
Es folgt ein Interview, welches sich an ein internationales und revolutionäres Publikum richtet. Es enthält Fragen von Seiten des griechischen anarchistischen Radioprojekts RadioFragmata zum Aufstand gegen die weiße Vorherrschaft in den USA. Das Interview wurde mit Genoss*innen von RAM (Revolutionary Abolitionist Movement) und anonymen Anarchist*innen aus den USA geführt. Es soll helfen, die Umstände und Ereignisse in den USA zu erklären.
Eingereichter Beitrag auf Englisch. Übersetzt von Enough 14.
„Da ich selbst ein alter Bauernjunge war, haben mich die Hühner, die nach Hause zum Schlafen kommen, nie traurig gemacht; sie haben mich immer erfreut.“
Malcolm X
Was geht derzeit in den USA vor, und inwiefern unterscheidet es sich von anderen Aufständen der jüngsten Zeit, die als Reaktion auf Polizeigewalt stattgefunden haben, wie Ferguson, im Jahr 2014? Spürt man ein anderes Gefühl auf den Straßen?
Dieser Aufstand in den Vereinigten Staaten unterscheidet sich vor allem in Bezug auf seine Wut und sein Ausmaß. Andere bedeutsame Momente, wie Ferguson oder die Unruhen in LA 1992, legten den Grundstein für diesen Moment, aber die Bewegung, welche wir heute erleben, ist in vielerlei Hinsicht radikal anders.
Die Jugend auf der Straße ist sehr gut über abolitionistische Politik informiert. Die Jugend hat die Geduld und die Hoffnung auf Reformen aufgegeben und sich nur auf unmittelbare und direkte Aktionen konzentriert. Außerdem scheinen viel mehr Menschen zu erkennen, dass der Reformismus auch diesmal eine Sackgasse ist. Der Grad der Intensität ist außerordentlich hoch. Die Tatsache, dass Menschen ein Polizeirevier in Minneapolis niedergebrannt haben, die Polizei verjagten, welche um ihr Leben rennen musste, und die auch dann noch weitermachten, als das Militär hinzugezogen wurde, ist beispiellos. Die andere Tatsache, dass die Mehrheit des Landes das Niederbrennen einer Polizeistation unterstützte und die Pest des Pazifismus ihre fest Stellung innerhalb der Proteste verloren hat, hat die Art des Dialogs, welchen wir in den Staaten gewohnt sind, wirklich grundlegend umgestaltet. Die Unterstützung von Aufständen und Unruhen durch unerwartete Gruppen und Einzelpersonen ist bisweilen gelinde gesagt schockierend. Räuberische Zaungänger*innen werden im Grunde genommen gezwungen, sich für eine Seite zu entscheiden. Bist du ein*e Rassist*in oder bist du ein*e Anti-Rassist*in?
Die Intensität dieser Revolte, deren Beginn diesmal in Minneapolis lag, hat sich seither wie ein Lauffeuer über das ganze Land ausgebreitet. Das allgemeine Ausmaß der Revolte, die Intensität des Widerstandes und der völlige Verlust des Glaubens an Reformen und der Geduld mit dem System ist mit nichts vergleichbar, was ich bisher in meinem Leben gesehen habe.
Wie solidarisieren sich Anarchist*innen und/oder Antifaschist*innen in den Staaten während dieses Aufstands? Und welche Vorschläge habt ihr für Anarchist*innen und/oder Antifaschist*innen in aller Welt, wie sie sich aus der Ferne solidarisch zeigen können?
Anarchist*innen und Antifaschist*innen waren von Anfang an Teil dieser Rebellionen. Die Bewegung hat sich schon seit einiger Zeit explizit auf die Bereiche Polizeiwesen, Knäste und deren Anhängsel konzentriert. Deshalb ist dieser Moment der Rebellion etwas ganz Besonderes für uns.
Aber wir möchten klarstellen, dass dies kein Aufstand ist, welcher von Anarchist*innen ausgelöst wurde. Die Rebellion wird von schwarzen Jugendlichen, welche es leid sind, entmenschlicht und ermordet zu werden, vorangetrieben. Anti-schwarze Gewalt und die weiße Vorherrschaft sind die Eckpfeiler des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens der USA. Sie sind derart tief verwurzelt, dass Reformen unmöglich sind. Wir als Anarchist*innen vertreten diese Position schon seit langer Zeit und kämpfen und organisieren uns, um diese Situation zu zerstören, aber wir sind nur eine von vielen politischen Strömungen, welche sich an diesem Aufstand beteiligen.
Das Wichtigste, was Anarchist*innen in aller Welt tun können, ist, den politischen und wirtschaftlichen Druck auf die USA zu intensivieren und zu lokalen Spannungen und dem Widerstand gegen die Polizei beizutragen. Nehmt alles ins Visier, was die Vereinigten Staaten funktionsfähig und mächtig macht, während ihr gleichzeitig versuchen solltet die Unzufriedenheit, welche den Aufstand anfangs inspirierte, weiter zu verallgemeinern und zu bestärken; nehmt den lokalen Rassismus, die Bullen und andere Anhängsel der Herrschaft und Ausbeutung ins Visier. Die USA sind gegenwärtig unglaublich schwach, und je schwächer sie werden, desto besser ist es für uns hier sowie für die Menschen auf der ganzen Welt im Allgemeinen. Darüber hinaus gibt jeder Akt der Solidarität denjenigen Kraft, welche sich momentan auf der Straße befinden. Am stärksten ist die Solidarität in einem gemeinsamen Angriff, der keine Grenzen kennt!
Wie kommt es, dass einige Leute behaupten, die Rebellion in den USA zu unterstützen, aber dann aufgrund sogenannter „Gewalt“ einen Rückzieher machen?
