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Kriminelle oder Terrorist*innen? Egal, wir bleiben Anti-Fascist*innen!

Dresden. Solidaritätstext für die Angeklagten im Dresdner §129-Prozess.

Ursprünglich veröffentlicht von Kontrapolis.

Am 8. September beginnt in Dresden ein Gerichtsrozess gegen Gefährt*innen und Freund*innen. Ihnen wird der Aufbau und die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach dem Paragraphen §129 vorgeworfen. Insgesamt sind zehn Personen angeklagt, allerdings hat der Staatsanwalt beschlossen, die „Gruppe“ zu spalten und nun stehen die ersten vier von ihnen vor Gericht. Lina ist eine derjenigen, die für die erste „Gruppe“ ausgewählt wurden. Sie wurde zunächst im vergangenen Sommer verhaftet, nach ein paar Tagen wieder freigelassen und im November erneut verhaftet. Seitdem befindet sie sich in Präventivhaft. Es scheint, dass Lina für die Dauer des Prozesses inhaftiert bleiben wird. Diese Strategie spaltet nicht nur die konstruierte Gruppe der Angeklagten, sondern macht auch jegliche Diskussion und jeglichen Diskurs zwischen den Angeklagten und den solidarischen Menschen schwierig oder gar unmöglich.

Sie alle werden beschuldigt, in unterschiedlichen Situationen Nazis verprügelt zu haben. Linas Fall ist insofern einzigartig, als dass sie für jeden Angriff auf Nazis in den letzten Jahren verantwortlich gemacht wird, bei dem einer der Nazis behauptete, dass eine Frau an dem Angriff beteiligt war. Die Polizei und das Justizsystem glauben den Aussagen der Nazis. Dieses Narrativ passt perfekt in ihr partriarchales Weltbild, in dem es als äußerst ungewöhnlich auffällt, wenn eine weibliche Person an Gegengewalt teilnimmt. Dem entsprechend muss es also immer die gleiche Frau gewesen sein.

Repression und der §129

Die Repressionsstrategie, die der Staat verfolgt, ist nicht neu. Repression ist eine Folge des Widerstands gegen das herrschende patriarchalische, faschistische, kapitalistische, autoritäre und gewalttätige System. Auch die Idee, eine eigene geeignete Dachorganisation – in diesem Fall „Die Antifa“ – zu konstruieren und oft alle Menschen einzubeziehen, an denen die Justiz interresiert ist, ist wohlbekannt. Wir haben das in vielen §129-Fällen in Deutschland gesehen, aber auch in anderen Ländern; das Ley Mordaza-Gesetz in Spanien und Anti-Terror-Gesetze in Chile und Italien sind nur einige Beispiele. Es handelt sich dabei um einen Versuch des Staates, eine geeignete Organisation zu schaffen, um mehr Ermittlungs- und Überwachungsinstrumente einsetzen zu können, mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Anklagen gegen Einzelpersonen steigt. In diesem Zusammenhang führt die Beschuldigung einer als Teil einer Gruppe geplanten und durchgeführten Aktion auch zu härteren Strafen als eine Untersuchung oder Anklage als Einzelperson. Individualisierung, Isolierung und Distanzierung von Einzelpersonen, Gruppen, Freund*innen und Genoss*innen ist das Hauptziel, und die Botschaft ist klar: Jede Art von vermeintlicher Verbindung, Kollektivität oder individueller Initiative, die wir haben und die sich gegen das System richtet, reicht dem Staat aus, um uns wegen §129 anzuklagen, unabhängig davon, ob sie existieren oder nicht. In diesem speziellen Fall wendet der Staat eine neuere Auslegung des Gesetzes an, die es ihm erlaubt, Menschen in einer §129-Gruppe zusammenzufassen, nur weil sie ähnliche Ideen teilen oder einer bestimmten politischen Ideologie folgen.

Da ihre konstruierte Gruppierung notwendigerweise hierarchisch ist, da dies dem Verständnis des Staates von einer Organisation entspricht, benötigt sie einen Anführer. Das bedeutet, dass jemand zu dieser Rolle ernannt wird und somit die rechtliche Hauptverantwortung trägt.

Lina wird gewissermaßen als diese so genannte „Anführerin“ der Organisation vorgestellt. Sie wurde jedoch zusammen mit ihrem Freund zur Anführerin ernannt, der in den Augen des Staates für ihre Radikalisierung verantwortlich war. Durch ihre Verhaftung und die Verfolgung der Angeklagten nach diesem Paragraphen versucht der Staat, die Bewegung einzuschüchtern.

