Leute Dinge sagen zu hören wie: „Zündet den nicht an, es ist ein billiges Modell, das ist kein Auto eines Reichen“ oder „Hey, schnappen wir uns die Feuerlöscher, es gibt Wohnungen über diesem Bankgebäude, und wir wollen nicht, dass die Brände zu groß werden“. Natürlich finden solche Gespräche in den meisten Fällen nonverbal statt, aber im Allgemeinen besteht ein Teil der Schönheit eines Aufruhrs darin, dass sich Fremde umeinander kümmern.

Wenn jedoch jemand beschuldigt wird, ein*e Infiltrant*in, ein*e falsche*r Demonstrant*in zu sein, wird ein Dialog unmöglich, weil a priori eine ehrliche Kommunikation von dem, was er*/sie* angeblich ist, ausgeschlossen wird. Diejenigen, welche derartige Anschuldigungen verbreiten, hoffen in Wirklichkeit, dass die Menge auf hässlichere Methoden zurückgreift, um sich selbst zu schützen: die*/den* vermeintlichen Provokateur*in verprügeln und der Polizei übergeben.

Genau auf diese Weise verlangten die politischen Parteien im Oktober 2017 Gewaltlosigkeit von der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und setzten ihre immensen Mittel ein, um das Gerücht zu verbreiten, dass verdeckte Ermittler*innen bei den Protesten Gewalttaten planen. Das Ausmaß des doppelten Denkens war unbestreitbar: Im Namen der Gewaltlosigkeit griffen die Leute diejenigen an, welche mit der Zerstörung von Eigentum begannen, was beweist, dass sie logischerweise nicht glaubten, dass solche Demonstrant*innen tatsächlich Bullen waren, sonst hätten sie diese nie verprügelt. Vielmehr verwandelte der Vorwurf, ein*e Provokateur*in zu sein, diese Demonstrant*innen in homo sacer, Menschen ohne Legitimation und ohne Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Ironischerweise tun diejenigen, die sich auf diese Art von Spitzeljagd einlassen, etwas sehr Ähnliches wie Amy Cooper im Central Park, indem sie die Polizei anrufen und lügen, dass sie bedroht wurden, wohl wissend, dass das Ziel ihrer Beschuldigung Polizeigewalt ausgesetzt sein wird.

Und wir haben bereits gesehen, wie Protestierende in verschiedenen Städten Demonstrant*innen angegriffen und wegen Sachbeschädigung direkt der Polizei übergeben haben, wobei wieder einmal das Kapital mehr geschätzt wurde als das menschliche Leben, was exakt jene Denkweise ist, welche überhaupt erst zu Polizeimorden führt.

Ein weiteres Problem in diesem Diskurs ist, wie er von der größeren Gewalt ablenkt. Ganz ehrlich, wen kümmert es schon, wenn jemand ein Target zerstört oder einen Gemischtwarenladen plündert? Menschen werden ermordet. Schwarze müssen jeden Tag unter der Bedrohung eines plötzlichen Todes leben. Diejenigen, die sich auf die Zerstörung von Eigentum konzentrieren, sollen sich dafür schämen, dass ihre Prioritäten so aus dem Rahmen fallen.

Ja, Krawalle können sowohl erfolgreich als auch schlecht durchgeführt werden, in einer Weise welche andere gefährdet. Allerdings sind die sozialen Medien nicht der richtige Ort, um diese Kritik zu äußern, zumal wir nie wissen können, ob die Kritik von jemandem kommt, der tatsächlich dort war, noch ist es möglich zu wissen, was in dem Video, welches sie als Beweis für ihre Anschuldigung präsentieren, ausgelassen wurde.

Oft wird Kritik im Moment des Protests selbst geteilt, und das kann wirksam sein, wenn die Menschen anfangen, im Vertrauen zu kommunizieren. Allerdings kann man mitunter im Chaos einer Demo unter vollem Polizeiangriff nicht besonders gut kommunizieren. Doch haben ernstzunehmende soziale Bewegungen andere Möglichkeiten, um über solche Konflikte zu sprechen und jüngere Menschen über die bestmöglichen Wege, sich an Protesten zu beteiligen, aufzuklären. Zu akzeptieren, dass die sozialen Medien ein grässlicher Ort für solche Gespräche sind, würde es sehr erleichtern, die Gerüchteküche auszuschalten, bevor diese überhaupt beginnt.