In den USA wird das Konzept der „Gewaltlosigkeit“, wie es von Martin Luther King Jr., einem Bürgerrechtler der 1960er Jahre, praktiziert wurde, im Nachhinein als der perfekte Ausdruck von Aktivismus dargestellt und gefeiert. Im weiteren wird dann der Protest als Ausdruck von Aktivismus aufgefasst. Daher müssen alle legitimen und angeblich „wirksamen“ Proteste diesen Prinzipien des gewaltlosen Protests, von denen in der Geschichte berichtet wird, dass sie die Bürgerrechte in Amerika im Alleingang durchgesetzt haben, weitgehend ähneln. In Wirklichkeit war die Situation viel komplizierter, und regelmäßige Aufstände in Großstädten spielten darüber hinaus eine äußerst wichtige Rolle bei der Verabschiedung neuer Gesetze durch den Staat, mit denen die formale/rechtliche Trennung im Süden der USA aufgehoben wurde (Jim Crow; nur um schließlich die Methoden der Unterdrückung erneut anzupassen und anzunehmen). Nichtsdestotrotz bescheinigt die offizielle Erzählung der Gewaltlosigkeit den ganzen Ruhm. So wird in dieser Erzählung darauf hingewiesen, dass jeder Protest der Förderung einer legalen Sache und nicht einer revolutionären Bewegung zu dienen habe. Manchmal wird sogar revolutionär klingende Rhetorik (wie zum Beispiel Killer Mike von Run the Jewels, bekannter Demokrat und Sohn eines Polizeibeamten, der eine irreführende Sprache benutzt, um Demonstrant*innen nach Angriffen auf das CNN-Hauptquartier und die Polizei anzuprangern) verwendet, wenn es darum geht, Gesetze abzuändern oder andere Basisreformen zu erreichen. Jede Aktion in den Straßen der USA, welche wahrhaft revolutionär oder gewalttätig ist, wird im Allgemeinen als unzulässig betrachtet, weil die oben erwähnten Überzeugungen darüber, wie ein berechtigter Kampf aussieht, kulturell sehr stark verankert sind. Dies ist ein weiterer Grund, warum die Ereignisse, die sich zugetragen haben, so beflügelnd sind, da diese Logik und diese Erzählung völlig abgelehnt wurden. Das Ausmaß, in welchem der Aufstand auf so viele verschiedene Städte übergriff, beweist, wie weit verbreitet die Unzufriedenheit mit diesem Narrativ inzwischen geworden ist. Eine Teilerklärung dafür ist, dass die Bevölkerung handelte, bevor irgendwelche offiziellen Führer*innen die Chance hatten, sich als Vertreter*innen der Bewegung durchzusetzen. Der wirklich organische Charakter der Bewegung war von Anfang an ihre größte Stärke, welche es ihr ermöglichte, sich von professionellen Aktivist*innen und Politiker*innen zu lösen. Was andernfalls bestimmt zu einer sorgfältig Orchestrierung durch eben jene geführt hätte.
Die Menschen werden von klein auf darauf konditioniert, ihr Vertrauen in das Theater der demokratischen Politik zu setzen. Gewalt ist die Negierung dieses Vertrauens. Gewalt ist eine Demonstration von Selbstbestimmung, sie verdeutlicht das Verlangen, eine Welt jenseits des Gegenwärtigen zu suchen.
Man bringt uns bei, dass wir Rechte haben, jedoch sind Rechte Optionen, die uns jederzeit wieder genommen werden können, da sie durch einen Gesellschaftsvertrag festgelegt werden, welcher nur durch Autorität gewährleistet wird. Rechte sind unsinnige, trügerische Angebote, welche dazu dienen, jene Furcht zu schüren, welche die Grundlage für unseren heutigen sozialen Frieden bildet. Ihr habt eure Rechte, eure Freiheit(en), und wenn ihr euch nach den Gesetzen der Box verhaltet, welche diese Wahlmöglichkeiten enthalten, werdet ihr nicht im Gefängnis landen. Rechte sind imaginär und werden typischerweise nur von den Eingeschlossenen und Nutznießern einer geschichteten Gesellschaft als gültig angenommen. Dies ist eine überaus wichtige Sache, die es zu berücksichtigen gilt, wenn man über die Stimme eines erklärten Verbündeten urteilt, welcher politische Gewalt oder Selbstverteidigung anfechtet.
Aktivist*innen, Liberale und so genannte Unterstützer*innen prangern von der Ersatzbank aus rasch Gewalt an, weil sie Vertrauen in jene Optionen haben, welche das gegenwärtige Theater der Politik für Änderungen bereithält. Sie wollen sich die bestehenden Mächte aneignen und widersetzen sich ihrer Zerstörung. In manchen Fällen haben sie auch einfach nur Angst, und anstatt demütig ihre Furcht davor, für mutiges Risiko und Widerstand bestraft zu werden, zuzugeben, verstecken sie sich wie Feiglinge hinter unterschiedlichen Kritiken an der Gewalt.
Andererseits könnte man sich auch fragen, warum wir mit dem Wissen über Martin Luther King und Ghandi aufwachsen und nicht mit so historischen Persönlichkeiten derselben Zeit und desselben Ortes wie Malcolm X oder Bhagat Singh. Das Recht, die Mächtigen oder auch die systematischen und kalkulierten Methoden der Selbsterhaltung seitens der kapitalistischen Gesellschaft werden die revolutionäre Gewalt und den Aufstand immer anprangern. Das liegt ganz einfach daran, dass diese Art von Widerstand genau das ist, was sie fürchten, diese Art von Widerstand bedroht ihren Status und das System, welches ihn aufrechterhält.