Eines der Ziele der Herrschenden ist es, die sich entwickelnden Verbindungen zwischen der Bewegung und anderen Gemeinschaften zu zerstören, indem sie versuchen, jede aufkeimende Radikalisierung in den Kämpfen zu unterdrücken und die Menschen zu spalten, indem sie sie zwingen, sich von radikalen Aktionen zu distanzieren. Sie spielen mit der gesellschaftlichen Anerkennung des bürgerlichen Antifaschismus und glauben, dass sie mit ihren Schuldsprüchen die Akzeptanz der Notwendigkeit von Gegengewalt minimieren.

Für uns spielt es keine Rolle, wen der Staat als schuldig ansieht. Wir bekämpfen diesen Staat und seine Institutionen anstatt seine Vorstellungen von Moral, Schuld und Gerechtigkeit zu bestätigen. Wir solidarisieren uns mit den Angeklagten jenseits von persönlichen Beziehungen und Affinitäten. In einer Zeit, in der der Staat versucht, uns zu isolieren, sind wir hier, um Brücken der Kommunikation und der Geschwisterlichkeit zu bauen.

Wir befürworten die Tatsache, dass Nazis angegriffen wurden. Gegengewalt ist ein notwendiger Schritt zur Veränderung der Gesellschaft und wird von uns nicht im rechtlichen Rahmen des Systems, das wir zerstören wollen, beurteilt werden. Die Verteidigung des Verfolgten in einem Rahmen von Unschuld und Schuld ist eine Falle, in die wir weder tappen sollten noch werden. Stattdessen sind wir solidarisch mit den Beschuldigten, da sie vom Repressionsapparat des Staates betroffen sind.

Für einen militanten Antifaschismus und darüber hinaus

Dieser Prozess ist aber nicht nur ein Angriff auf die Angeklagten. Es ist auch ein Versuch, Selbstverteidigung und militanten Antifaschismus zu de-legitimieren. Wenn Nazis und Faschist*innen Gemeinden angreifen und zerstören oder wenn es Nazi-Pogrome gegen Immigrant*inen gibt, ist es Teil unserer Haltung, uns gegen ihre Gewalt zu wehren und jeden Versuch zu verhindern, faschistische Praktiken jeglicher Art zu legitimieren.

Pazifismus schützt den Staat

Da die Gewalt des Staates, des Kapitals und der systemischen Mechanismen innerhalb und außerhalb ihres institutionellen Rahmens in unserem Alltag existiert und/oder diesen prägt, ist Gegengewalt ein unvermeidliches und unverzichtbares Mittel. Faschist*innen kann man nicht erziehen, man kann sie nicht davon abbringen, NPD, AFD usw. zu wählen, und sie sind nicht fehlgeleitet. Sie stützen das Bestehende, sind aber gleichzeitig für ein anderes Unterdrückungssystem. Sie haben sich entschieden, anzugreifen, und aus diesen Gründen ist unsere Selbstverteidigung notwendig.

Wir setzen Gegengewalt nicht ein, um andere zu etwas zu zwingen, sie zu zerstören oder Herrschaft auuszuüben. Wir sind einem ständigen Angriff ausgesetzt und verteidigen uns und unsere Gemeinschaften mit einer Perspektive, die auf Emanzipation, Freiheit, Autonomie und Gleichheit abzielt. Diese Momente sind nur eine kleine Antwort auf die Gewalt, die wir jeden Tag erleben. Es gibt Momente, in denen die Unterdrücker*innen Angst haben, wie in den letzten Jahren, als Nazis in Thüringen und Sachsen angegriffen wurden.

Für uns ist es wichtig, jede antagonistische Reaktion in einer Projektualität zu entwickeln. Um die Angriffe auf Nazis nicht zu symbolischen Aktionen verkommen zu lassen, müssen wir gleichzeitig die autoritäre bürgerliche Demokratie angreifen, die nicht nur selbst unterdrückend ist, sondern auch dem Faschismus den Nährboden bietet. Entweder bettet sich der Antifaschismus in eine antiautoritäre Perspektive ein, oder er ist nur eine rituelle Formalität. Jeder Weg, der nicht auf radikale Subversion und Selbstbestimmung abzielt, ist auf tragische Weise zum Scheitern verurteilt, wobei der Widerstand in demokratischem Konformismus und einem langsamen und unausweichlichen Abgleiten in den endgültigen Verlust der Freiheit versinkt.

Medien/Nazi/Cop-Propaganda

Es ist wichtig, nicht dem Narrativ zu folgen, das von den Cops und den Medien präsentiert wird, die offensichtlich zusammenarbeiten und ein gemeinsames Ziel verfolgen, um eine Stimmung zu erzeugen, die die Bewegung schwächen wird. Die Strategien, die sie anwenden, wie Hintergrundartikel, Haftbefehle und der Vergleich von uns und den Nazis hat eine historische Kontinuität in Deutschland. Wir werden als Extremist*innen dargestellt, mit den Nazis am anderen Ende des Spektrums und einer verantwortungsvollen kapitalistischen Demokratie in der Mitte als dem einzig legitimen Akteur. Besonders deutlich wird dies bei den Vergleichen zwischen Lina und Beate Zschäpe und der Tatsache, dass sie im selben Gefängnis sitzen. Der §129 und die Ausrichtung auf so genannte kriminelle Vereinigungen dient der Propaganda gegen jede radikale Bewegung und versucht, den Menschen Angst zu machen und den Eindruck eines starken, allwissenden Staates zu vermitteln. Diese Propaganda zur Bildung krimineller Organisationen ist eine staatliche Strategie und ein Angriff auf Selbstorganisation, Kollektivität und Beziehungen.