Es gibt noch ein weiteres Problem mit der Provokateur-Geschichte: Sie verbreitet die Idee, die Polizei bräuchte eine Rechtfertigung, um Demonstrant*innen anzugreifen und Menschen zu töten. Darin liegt schließlich das gemeinsame Element dieser Verschwörungstheorie. Warum zerschlägt die Polizei angeblich Fenster oder lässt einen leeren Streifenwagen stehen, damit die Demonstrant*innen ihn verbrennen? Damit sie eine Rechtfertigung dafür hat, den Protest aufzulösen.

Wann hat die Polizei schon jemals eine Rechtfertigung gebraucht? Es ist eine absolute Schönfärberei zu behaupten, dass die Polizei sogar vorgibt, reaktiv zu sein, und nur dann aus ihrem Arsenal ausbricht, wenn es durchaus den Anschein haben könnte, dass sie einen guten Grund dafür hat. Auf welchem Planeten leben diese Menschen? Wie viele unbewaffnete Schwarze müssen noch ermordet werden, wie viele friedliche Proteste müssen noch von sichtlich sadistischen Bullen angegriffen werden, damit die Menschen diese Vorstellung von „Rechtfertigung“ aus ihren Köpfen verbannen können? Die Vorstellung, dass die Polizei reaktiv sei, selbst wenn sie auf niederträchtige Weise reagiert, steht in direktem Widerspruch zum Kampf um die Abschaffung der Polizei.

VERSCHWÖRUNGEN, DIE DAS HANDELN UNTERGRABEN

Diese Art von konspirierendem Denken verbreitet auch die Auffassung, dass wir keine Handlungsfreiheit haben, dass die Bullen die allmächtigen Marionettenspieler*innen sind und dass alles, was wir tun, ihnen in die Hände spielt. Diese Sichtweise schränkt unsere eigenen Entscheidungen, darüber wie wir reagieren sollten, ein. Die wichtigste Frage ist nicht, was die Bullen wollen, dass wir tun? Die entscheidende Frage ist: Wie müssen die am stärksten betroffenen – Schwarze und Braune Menschen – auf diese systemische Gewalt reagieren? Und zweitens, welche Strategien müssen andere Menschen haben, um sie dabei zu unterstützen und angesichts der komplexen Schnittmengen von Unterdrückung, außerdem noch jene Formen staatlicher Gewalt zurückzudrängen, von denen hellhäutige Menschen betroffen sind.

Die Bullen sind nicht unfehlbar. Sie schleussen cerdeckte Ermittler*innen ein. Meistens, um Informationen zu beschaffen, manchmal, um Verhaftungen durchzuführen, gelegentlich, um eine Aktion zu provozieren, welche Leute in die Falle lockt. Selbst wenn die Bullen Eigentum zerstören, verblasst dies im Vergleich zu all den Malen, in denen sie die Demonstrant*innen zur Gewaltlosigkeit auffordern. Und wenn sie sich einschleusen, sind sie kaum allmächtige Marionettenspieler*innen. Cops sind oftmals nicht allzu intelligent. Tatsächlich wurde die Revolution im Russland von 1905 zum Teil durch einen Polizeiinformanten ausgelöst, welcher sich hinreißen ließ. Wir müssen uns auf unsere eigenen Entscheidungen, unsere eigenen Bedürfnisse und unsere eigenen Strategien konzentrieren.

Ohne unsere eigenen Ziele aus den Augen zu verlieren, nützt es dennoch, ein Bewusstsein für den Feind zu haben. Es ist wohl kein Zufall, dass progressive Politiker*innen, rechte Politikerinnen und Polizeioberhäupter allesamt wollen, dass wir gewaltfrei bleiben. Das bedeutet nicht, dass wir blindlings das Gegenteil von dem tun sollten, was wir glauben, dass sie wollen, aber wir sollten auch nicht blind dafür sein, was sie uns antun wollen. Der Sinn einer Strategie zur Aufstandsbekämpfung besteht darin, Aufstände die zu schwierig oder zu kostspielig sind um sie mit rein militärischer Gewalt zu vernichten, zu befrieden,. Unser Ziel sollte es sein, diese Rebellionen wachsen zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich frei zu äußern, indem wir unterdrückerische Strukturen angreifen und die Welt, die wir anstreben, vorwegnehmen.