Gewalt ist eine neutrale Angelegenheit. Zwei verschiedene Personen können eine Waffe in Händen halten, und es kann eine völlig andere Situation sein. Die eine Person (Patrick Crusius) kann eine Waffe halten, um Migrant*innen und People of Color in El Paso, Texas, wahllos zu ermorden, während die andere Person (Chrystul Kizer) eine Waffe halten kann, um den Mann zu töten, der sie vergewaltigt und Menschenhandel mit ihnen getrieben hat.
Man könnte wohl behaupten, dass wir nur deshalb über George Floyd sprechen, weil er das Glück hatte, dass sein Lynchmord auf Band aufgenommen wurde. Dies ist jedoch nicht der Grund, warum wir noch immer über ihn sprechen. Jeden Tag werden in den Vereinigten Staaten Menschen gefoltert und ermordet. Und in vielen Fällen wird dies auch noch auf Video festgehalten. Der wahre Grund, warum wir immer noch über George Floyd nach seinem Tod sprechen, ist jedoch der, dass dieser spezielle Vorfall eine allgemeine Revolte auslöste und eine Art von Gewalt hervorrief, welche ich als eine sehr positive Art von Gewalt bezeichnen würde, eine welche von der Polizei nicht kontrolliert werden konnte.
Hat das Coronavirus in dem gegenwärtigen Aufstand eine Rolle gespielt?
Das Coronavirus spielte zweifellos eine Rolle bei dieser Rebellion. Hierbei gibt es mehrere Hauptfaktoren. Der wirtschaftliche Fallout hat Millionen von Menschen hilflos zurückgelassen. In den USA sind Millionen von Menschen erwerbslos. In den USA einen Job zu haben, bedeutet auch nicht zwangsläufig, der Armut zu entkommen. Die Arbeitslosenquote spiegelt nicht wirklich den Prozentsatz jener Menschen wider, welche ums Überleben kämpfen; diejenigen, die einen Job haben, welcher ihre alltäglichen Ausgaben aber nicht abdeckt, gelten als erwerbstätig. Das Ausmaß der Prekarität ist immens. Zudem sitzt dann ein ganzes Land drinnen fest und ist ruhelos, insbesondere die Jugend.
Schwarze Menschen sind in den USA dreimal häufiger an dem Coronavirus gestorben als weiße Amerikaner*innen, was auf den kontinuierlichen Mangel an qualitativ hochwertiger medizinischer Versorgung zurückzuführen ist. Es gab einen immenses Defizit an Tests in armen Gemeinschaften, dies ist jedoch beabsichtigt. Die Menschen haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung im Allgemeinen, und eine qualitativ angemessene ärztliche Behandlung ist den wohlhabenderen Gemeinden vorbehalten. Die Menschen in den Gemeinschaften der Arbeiter*innenklasse arbeiten auch während der Pandemie weiter und nehmen öffentliche Verkehrsmittel, um sich über Wasser zu halten. Dadurch verbreitete sich das Virus auf extremere Weise, aber besonders innerhalb der marginalisierten Gemeinschaften.
Außerdem machte die Quarantäne Spaltungen und Privilegien innerhalb unserer Gesellschaft mehr als offensichtlich. Die Reichen konnten den dichten Städten entfliehen und sich im Luxus isolieren. Menschen, welche ihre Arbeit verloren haben wurden von der Regierung Fetzen angeboten, während riesige Unternehmen und die Reichen beispiellose Rettungspakete erhielten. Die paar der aller Reichsten konnten ihren Vermögen um mehr als eine halbe Billion Dollar erhöhen, während alle anderen zu Hause saßen und sich über die nächste Woche, die nächste Rechnung oder die nächste Mahlzeit Gedanken machen mussten.
Arme Leute, Schwarze und Braune Menschen, Indigene und die Ausgegrenzten in den Vereinigten Staaten wurden von dem Virus massiv getroffen. Man konnte nicht länger so tun, als wäre es egal, wessen Leben wichtig ist und wessen nicht, denn der Staat brachte unterdrückte Menschen in Petrischalen wie den mit Viren gefüllten Gefängnissen und Internierungslager für Migrant*innen unter – akzeptierte Todeszonen, welche mit den Entbehrlichen des Kapitalismus bevölkert sind. Darüber hinaus gehören die Arbeiter*innen, die während der Pandemie als unerlässlich für das Funktionieren dieser Gesellschaft angesehen werden, zu den am schlechtesten bezahlten und am meisten ausgebeuteten Arbeiter*innen zählen, welche die Gesellschaft hat. (Krankenpfleger*innen, Landarbeiter*innen, Arbeiter*innen in Lebensmittelgeschäften und so weiter). Dies ermöglichte es den Menschen, sich mit der absurden Logik des Kapitalismus auseinander zu setzen und Fragen zu stellen, welche viele Amerikaner*innen bisher noch nie in Erwägung gezogen haben. Anstatt ihren Lohn zu erhöhen und sie zu schützen, wurden diese Arbeiter*innen von den Reichen und Mächtigen nur mit herablassendem Lob als „Held*innen“ gegrüßt, während eine solche kleinliche Wertschätzung offensichtlich beleidigend ist, wenn jemand zur gleichen Zeit die Ansteckung und den Tod seiner Lieben riskiert. Die Augen der Menschen wurden so weit geöffnet, dass keine der Täuschungen, welche der vermeintliche amerikanische Traum bietet, die Menschen mehr von jenem Alptraum ablenken kann, der für die meisten Amerikaner*innen Alltag ist.
Als die Trump-Administration darüber hinaus bemerkte, dass nicht-weiße und untere Bevölkerungsschichten wesentlich stärker vom Coronavirus betroffen sind als seine nahezu ausschließlich weiße Fangemeinde, starteten er und sein Medienapparat einen unverhohlen rassistischen Vorstoß in Richtung einer Wiederaufnahme der Wirtschaft, oder wie Trump es ausdrückte: „das Virus einfach durchspülen lassen“.
