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Chroniken aus Sardinien im Ausnahmezustand Teil 3

Teil 3 der Notstandschroniken aus Sardinien zu Zeiten des Coronavirus. Ein Beitrag von einigen Muntagninos [1] aus Mittel- und Nordsardinien.

Ursprünglich von Bentruxu veröffentlicht. Übersetzt von Enough 14.

In den Bergen

15. April 2020

Der Pandemie-Notstand wird mit einer Absurdität und auf eine eher unwirkliche Weise gelebt, vor allem in kleinen territorialen Zusammenhängen wie unseren Bergdörfern, weit entfernt, zumindest im Moment, auch da es sicherlich unangebracht ist, in unseren Zusammenhängen von Masse zu sprechen, von einem möglichen weit verbreiteten und massenhaften Gesundheitsproblem. Unsere natürliche Isolation erlaubt es uns, die Situation besser zu „managen“, wir brauchen keine aussergewöhnlichen „Ressourcen“, um weiterzumachen, und wir sind es gewohnt, mit wenig zu leben. Es gibt immer noch „sas buttecas“, die kleinen Läden für einige Lebensmittel, und der Rest ist dort zu finden, wo er produziert wird. Diese Situation hat uns veranlasst, in der Zeit zurückzugehen und soziale Beziehungen auszuprobieren, die durch die so genannte Globalisierung und ihre aufgezwungenen Lebensstile ein wenig verwässert wurden; wir treffen uns zufällig in den Schafställen, so wie in der Vergangenheit, wir diskutieren, wir helfen mit, manch eine*r lernt die alten, kleinen Praktiken, wir essen gut und wir organisieren, wie wir zurückkehren können, ohne uns allzu vielen Risiken auszusetzen.

Wir helfen uns gegenseitig, besorgen uns im gegenseitigen Austausch kleine Jobs und helfen einander, indem wir eine Art Sozialwirtschaft schaffen, die über die Zwangswirtschaft hinausgeht. Wir schaffen keine Schulden oder Kredite, sondern nur die Möglichkeit mit jeder Schwierigkeit fertig zu werden, so wie der jetzigen. Jede*r gibt, was er*/sie* geben kann, ohne jede weitere Maßnahme, es gibt diejenigen, die im Austausch gegen gutes Fleisch, Maurer*innen sind. Es gibt diejenigen, welche sich nur dadurch beteiligen, dass sie Geschichten erzählen, und es gibt diejenigen, die sich anbieten Leute mit dem Auto herum zu fahren, wenn jemand in Eile ist und die Umstände ihn*/sie* daran hindern.

Wir sind an Aufzüge in Uniform gewöhnt, und in Su Vonu und Su Malu wissen wir, wie sie zu handhaben sind, wir kennen den Staat und seine Kräfte gut, und sie erschrecken uns nicht sonderlich, auch wenn sich die soziale Anerkennung auch bei uns ausweitet, zusammen mit der induzierten Angst und dem „ansteckenden“ Terror, wird so manches Hemd schwächer. Aber der Notstand-Kontext hat uns fast absurderweise dazu gebracht, unsere alte Erfahrung der Freiheit wieder aufzunehmen, welche wir auf dem Land und in den Bergen gemacht haben, wo die Natur unser*e Kompliz*in ist, mit ihrer Stille, ihren Abkürzungen und, wenn nötig, ihren Zufluchtsorten für schlechtes Wetter und vor jenen unerwünschten „Gäste“, welche sich zwischen den Wacholder- oder Olivenbäumen nicht so entspannt fühlen.

Aus diesem Grund glauben wir, dass die Praxis der Selbsteinsperrung schädlich für den menschlichen Geist und quasi unnatürlich ist. Jedes Mal, wenn wir unsere Stiefel, unsere Leder- oder Trekkingstiefel anziehen und die Riemen gut festziehen, ist dies jedes mal eine Berührung mit dem Unterbewussten, welches uns auf eine mögliche Flucht vorbereitet. Wobei wir mit Zorn daran denken, dass die Arbeiter*innen noch immer in den Industrieanlagen des Nordens zusammengepfercht sind und, im Namen des Profits, so etwas jetzt nicht praktizieren können. Ein Spaziergang in den Büschen oder in den Wäldern gibt uns, wie wir sagten, das Gefühl, jene Freiheit auszukosten die uns zusteht, und welches wir mit niemandem tauschen wollen.

Wenn wir unser Territorium unter dem Gesichtspunkt des Notstands und des Virus mit dem Gebiet von Bergamo oder mit irgendeinem überfüllten und „unkontrollierbaren“ Zentrum vergleichen, betrachten wir die Masnahmen als einen Verwaltungswahnsinn und vielleicht als eine unbewusste koloniale Unterwerfung, welche wir nicht passiv hinnehmen werden. Darum ist das systemische Band zu eng, und wir nehmen es uns buchstäblich vom Gesicht, höchstens behalten wir die Maske, wenn wir in die Stadt gehen, in der wir uns durch die humanoide Masse,“von Natur aus“, ein bisschen „gefährlich“ fühlen: Wir sind nicht bewusstlos, wir kümmern uns um unsere Alten, unsere kranken oder schwachen Freunde.

Alles wird gut, mit Leder- oder Wanderschuhen…

Anmerkungen

[1] Muntagninos: Menschen, die in rauen und rustikalen Bergdörfern leben.


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