Hierzu ist es notwendig, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie Strategien zur Aufstandsbekämpfung funktionieren. Im digitalen Zeitalter besteht einer der wichtigsten Bereiche für Verbesserungen darin, sich gegenseitig beizubringen, wie man Verschwörungstheorien erkennt und grundlegende Beweisstandards anwendet.

Nur weil jemand in den sozialen Medien sagt, ein Video stamme von einem bestimmten Ort oder einer bestimmten Zeit oder zeige eine bestimmte Sache, heißt das noch lange nicht, dass dies auch wahr ist. Tatsächlich sind „Beweise“ in sozialen Medien äußerst anfällig für Andeutungen. Als Beispiel dokumentiert ist das Gerücht, dass ein Demonstrant des Schwarzen Blocks nach einem Protest 2012 in Madrid als Polizist entlarvt wurde und das dazugehörige Video anschließend viral um herging. Es spielte keine Rolle, dass in dem Video zu sehen ist, dass der Polizist in der Realität keine Maske trug und nicht in der typischen Black Block Klamotte gekleidet war. Die einfache Tatsache, dass die Botschaft, welche mit dem Video einherging, eine Behauptung über das Aussehen des Polizisten aufstellte, veränderte die Wahrnehmung der Hunderttausenden von Menschen, welche die Videoaufnahme sahen.

Wenn Menschen beginnen, Gerüchte zu verbreiten, die auf fadenscheinigen Beweisen beruhen, muss es zur Standardprozedur werden, diesen Vorgang anzusprechen und einzustellen.

Wir werden in einer viel stärkeren Position sein, sobald einmal jeder begreift, dass Verschwörungstheorien ein Instrument der Rechten sind, selbst wenn sie subversiv daher kommen. Wer kann die 9-11-Truther-Bewegung vergessen? Was könnte subversiver sein, als die Regierung zu beschuldigen, fast 3.000 ihrer eigenen Bürger*innen ermordet zu haben? Im Laufe der Zeit wurde die Rechtslastigkeit der Verschwörungsbewegung unbestreitbar: Die Theorie förderte antisemitische Konfabulierung, sie basierte auf einer hohen Wertschätzung nordamerikanischer Leben und absoluter Gleichgültigkeit gegenüber einer viel größeren Anzahl irakischer und afghanischer Todesopfer, sie lenkte von der Antikriegsbewegung ab und führte zur Entstehung einer „Deep State“-Paranoia, welche von Trump und ähnlichen Rechtsextremen ständig genutzt wird.

DER KAMPF IST DIREKT VOR UNSEREN AUGEN

Es gibt keine verborgene Wahrheit zu entdecken. Die Realität liegt direkt vor uns. Die Polizei ermordet jeden Tag Menschen mit schwarzer und brauner Haut. Sie ermordet Trans-Personen. Sie ermordet Menschen mit psychischen Problemen. Sie ermordet Obdachlose. Sie fördert die Ungleichheit, welche es einigen erlaubt, irrsinnige Mengen an Reichtum anzuhäufen, wodurch viele keinen Zugang zu guter Gesundheitsversorgung oder anständigem Wohnraum haben.

Eine Bewegung, die sich gegen eine solche Realität zur Wehr setzt, ist legitim. Die Methoden, welche sie entwickelt, sind legitim.

Es wird Konflikte geben, es wird Differenzen geben, doch das ist in Ordnung. Was wir nicht tun dürfen, ist, die Strategien zur Aufstandsbekämpfung zu unterstützen, welche dem Staat helfen, diese Bewegung zu spalten und zu befrieden. Die wichtigsten Siege werden auf der Straße errungen werden, in Momenten des Konflikts und in Momenten der Entstehung. Aber die Art und Weise, wie wir über diese Bewegung sprechen, die Geschichten, welche wir teilen, die Erzählungen, die wir kreieren, und die Feinde und Verbündeten, welche wir identifizieren, werden darüber entscheiden, ob der Kampf isoliert und gespalten wird oder ob er weiter wächst.

Peter Gelderloos ist ein Anarchist und Autor, der seit 2007 in Katalonien lebt. Er ist im Häuserkampf und anderen sozialen Bewegungen aktiv.

Fußnoten

[1] Ein „Outside agitator“ ist ein Unruhstifter von Außerhalb (der Stadt, Region oder Land).


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