Aufgrund dieser systemischen, strukturellen Ursachen gehört die schwarze Gemeinschaft zu den bei weitem am schwersten vom Coronavirus betroffenen dieses Landes. Hinzu kam, dass die Polizei, als der Staat von den Menschen verlangte, social distancing zu betreiben, unverzüglich damit anfing, schwarze Gemeinschaften zu terrorisieren, da diese Befehle nicht befolgen würden. Sogar während des Lockdowns fand die Polizei einen Weg, die Zahl der von ihnen ermordeten Menschen weiterhin so hoch zu halten wie in den Jahren zuvor. Und da die Menschen zu Hause saßen, hatten viele den ganzen Tag über Zeit, sich die Videos von Polizeimorden und Folterungen auf den Straßen anzusehen.
Das Coronavirus wurde zu jener Formel, dank der sich das Land in ein Pulverfass verwandelte.
Ist der Aufstand einzig und allein eine Frage der Diskriminierung?
Der Aufstand dreht sich im Wesentlichen um die weiße Vorherrschaft, das Polizeiwesen sowie das Knastsystem (13. ist ein erstklassiger Film zu diesem Thema). Abscheuliche Morde an schwarzen Jugendlichen sind in den Vereinigten Staaten die Norm, und nun haben die Menschen endgültig genug davon.
So wie in jeder kapitalistischen Gesellschaft spielen auch in diesem Aufstand die Klassengegensätze eine grundlegende Rolle. Dieser Aufstand wurde jedoch vollständig von der schwarzen Arbeiter*innenklasse vorangetrieben, welche einen vollkommen anderen Charakter hat als die Aktivist*innenbewegung der USA, die oft aus bürgerlichen Verhältnissen stammt, die Politik als eine Art Hobby betrachtet und nicht als unabdingbaren Kampf. Aufgrund dieser Tatsache war der Charakter des ursprünglichen Aufstands ziemlich offen für all jene, die daran teilnehmen wollten, und handelte ohne Furcht vor der Beurteilung durch die rassistische Moral des Status quo.
Es sollte auch nicht weiter verwundern, denn während die Arbeitslosenquote auf ein seit der großen Depression nicht mehr dagewesenes Niveau schoss, wehren sich die Menschen nun gegen dieses System. Wenn die Bewegung diese Wildheit und diese Flussfähigkeit aus der Arbeiter*innenklasse beibehalten kann, ist das Potenzial für revolutionäre Veränderungen heute so groß wie sonst nicht mal innerhalb einer ganzen Lebensspanne.
Was sind einige der Ursprünge der weißen Vorherrschaft in den USA?
Die Ursprünge der weißen Vorherrschaft innerhalb der USA sind die Ursprünge des Landes selbst. Die USA wurden explizit als ein Projekt der weißen Vormachtstellung gegründet. Auf dem Rücken der versklavten afrikanischen Bevölkerung und dem Völkermord an den Ureinwohnern erbaut, etablierten sich die USA als Modellnation für weiße Herrschaft. In ihren frühen Gesetzen behaupteten sie, dass Schwarze nur drei Fünftel eines Menschen seien und diese wurden bis 1865 als Eigentum betrachtet. Danach tat die Regierung alles was in ihrer Macht stand, um sicherzustellen, dass die Grundlagen der Sklaverei erhalten blieben, und verlegte diesen Prozess schließlich von den Plantagen hin zum Industriekomplex des Gefängnisses.
Begonnen hat dieser Prozess jedoch mit der frühen europäischen Expansion rund um die Welt. Die USA sind in Wahrheit ein Projekt, welches aus europäischer Denkweise und Politik heraus entstanden ist. Beide Kontinente sind historisch in extrem rassistische Regime sowie Massenabschlachtungen und Völkermord verwickelt. Darüber hinaus geht der Status der wirtschaftlichen und politischen Macht, der auf beiden Kontinenten aufrechterhalten wird, auf Kosten eines historischen Kolonialismus, welcher heutzutage die globale Kartierung der 1. und der 3. Welt bestimmt.
Was bedeutet es, gegen die Vorherrschaft der Weissen zu sein? Gibt es in diesem Kampf Elemente von umgekehrtem Rassismus?
Zuallererst einmal: Umgekehrten Rassismus gibt es gar nicht. Dabei handelt es sich um ein Oxymoron.
Rassismus ist nicht einfach nur ein Vorurteil, sondern ein System der Unterdrückung, und da es kein rassifiziertes System der Unterdrückung gibt, dem Weiße unterworfen wären, können sie auch nicht Opfer von Rassismus werden.
„Weiß“ ist eine etablierte demographische Gruppe innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, welche für sich allein genommen schon einige Vorteile hat. Während beispielsweise sehr viele weiße Menschen in Amerika unter Armut leiden, hat es nach wie vor immanente Vorteile, weiß zu sein. Ein großartiges Beispiel dafür ist die Möglichkeit, nachts joggen zu gehen, ohne als flüchtig von einem Verbrechen angesehen zu werden.
Die herrschende Klasse hat im Laufe der Geschichte festgelegt, dass es eine kalkulierte Delegation des Leidensdrucks geben soll. Die durch die europäische Eroberung entstandene Vorstellung von den Wilden, den minderwertigen, nicht sanftmütigen/dunkelhäutigen Bevölkerungsgruppen dieser Welt ist der entscheidende Ursprung für die demographische Entwicklung, unter welcher die Welt heute zu leiden hat. Die Methoden und die Sprache der unterdrückenden/herrschenden Bevölkerung wurden modernisiert und angepasst, aber die Grundlage ist weiterhin dieselbe. Weiß bedeutet, einbezogen zu werden, einen besseren Sitzplatz im Stadion zu haben, ohne das dies an Bedingungen geknüpft ist.
