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Anarchismus featuring COVID-19

Ein Text über Anarchismus und COVID-19 aus „No More City“ #2, einem Magazin aus dem sogenannten Vancouver, British Columbia (dem sogenannten Kanada).

Ursprunglich veröffentlicht von No More Cities #2 (Winter 2001). Geschrieben von Infernal Myrtle. Übersetzt von Riot Turtle für Enough 14.

Viele Anarchist:innen haben von einem möglichen „Bruch“, „Zusammenbruch“ oder einem anderen besonderen Moment während des langsamen Zerbröselns der Zivilisation gesprochen, der neben dem weit verbreiteten Leid, das zweifellos folgen wird, auch einen Silberstreif haben könnte [1]. Es wird angenommen oder erhofft, dass eine solch dramatische Veränderung unserer Lebensbedingungen neue Möglichkeiten eröffnen würde, das Leben zu unseren eigenen Bedingungen zu leben (was, wie ich hier annehme, ein Wunsch ist, den die meisten Anarchist:innen teilen), was zu positiven und/oder befreienden Erfahrungen zumindest für einige Leute während des „Zusammenbruchs“ führen könnte.

Ich würde behaupten, dass COVID-19 die bedeutendste Störung der Existenz, wie wir sie kennen, in meinem Leben war, und laut meiner Mutter auch in ihrem [2]. Warum wurde dann dieser Moment des Bruchs nicht als die Gelegenheit verkündet, auf die wir alle gewartet haben, um Dinge anders zu machen?

Ich möchte mein Leben zu meinen eigenen Bedingungen oder zu Bedingungen leben, die gemeinsam mit meiner Gemeinschaft vereinbart wurde, und meine Abhängigkeit von den Infrastrukturen (lies: Käfige), die mir von Staat und Kapitalismus angeboten werden, minimieren, wenn nicht sogar abschaffen. COVID-19 hat mir eine ausgezeichnete Gelegenheit geboten, die Art und Weise zu untersuchen, in der mein Leben von externen Kräften kontrolliert, die ich mir nicht ausgesucht habe, und ich war sowohl alarmiert als auch deprimiert über den Mangel an Autonomie und Widerstandsfähigkeit, den ich in mein eigenes Leben eingebaut habe.

Theoretisch, wenn wir eine autonome und widerstandsfähige anarchistische Gemeinschaft aufgebaut hätten, könnten wir die Kontrolle über unser Leben behalten, trotz der Existenz des Coronavirus und der in seinem Rahmen auferlegten staatlichen Maßnahmen [3]. Die Beschaffung von Nahrung, Wasser, Unterkunft, Medizin und die Befriedigung sozialer und spiritueller Bedürfnisse sind Aufgaben, von denen ich fest überzeugt bin, dass einige Freunde und ich diese Aufgaben mit ein wenig (oder, sicher, viel) Planung und dem Erlernen von Fähigkeiten weitgehend selbständig erledigen könnten. In der Tat sind das genau die Dinge, an denen ich gerne jeden Tag arbeiten würde, wenn ich aufgestanden bin. Ich kann mir nicht helfen, aber ich möchte meinen Kopf gegen die Wand schlagen, während ich mich frage: Warum habe ich darauf nicht hingearbeitet? Habe ich es versucht? Wenn ja, warum hat es nicht geklappt? Wenn nicht, was zur Hölle habe ich stattdessen gemacht?

Ich hoffe für euch, dass wer auch immer dies liest, sich nicht ganz so düster über die Gegenwart gefühlt hat wie ich. Wie auch immer, ich möchte uns als Gemeinschaft, als Anarchist:innen oder als eine Gruppe lose verbundener fühlender Wesen herausfordern, uns einige dieser Fragen zu stellen. Ich möchte uns herausfordern, das Leben während COVID-19 als eine Chance für Veränderung zu sehen, nicht als eine tote Zeitspanne, die wir einfach überstehen müssen, bis wir wieder zur Normalität zurückkehren (wann wurde Normalität der Inhalt unsere Träume). Und ich wäre besonders daran interessiert, dieses Gespräch mit denjenigen fortzusetzen, die damit beginnen wollen, die Schritte zu identifizieren, die wir unternehmen können, um eine Welt aufzubauen, in der unser soziales Leben, unser Wohlbefinden, unsere Projekte und unsere Fähigkeiten, unsere Bedürfnisse zu erfüllen, uns nicht weggenommen werden können.

Ich plädiere nicht unbedingt für ein Aussteiger:in- oder Lifestylisten-Projekt. Ich glaube, dass eine autarke anarchistische Gemeinschaft in einer viel stärkeren Position wäre, sich in Widerstandsprojekten zu engagieren und anderen, mit denen sie sich im Kampf gegen Herrschaft identifiziert, Solidarität entgegenzubringen, als eine anarchistische Gemeinschaft, deren Angehörige von eben jener Gesellschaft abhängig sind, die wir zerstört sehen wollen.

So unrealistisch dieser Traum in diesem Moment auch erscheinen mag, ich weiß, dass ich von leidenschaftlichen, kreativen und inspirierenden Menschen umgeben bin, die einige der Dinge, die ich hier erwähnt habe, gerne verwirklicht sehen würden. Lasst uns versuchen, die Dunkelheit, in der wir uns jetzt befinden, zu nutzen, um die Ketten zu beleuchten, die uns an das aktuelle System binden. Lasst uns zusammenarbeiten, um diese Ketten zu sprengen und neue Wege in Bezug auf unser eigenes Leben, auf einander und auf die Dinge, die uns tragen, zu schaffen.


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