#COVID19 Quarantäne-Tagebuch, 4. Tag: „Staatslenker*innen plappern über Solidarität“

Wuppertal. 20. März 2020. Der vierte Tag in Quarantäne. Die Welt draußen, außerhalb meiner Gefängniswohnung, wird von Tag zu Tag düsterer.

Veröffentlicht von Enough 14. Geschrieben vom Riot Turtle. Übersetzt von Enough 14.

Ich huste immer noch, habe leichtes Fieber und bin sehr müde. Es wird etwas intensiver, aber es geht mir immer noch gut. Es ist die Gefangenschaft in meiner Wohnung, die von Tag zu Tag schwerer wird. Vor allem mit dem anhaltenden Marsch zu einem noch autoritäreren Staat.

Manche Leute mögen mich für unverantwortlich halten, wenn ich meine Ansichten über die staatlichen Maßnahmen gegen das Virus veröffentliche. Das ist interessant, denn ich habe eigentlich nie gesagt, dass wir keine großen Anstrengungen zur Bekämpfung des Virus unternehmen sollten. Aber was einige der Leute, die keine Kritik an den staatlichen Maßnahmen lesen wollen, tun, ist, mich beleidigen und dann zu blockieren, so dass ich sie nicht einmal antworten kann, und dennoch behaupten sie, dass es keine Entwicklung in eine autoritäre Richtung gibt… Aber sie wollen nicht darüber diskutieren. „Aus der Reihe tanzen“ wird immer schwieriger.

Am Sonntag findet eine Telefonkonferenz zwischen den Landes- und Bundesregierungen statt. Nach Angaben verschiedener Medien werden sie auch über eine vollständige Ausgangssperre sprechen. Einige jubeln, andere fordern, dass sie JETZT einen vollständigen Ausgangssperre wollen! Ich will diese Aufschreie nach totalitärer Herrschaft nicht kommentieren, ich bin zu müde. Nur, ja, auch Teile der sogenannten Linken gehören zu diesen Leuten.

Die Staatslenker*innen plappern über Solidarität. So auch Angela Merkel (CDU), deren Regierung die griechische Gesellschaft in den Jahren der Troika zerschlagen hat. Das griechische Gesundheitssystem gehörte zu den Dingen, die vom ehemaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (ebenfalls CDU) völlig zerfetzt wurden. Natürlich mit der Unterstützung von Merkel. Vor einigen Wochen beschloss die Bundesregierung, die lächerliche Zahl von einigen hundert (auf Lesbos gibt es rund 20.000 Geflüchtete) Geflüchteten aus Lesbos aufzunehmen. Doch nun hat Merkels Bande die Aufnahme dieser kleinen Gruppe abgesagt. Sie lassen sie auf Lesvos allein. Es sollte klar sein, dass im Falle eines Ausbruchs des Coronavirus im Moria Lager viele Menschen dort sterben werden. Das sind Herrscher*innen, die auf die Obdachlosen, die Armen im Allgemeinen, scheißen, die Geflüchtete auf den griechischen Inseln sterben lassen und die mit ihren neuesten Asylgesetzen die in Deutschland lebenden Gefüchtete zu Menschen zweiter Klasse gemacht haben. Und jetzt wagen Merkel und Co. es, von Solidarität zu plappern? Sie wissen nicht einmal, wie das Wort geschrieben wird. Aber hey… viele Menschen jubeln. Damit kann mensch Wahlen gewinnen.

Die kollektive Angst um das eigene Leben lässt die Menschen alles akzeptieren. Und sie lieben es, Teil einer solidarischen Gesellschaft zu sein. Sie wollen nicht hören, dass die deutsche Gesellschaft eigentlich gar nicht solidarisch ist und es auch nie war. (Wobei Ausnahmen die Regel bestätigen) Natürlich gibt es Menschen, die das wissen, natürlich gibt es immer noch Menschen, die denen dieses politische Schauspiel nicht abkaufen. Aber die allgemeine Mehrheit ist im Moment dabei, alles zu akzeptieren. Ohne jegliche Debatte.

Der Staat weiß, dass einige Leute „aus der Reihe tanzen“. Gestern Abend haben die Bullen wieder das Rigaer Squat in Berlin terrorisiert (Video unten), und in dem Stadtteil, in dem ich wohne, der Elberfelder Nordtstadt, in Wuppertal, gibt es mehr Bullen als sonst. Wenn es zu einer vollständigen Ausgangssperre kommt, wird es hier hässlich werden.

Ich werde es heute dabei belassen. Ich bin müde und muss wieder schlafen.

Greetz aus der Gefängniswohnung.

Riot Turte, 20. März 2020

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