Während Schwarze in den Vereinigten Staaten insgesamt ein 250% höheres Risiko haben, von der Polizei ermordet zu werden (so die offiziellen Zahlen, die tatsächliche Zahl ist voraussichtlich insgesamt gesehen noch höher und variiert je nach Region und Grad der Verschiedenartigkeit), sind dennoch viele unter den Ermordeten arme Weiße. Die herrschende Klasse spart die ausgeschlossene weiße Bevölkerung nicht aus, und eine Kritik an der weißen Vorherrschaft verwirft sie nicht die Anerkennung der weißen Menschen, die unter dem Kapitalismus leiden. Aber es ist wichtig, dass wir erkennen, dass die Verachtung, darüber zu sein, eine Frustration darüber Weiß zu sein, eine Frustration über die Hautfarbe ist, welche von diesem System als mit einbezogen und geschützt ausgewählt wurde. Weiße Menschen werden eingebunden und verteidigt, auf Kosten der so genannten minderwertigen nicht-weißen Bevölkerungsgruppe und vor ihr. Während die Vergesslichen oder Rassist*innen den umgekehrten Rassismus geltend machen, haben andere die gleichen Gesten der Frustration gegen die weiße Vorherrschaft als logische Verachtung für sich entdeckt.
Zwar existieren einige schwarze Separatistengruppen, aber ihre Rufe nach Trennung entspringen einer Verzweiflung, der unerbittlichen Zufügung von Elend zu entkommen, welches nicht von einer vielfältigen Gesellschaft ausgeht, sondern von einer vielfältigen Gesellschaft, die basierend auf Rasse und ethnischer Zugehörigkeit strukturiert wurde. Solch ein verzweifelter Ruf nach schwarzer Macht durch Segregation entspringt der Erfahrung, eine vielfältige Gesellschaft zu kennen, in der eine Rasse die Herrschaft über die Gesellschaft übernommen hat.
Überall in den Vereinigten Staaten, so vielfältig dieses Land auch sein mag, und ungeachtet seiner täuschenden Bürgerrechtsgesetze bleiben die Menschen auf brutale Weise abgesondert. Ob nun nach Klassen oder Rassen, die Vereinigten Staaten gehören zu den Ländern mit den intensivsten räumlichen Segregationen in der ganzen Welt. Schaut Euch zum Beispiel New York City an, wo einige der ärmsten Gegenden dieses Landes und die wohlhabendsten Viertel der ganzen Welt nebeneinander existieren, getrennt von der Bestie Polizei und ihrem Justizsystem. Viele nicht-weiße Communities haben im alltäglichen Leben überhaupt gar keinen Kontakt zu weißen Menschen, es sei denn, es handelt sich um weiße Bullen, die in ihre Nachbarschaften eindringen um dort ihre Armut aufrechtzuerhalten. Ich ignoriere keineswegs die Notlage weißer Arbeiter*innenklassengemeinschaften, aber es bestehen flüchtige Ungleichheiten, die denjenigen, welche behaupten, „all lives matter“, mit einer Säure zurück geschriehen wird, die ihre rassistischen Lippen versiegelt. Zweieinhalb Millionen Menschen befinden sich in den Vereinigten Staaten im Gefängnis, viele von ihnen unschuldig, viele weiß und viele arm. Auf keinen Fall weisen wir die armen Weißen zurück, aber in einem Land, in dem etwa 13% der Bevölkerung schwarz sind und in dem die Gefängnispopulation zu fast 40% aus Schwarzen besteht, sind die Bemühungen hinter den Behauptungen des umgekehrten Rassismus oder „all lives mattering“ mathematisch betrachtet ungültig.
Was fälschlicherweise als „umgekehrter Rassismus“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit eine nachvollziehbare Frustration gegenüber einer Bevölkerungsgruppe, die aufgrund des Leidens einer anderen Bevölkerungsgruppe Macht hat. Man kann auch weiss sein und nur Verachtung darüber empfinden, was es in der heutigen Welt bedeutet, weiss zu sein.
Bei früheren Ausschreitungen, wie den Unruhen in Los Angeles 1992, gab es Fälle, in welchen Weiße wahllos angegriffen wurden, weil sie einfach nur weiß waren. Dies war zwar lediglich eine Randnotiz der im allgemeinen inspirierenden Ereignisse, die sich ereigneten, doch waren sie ein unerfreuliches Ergebnis einer explosiven Situation. Dies ist beim gegenwärtigen Aufstand nicht der Fall gewesen. Der gegenwärtige Aufstand war von Anfang an in all seinen Ausdrucksformen bemerkenswert vielfältig, und trotz der Beteiligung von Millionen von Menschen gab es keine wirklich ernsthaften Beispiele für Gewalt zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Im Gegenteil, zumindest vor der Beteiligung falscher Führer*innen gab es ein bemerkenswertes Gefühl der Verbundenheit, selbst angesichts individueller Meinungsverschiedenheiten über die Strategie und Taktik und trotz Menschen aus unterschiedlichen politischen Hintergründen. Ernsthafte Einwände gegenüber Gewalt, Plünderungen usw. kamen nahezu ausschließlich von Außenstehenden, die zuvor nicht auf den Straßen waren, und von einigen der friedlichen Demonstrant*innen, welche nun die Straßen füllen, nachdem ihnen über die Medien vermittelt wurde, wie „legitimer“ Protest auszusehen hat. Viele von diesen friedlichen Demonstrant*innen sind nunmehr einer flächendeckenden Polizeigewalt ausgesetzt, welche hoffentlich auch viele von ihnen radikalisieren wird. Auf diese Weise trägt das System dazu bei, diesen neuen, friedlicheren Demonstrant*innen unsere Standpunkte anschaulicher zu machen.
