
Athen. Griechenland. In den Sommermonaten wird mit dem Bau der U-Bahn auf dem Exarchia-Platz und der Sanierung des Strefi-Hügels gerechnet, wie aus Berichten in der Mainstream-Presse und aus Mitteilungen der Stadtverwaltung Athen an die Geschäfte auf dem Platz hervorgeht.
Ursprünglich veröffentlicht von Athens Indymedia.
Das Ultimatum der Regierung ist der Gnadenstoß für das Erscheinungsbild des historischen Viertels von Exarchia. Der Bau der Metro auf dem Platz, die Umwandlung des Polytechnikums in ein Museum, der Versuch, das Denkmal von Alexandros Grigoropoulos durch den Bau von Luxuswohnungen in der Messolonghiou-Straße zu zerstören, die Überlassung des Strefi-Hügels an private Interessenten (mit der Zementierung von Wegen, Fällen von Bäumen, dem Anbringen von Kameras, Gittern und Toren, um den Zugang zu kontrollieren), sind Teil der umfassenderen Planung zur Gentrifizierung des Viertels, zu seiner Umwandlung in ein Touristenziel mit zunehmender Kontrolle und Repression.
Die Verdrängung der verarmten Bevölkerungsschichten ist eine Folge der Gentrifizierung, da es aufgrund des Anstiegs der Mieten, Airbnb und der Ausbreitung von Investmentfirmen fast unmöglich geworden ist, eine Wohnung zu finden. Der Prozess der Gentrifizierung ist für Staat und Kapital die Normalität, während er für diejenigen, die mit dem Viertel verbunden sind, ein gewaltsamer Prozess der Entwurzelung ist, indem sie zum Verlassen gezwungen werden.
Diese konkrete Metrostation wird eindeutig nicht „im Interesse der Bürger“ gebaut, wie uns die „unabhängigen“ Journalisten überzeugen wollen. Exarchia verfügt über ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz, das den gesamten Stadtbezirk bedient, unabhängig davon, wo man sich gerade befindet. Es ist eine Provokation, wenn die Hauptverantwortlichen für die Teuerungswelle von „Dienst am Bürger“ sprechen, also die Parteien des Kapitals, die mit ihrer neoliberalen Politik die Preissteigerungen bei Strom, Mieten, Treibstoff und Lebensmitteln wie auch die Verarmung und das Elend noch größerer Teile der Gesellschaft, die von grundlegenden Gütern ausgeschlossen sind, zu verantworten haben.
Die Metrostation auf dem Platz wird einen der wenigen öffentlichen Räume im Zentrum von Athen und den einzigen Platz im Viertel zerstören. Es werden alle Bäume gefällt, Rolltreppen in der Mitte des Platzes installiert, Lüftungskästen aus Beton gebaut. Es wird eine kahle Stelle entstehen, auf deren 1,5 m hoher Platte nichts wachsen kann. Der Platz wird sich für zehn Jahre in eine riesige Baustelle mit Blechwänden, Lärm und Umweltverschmutzung verwandeln und in Zukunft von einem Treffpunkt, einem Ort sozialer Kommunikation und Territorialisierung des Widerstands zu einem bloßen Durchgangsort werden, der dem ungehinderten Fluss von Konsum und Produktion dient.
Aus diesem Grund ist zum jetzigen Zeitpunkt der Widerstand gegen das Bauvorhaben zentral für die Verteidigung unseres Kiezes.
Mitten in der kapitalistischen Krise und der Pandemie entwickelt der Staat angesichts der Gefahr unkontrollierter sozialer Explosionen eine umfassende Strategie der präventiven Aufstandsbekämpfung. In diesen Rahmen gehören die Verabschiedung des Demonstrationsgesetzes und die weitere Eskalation der kriminellen Gewalt der Repressionskräfte, die ihren Höhepunkt vor etwa einem Jahr mit dem brutalen Zusammenschlagen eines Aktivisten in Nea Smyrni erreichte.
Hier reihen sich auch ein die Räumung von besetzten Häusern, die Abschaffung des Hochschulasyls und die Einrichtung einer Hochschulpolizei, die Kriminalisierung der gewerkschaftlichen Basisarbeit und der Waffe des Streiks, die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von Aktivist*innen. Zu dieser Strategie gehört auch die staatliche Planung der Unterwerfung eines Stadtteils mit einer vielfältigen Geschichte des Widerstands, eines Stadtteils, der international Symbol für den Kampf gegen Macht, Ausbeutung und Unterdrückung ist. Der Staat hat Hausbesetzungen und selbstorganisierte Unterkünfte von Flüchtlingen und Migranten geräumt, das gesamte Viertel in Tränengas erstickt, politische Räume des Kampfes der Überwachung unterzogen und Hunderte von Flüchtlingen und Migranten, Frauen, Männer und Kinder, gewaltsam aus der Nachbarschaft entfernt und in geschlossene Lager gesteckt.