Bei Lina zielt die Medien- und Polizeipropaganda auch auf ihr Geschlecht ab. Die Tatsache, dass eine Frau in dieser Art von Verbrechen angeklagt ist, dient der Justiz und den Medien als Moment der Polarisierung. Sie stellen sie auf sexistische Weise dar, mit ständigem Verweis auf ihre Beziehung zu einem Mann und der Verwirrung darüber, warum eine Frau diesen Weg einschlagen würde. Verdächtige Frauen werden entweder maskulinisiert oder pathologisiert, wobei ihre Handlungen als Ergebnis ihres Temperaments oder eines emotionalen Defekts angesehen werden. In einem anderen Fall wird eine Frau in den Medien als Verführerin mit allen dazugehörigen Attributen beschrieben und damit dämonisiert. Auf der anderen Seite wird sie in den Augen linksliberaler Medien als unschuldiges „Mädchen“ dargestellt. Auch dieses Bild ist für die Gruppe der Angeklagten und die Bewegung schädlich. Die Frau ist auch in jedem Fall nur die Freundin von jemandem.
Im Laufe der ganzen Kontroverse müssen wir uns bemühen, tiefer gegen das Strafsystem vorzugehen, das das Patriarchat in seiner reinen Form reproduziert

Zusätzlich zu den Massenmedien und der staatlichen Propaganda nutzen die Nazis die Gelegenheit einer geteilten öffentlichen Meinung über den Fall, um ihre eigene Propaganda zu machen, als Opfer der radikalen linken Bewegung. Sie haben verschiedene Arten der Veröffentlichung gefunden, um die Angeklagten zu outen und zu faschistischen Gegenangriffen auf uns aufzurufen. Sie beschafften sich Informationen von Polizist*innen und nutzten ihre geschlossenen und offenen Propagandakanäle, um so viele Details wie möglich zu verbreiten, wobei sie sich gezielt gegen die Angeklagten und ihr Umfeld richteten.

In den Augen des Staates, der Mainstream-Medien und der Cops sind wir Kriminelle und Feind*innen, wegen unserer Ideen von Freiheit und unserer Praktiken im Kampf gegen das System. Wir sollten ihren Definitionen nicht folgen, sondern uns gemeinsam gegen ihre Unterdrückung stellen.

Fazit

Aber was wäre die staatliche Repression ohne ihre Funktionär*innen? Denn nun liegt der Fall in den Händen des Generalbundesanwalts, einer politischen Institution und Entscheidung, die die politischen Ausdehnungen und Implikationen dieses Prozesses offenbart. Aus diesem Grund haben wir von dem Verfahren im Gerichtssaal nichts zu erwarten. Ein emanzipatorischer Kampf sollte auf der Straße geführt werden, bei dem Druck und politische Kosten für ihre Entscheidungen erzeugt werden. Während der Staat Anklagen erhebt und Beziehungen konstruiert, um den Antifaschismus zu bekämpfen, ist unser Platz auf der Straße, wo wir versuchen müssen, Isolation und Angst zu durchbrechen, indem wir neue Beziehungen und Verbindungen schaffen. Das ist der Ort, an dem wir diese Repression wirklich bekämpfen und unsere Kämpfe gesellschaftlich legitimieren können.

Die Repression ist Teil unseres Kampfes und wir müssen uns ihr gemeinsam stellen. In einem System, in dem die Probleme auf persönliche Weise gelöst werden sollen, schlagen wir kollektive Lösungen vor. Aus diesem Grund rufen wir alle dazu auf, ihre Solidarität mit den Angeklagten zu zeigen und somit am ersten Prozesstag am 8. September in Dresden anwesend zu sein. Lasst uns zusammenstehen und zeigen, dass ein Angriff auf einen von uns ein Angriff auf uns alle ist. Wir sind hier in Solidarität mit den Angeklagten, gegen Repression und für einen militanten Antifaschismus, der über den Angriff auf Nazis hinausgeht und das System mit unseren Ideen von Freiheit, Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe unterwandert.

Kommt zur Kundgebung in Dresden am 8. September in Dresden. Mehr Infos unter https://www.soli-antifa-ost.org/

NIEMAND IST ALLEIN IN DEN HÄNDEN DES STAATS!


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