* Viele Europäer scheinen zuweilen jeden Anschein einer ursprünglichen Black Panther Party zu fetischisieren, insbesondere in Form von Bildern der New Black Panther Party, wobei sie mit Waffen posieren, um ihre Solidarität mit dem Kampf der Schwarzen zu verkünden. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die New Black Panther Party nicht dasselbe ist wie die ursprüngliche Black Panther Party oder die Black Liberation Army. Sie wurde von fast allen überlebenden Angehörigen der ursprünglichen Black Panther Party und der Black Liberation Army zurückgewiesen, einschließlich derjenigen, die für ihre Taten noch immer im Knast sitzen. Die New Black Panther Party ist eine bösartig autoritäre, antisemitische, segregationsfreundliche und schwulenfeindliche Organisation. Die Waffen, welche sie mit sich führen, sind allesamt legale Schusswaffen in den USA.
Wie finden Anarchist*innen in den Staaten Solidarität mit Menschen, die nicht ausdrücklich als Anarchist*innenen gelten?
Wir sind einfach nicht so viele als dass wir mit Scheuklappen arbeiten könnten. Zusätzlich kann die Aufrichtigkeit der Wut und der Leidenschaft für die Freiheit, die aus den Erfahrungen kommen, die angebliche Aufklärung eines jeden theoretischen Verständnisses überwiegen. Wir leben auch in einer Gesellschaft, die sich durch eine große Vielfalt auszeichnet, und wir müssen uns selbst herausfordern, um aus dem Inseldenken des klassischen anarchistischen Organizing auszubrechen.
In den Staaten müssen wir uns den Gegebenheiten, mit denen wir konfrontiert sind, anpassen und uns selbst herausfordern, uns auf tiefere Elemente der Spannung und Unzufriedenheit zu konzentrieren, solche die über die Oberflächlichkeit der politischen Identität hinausgehen.
Wir finden unsere Solidarität horizontal stehend mit einer Unzufriedenheit bezüglich der Erfahrungen. Wenn der Widerstand auf den Straßen eskaliert, wollen wir mit an Bord gehen. Anarchist*innen in den Staaten suchen nach einer Solidarität geteilter Feinde und gemeinsamer Frustration. Vielleicht haben diejenigen, an deren Seite wir zu kämpfen versuchen, nicht dieselbe Rhetorik oder Ideologie zu verkünden, aber unsere Priorität ist es, die Hand derer zu suchen, welche unsere Wut auf dieses System teilen, und entsprechend danach handeln.
Werden Plünderungen als etwas Revolutionäres empfunden? Befürwortet ihr die Plünderungen politisch? Seid ihr mit den Urteilen der Liberalen über die Ethik der Plünderung nicht einverstanden?
Nein, ich habe kein Problem mit Plünderungen. Ich habe auch keinerlei Respekt vor der Moral, die das Fundament der kapitalistischen Gesellschaft bildet. Sich gegen Plünderung zu wehren, bedeutet, den Status quo nicht zu beanstanden, weil dieser notwendig ist, um Produkte „sachgemäss“ zu kaufen.
Lasst es mich mal so ausdrücken: Die Wohlhabenden von New York City plünderten Läden in der ganzen Stadt, um auf den Lockdown und die Quarantäne vorbereitet zu sein, als sich die Coronavirus-Pandemie abzeichnete. Gemeinhin war es nur in einigen kleinen Läden in sehr armen Vierteln so, dass einige für die Quarantäne notwendige Haushaltsgegenstände in spärlicher Menge vorzufinden waren. Viele arme Menschen sind nicht in der Lage, in großen Mengen einzukaufen, denn die meisten hangeln sich von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck, und der Gedanke an Investitionen jeglicher Art, selbst eine Investition in die kommenden Tage der Quarantäne, ist für sie keine Option.
Die Läden in ganz NYC wurden von Toilettenpapier, Desinfektionsmitteln, persönlicher Schutzausrüstung, Lebensmitteln und allem, was die Reichen in die Hände bekommen konnten, geleert. Die Reichen plünderten die Läden auf „legale“ Weise und horteten Sicherheitsvorkehrungen. Dies taten sie zu ihren Bedingungen; den gleichen Bedingungen, welche die Kaufkraft im Kapitalismus definieren. Genau jene Bedingungen, welche das Leiden berechnen und delegieren.
Plünderungen ist ein Akt der Verweigerung solcher Bedingungen. Es ist ein Akt, der die Zerbrechlichkeit dieser Konditionen entlarvt, welche vom Polizei- und Justizsystem aufrechterhalten und durchgesetzt werden müssen.
Kein Produkt des globalen Kapitalismus kann an einem alltäglichen Leidensweg gemessen werden, welcher seinen Ursprung in der offiziellen Sklaverei hat. Die Plünderung im Rahmen eines sozialen Aufstands anzuprangern, lobt den Begriff des Kaufs nach den Maßstäben der fauligen Moral der herrschenden Klasse.