Im Laufe der Jahre wurde der Stadtteil mit dem Blut von Dutzenden von Kämpfer*innen befleckt, die von den Repressionskräften geschlagen, gefoltert und gelyncht wurden, was in der staatlichen Ermordung der revoltierenden Jugendlichen M. Kalteza vor der Polytechnischen Universität am 17.11.1985 und A. Grigoropoulos am 6.12.2008 in der Messolonghiou-Straße gipfelte.
Was wirklich gefährlich ist für den Staat, sind die Werte und Maßgaben der Klassensolidarität, des kämpferischen Widerstands, der Spontaneität, der sozialen Selbstorganisation, des Antirassismus, des Zusammenlebens und des Respekts unterschiedlicher Menschen, unabhängig von Geschlecht und Herkunft, die Geschichte der Kämpfe und der Traum von einer Welt der Gleichheit und Gerechtigkeit, der heute tief in einer Gesellschaft verwurzelt ist, in der die Bosse nichts anderes als Armut, Unterdrückung und Faschismus zu versprechen haben. Und es sind diese Werte, diese Vorstellungen und die Kämpfe, die sie hervorbringen, die der Staat aus Exarchia, dem Stadtzentrum und allen Stadtteilen entfernen will.
Wir haben vor uns die uns oktroyierte „Entwicklung“ des Stadtzentrums und seine Verwandlung in ein Touristenzentrum, eine riesige Baustelle mit Auftragsvergabe und Schmiergeldern, mittels der „Großen Promenade“. Wir sehen vor uns die Umnutzung von Gebäuden, die Teil des sozialen Gefüges waren, in Museen, die Umwandlung der öffentlichen Universitäten in sterile Einrichtungen, die Zerstörung öffentlicher Räume und die Vernichtung von Grünflächen, die Erhöhung der Mieten, die Privatisierung des Strefi-Hügels, die Verwandlung von Wohnvierteln in solche des Handels. Dadurch findet eine „Enteignung“ von Bereichen statt, in denen sich soziales Alltagsleben entwickelt. All dies bedeutet Verschärfung des Klassenangriffs durch Staat, Kapital, Immobilienagenturen, große Hotelketten und alle Arten von reichen Grundbesitzern gegen arme und ausgegrenzte Menschen. Es markiert die Umwandlung des Viertels in einen Touristenort.
In diesem Zusammenhang wird seit Jahren versucht, die Physiognomie von Exarchia so zu verändern, dass es nicht mehr die gewichtige Rolle spielt, die es in den breiteren sozialen und Klassenkämpfen hatte, sondern ein alternatives Vergnügungszentrum wird, in dem sogar die Geschichte der Kämpfe selbst ein Konsumgut wird.
Aber wie sehr sich Staat und Kapital auch bemühen, Exarchia als Feld politischer, sozialer und klassenmäßiger Prozesse zu beseitigen und „Normalität“ zu erzwingen, sie werden sich gegenüber Tausende von Menschen finden, die diese Prozesse verteidigen. Diejenigen von uns, die in Exarchia leben, arbeiten, sich hier aufhalten und aktiv sind, beziehen sich auf Exarchia und verteidigen es als ein Viertel der Welt, „das viele Welten aufnehmen kann“; ein Viertel, in dem Menschen aller Geschlechter, Altersgruppen und Herkünfte respektvoll zusammenleben können; wo Klassensolidarität eine lebendige Realität sein kann; wo die Infragestellung der staatlich-kapitalistischen Brutalität gedeihen kann und sich Formen der sozialen Selbstorganisation entwickeln können; wo die „Anderen“ und die „Gehetzten“ Zuflucht finden können; wo die kämpferische Geschichte von gestern auf die Kämpfe und Widerstände von heute trifft; wo der Traum von einer Welt der Gleichheit und Gerechtigkeit weiterhin im Stadtzentrum Wurzeln schlagen kann. Denn das „Normale“, das sie durchsetzen wollen, ist Individualisierung, Kannibalismus, Ungleichheit, Kontrolle und Überwachung.
Aus all diesen Gründen rufen wir zu einem landesweiten – internationalen Aktionstag zur Verteidigung des Exarchia-Viertels auf.
Wir rufen Euch auf, verschiedene Aktionen der Solidarität und der Verteidigung des Exarchia-Viertels zu organisieren. Dieser Kampf ist ein Kampf für die Verteidigung jedes Viertels, jedes Widerstandsherds, jedes Ortes, an dem Rebellion entsteht und sich soziale Selbstorganisation und Klassensolidarität entwickeln – gegen die Mafia des Staates und des Kapitals, die unser Leben zerstören.
Aktions-Koordination zur Verteidigung von Exarchia
25. Juni, Internationaler Aktionstag zur Verteidigung des Stadtteils Exarchia – Athen / Demonstration auf dem Exarchia-Platz (20:00 Uhr)
Diesen Aufruf als PDF: hier.