Plünderungen im Kontext eines sozialen Aufstands bedrohen in den allermeisten Fällen die Verdinglichung des „heiligen“ Einkaufs; im Wesentlichen durchbrechen sie die Barrieren, die wir konditioniert sind zu akzeptieren, die zwischen Armut und Leben bestehen. Plünderungen und die soziale Gewalt eines Aufstands sind jedoch nicht immer perfekt. In Minneapolis zum Beispiel wurden einige kleine Unternehmen niedergebrannt, die es im Vergleich zu anderen verfügbaren Zielen sicherlich nicht verdient gehabt hätten.Wie Alfredo Bonanno sagte, ist ein Aufstand „ein Schlag mit den Krallen des Tigers, der reisst und nicht unterscheidet. Natürlich ist eine organisierte Minderheit nicht das aufständische Volk. Sie ist vielmehr ein Unterscheidungsmerkmal. Sie muss sich unterscheiden.“
Wenn man Einwände gegen Plünderungen hat (vor allem dann, wenn diese sich gegen Großunternehmen und exklusive Rohstoffe richten), dann bedeutet das für den Kauf einzutreten. Es ähnelt jener Stimme, welche aus einer privilegierten Position heraus kommt; nämlich dem Privileg, nicht verzweifelt zu sein. Sie entspringt auch einer Position, welche sich mit dem Urteil der in dieser Gesellschaft Eingeschlossenen und Begünstigten einsetzt.
Plündern kann wunderschön und gleichzeitig auch sehr traurig sein. Ich verstehe auch die Bedenken hinsichtlich der materialistischen Elemente einiger Arten von Plünderungen, aber ich denke nicht, dass diese Bedenken die umfassenderen revolutionären Auswirkungen aufwiegen. Ich bin traurig darüber mitanzusehen, wie ein kleines Unternehmen, welches sich im Besitz einer in Schwierigkeiten geratenen Familie befindet, von diesem Vakuum der Wut erfasst wird, was ein Aufruhr nun einmal ist, aber auf der anderen Seite lächle ich, wenn ich beobachte, wie arme Leute Modesymbole der Reichen tragen und ohne einen Geldbeutel bei Wal-Mart shoppen gehen.
Als Anarchist, dessen Stimme in der Welt der Politik nur eingeschränkt zur Geltung kommt, weigere ich mich, auch nur eine Sekunde lang in Erwägung zu ziehen, einen Aufstand aufgrund von Plünderungen anzuprangern.
Es gibt viele Stimmen von rechts und von der herrschenden Seite her, die an die Heiligkeit des Kaufs glauben und diese Überzeugung nutzen, um einen Aufstand zu verteufeln, zu spalten und zu entwürdigen. Dabei handelt es sich um gut finanzierte Kräfte, welche von dieser Gesellschaft geschützt werden, um die völkermörderische Normalität zu unterstützen, die einen Aufstand überhaupt erst inspiriert hat. Wenn Du Deine Stimme benutzt, um Gesten der Selbstbestimmung und Rebellion zu entwürdigen oder zu erniedrigen, kannst Du nicht aufrichtig behaupten, ein*e Kompliz*in eines Aufstandes zu sein. Diejenigen, die an der Macht sind und den Status quo schützen, werden ihren gut finanzierten Medienapparat einsetzen, um den Aufstand zu dämonisieren und zu spalten; die so genannten Teilnehmer*innen/Unterstützer*innen sollten dies nicht tun.
Wenn du moralische Probleme mit Plünderungen hast, ist es vielleicht wichtig, deine*r eigene Behauptung zu reflektieren, einen Aufstand gegen die weiße Vorherrschaft, den Kapitalismus und den Staat zu unterstützen. Weil du eine Logik verfolgst, die institutionelle Plünderung, Herrschaft und Ausbeutung belohnt und darauf abzielt, jegliche Rache- und/oder Selbsterhaltungsbemühungen an der Basis zu bestrafen oder zurückhaltend damit umzugehen.
Eine sehr wortgewandte Verteidigung von Plünderungen im Zusammenhang mit einem Schwarzen-Aufstand wurde von den Situationisten bereits 1965 vorgebracht und diese ist so aktuell wie eh und je:
„Die Plünderungen des Watts-Distrikts waren die direkteste Umsetzung des verzerrten Prinzips: ‚Jedem nach seinen falschen Bedürfnissen‘ – Bedürfnisse, welche durch das Wirtschaftssystem bestimmt und produziert werden, die gerade durch den Akt des Plünderns abgelehnt werden. Doch sobald der gepriesene Überfluss für bare Münze genommen und direkt angeeignet wird, anstatt ewig im Rat-Race entfremdeter Arbeit und wachsender unerfüllter sozialer Bedürfnisse verfolgt zu werden, finden die wahren Wünsche ihren Ausdruck in festlichen Feiern, in spielerischer Selbstbehauptung, im Kessel der Zerstörung.
[…]
Plünderungen sind eine natürliche Reaktion auf die widernatürlichen und unmenschlichen Bedingungen einer Gesellschaft des Warenüberflusses. Sie unterminieren augenblicklich die Ware als solche, und sie legen auch offen, was die Ware letztlich impliziert: die Armee, die Polizei und die anderen spezialisierten Abteilungen des staatlichen Gewaltmonopols. Was ist ein Polizeibeamter? Er ist ein aktiver Diener der Ware, ein Mann in völliger Demut gegenüber dieser Ware, dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass ein gegebenes Produkt menschlicher Arbeit eine Ware bleibt, mit der magischen Eigenschaft, bezahlt werden zu müssen, anstatt ein bloßer Kühlschrank oder ein Gewehr zu werden – ein passives, lebloses Objekt, das jedem unterworfen ist, der kommt, um es zu benutzen. Indem sie die Demütigung, der Polizei unterworfen zu sein, zurückweisen, weisen die Schwarzen gleichzeitig die Demütigung zurück, der Ware unterworfen zu sein“.
Situationistische Internationale, “ Der Niedergang und Fall der Spektakel-Warenwirtschaft“, 196
Warum gibt es derart viele Anschuldigungen bezüglich Verschwörungstheorien hinter den Protesten, und auch diese Behauptung von Outside Agitators?
Die USA sind ein sonderbares Land. Die Verbreitung von Verschwörungstheorien ist schockierend. Menschen, die nicht selten für den Status quo sind, glauben hier häufig an wirklich haarsträubende Theorien. In vielerlei Hinsicht ist dies ein Zeichen für den rapiden Niedergang der USA als Macht. Ihre Bevölkerung ist heute so ungeheuer falsch informiert, dass sie oft nicht einmal die grundlegendsten Fakten kennt. Es gibt zum Beispiel eine große und wachsende Gruppe von Menschen, die davon überzeugt sind, dass es sich beim Klimawandel um eine Lüge handelt, die Antifa von George Soros finanziert wird und die Erde flach ist.
Darüber hinaus sind die Menschen so losgelöst voneinander und so auf ihre Geräte fixiert, dass es ihnen schwer fällt zu glauben, dass irgendetwas wirklich real ist. Wenn also irgendetwas tatsächlich passiert, halten es viele Menschen für eine Täuschung. Allerdings versteht der Staat es auch, dies auszunutzen. In über 150 Städten gab es Protestaktivitäten. Die Regierung behauptet, Outside Agitators hätten die Rebellion ausgelöst, obwohl dies buchstäblich keinen Sinn ergibt. Historisch gesehen hat die Regierung dies immer über die Befreiungsbewegungen der Schwarzen gesagt. Ein Teil davon ist tief rassistisch. Der Staat vertritt die Auffassung bzw. will, dass die Menschen glauben, dass Schwarze ohne eine weiße Hand zu nichts fähig wären. Und auf der anderen Seite, kann der Staat behaupten, dass die Bewegung unrechtmäßig ist,wenn es sich um „Kräfte von ausserhalb“ handelt.
Nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg trat eine unerbittliche Terrorkampagne des FBI mit dem Ziel der Ausrottung der Linken, der Anarchist*innen und all jener, welche den Status quo in Frage stellten, in vollem Umfang in Kraft. Dies führte dazu, dass künftige Generationen unpolitischer Menschen nichts anderes kennen als Demokrat*innen gegen Republikaner*innen. Seit dieser Zeit gab es in der Geschichte immer wieder Phasen des politischen Wiederauflebens (Anti-Kriegsbewegung in den 60er Jahren, bewaffnete Kampfgruppen in den 70er Jahren, Anti-Globalisierungsbewegung in den 90er Jahren usw.), aber den meisten Menschen in Amerika wird nicht vermittelt, so politisch zu sein wie den Menschen im Rest dieser Welt. Im Allgemeinen wird uns erklärt, kulturell entweder liberal oder konservativ zu sein und uns politische Variationen des rechten Flügels zu eigen zu machen. Die meisten springen in vorgeschriebene politische Narrative, welche kaum eine Herausforderung darstellen. Daher ist die verlockende Schockstarre und die Ehrfurcht vor Verschwörungstheorien ziemlich verständlich, und leider tragen diese auch dazu bei, die Menschen gespalten und abgelenkt zu halten, fixiert auf Bäume im Gegensatz zu einem ganzen Wald.
In Europa gehen diese Art von ausgedehnten Krawallen Hand in Hand mit großen Streiks. Gibt es in dieser Phase große starke Gewerkschaften (vielleicht einige von ihnen linksgerichtet), welche einen großen Streik beginnen könnten?
Die US-Gewerkschaften sind im Allgemeinen von einer rechten Mentalität geprägt und haben kaum noch etwas von ihren radikalen Wurzeln. Natürlich könnten wilde Streiks im Transportwesen den Machthabern beträchtlichen Schaden zufügen, aber das Land befand sich aufgrund der Quarantäne bereits in einer Art surrealem Stillstand, in dem nur sehr wenige arbeiteten und lediglich „wesentliche“ US-Infrastrukturen genutzt wurden.
Einige Gesten der Solidarität wurden zum Beispiel von Busfahrer*innen abgegeben, indem sie sich weigerten, Demonstrant*innen ins Gefängnis zu fahren, aber im Allgemeinen sind Gewerkschaften und wilde Streiks in den USA sehr selten und ebenso ungewöhnlich. In einer Konsumwirtschaft, in welcher die Industrie größtenteils automatisiert ist, werden die wenigen verbliebenen manuellen Arbeiten in der Regel von den am meisten ausgebeuteten Immigrant*innen ausgeführt, und wenn diese Arbeiten von gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen ausgeführt werden, enden sie in der Regel damit, dass sie in ein Land exportiert werden, in welchem die Arbeitskräfte billiger sind. Was jedoch im Vorfeld geschah, waren massive koordinierte Mietstreiks aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der Aufbau riesiger Netzwerke gegenseitiger Hilfe im ganzen Land. Ob nun ein Zufall – wie der Virus selbst – oder ein Vorläufer der Organisierung in Richtung einer allgemeinen Revolte, jeder wilde Streik in der komplizierten Wirtschaft der USA wird in der Regel auf einer organischen sozialen Ebene ausgetragen und nicht durch koordinierte gewerkschaftliche Bemühungen.
Wird Trumps Erklärung, Anarchisten und Antifaschisten als terroristische Organisation zu deklarieren, zu verstärkter Repression führen? Welche Art von Unterstützung werdet ihr in naher Zukunft oder jetzt voraussichtlich benötigen?
Trumps Drohung, Anarchist*innen und Antifa als Terrorist*innen abzustempeln, wird die Repression hier mit ziemlicher Sicherheit noch verschärfen. In vielerlei Hinsicht ist dies ein Zeichen politischer Schwäche und Verzweiflung. Trump, Barr und die anderen Clowns im Amt wissen ganz genau, dass Anarchist*innen nicht die alleinigen Verantwortlichen für diese Aufstände sind. Aber sie können natürlich nicht sagen: „Wir haben jahrzehntelang Schwarze getötet und zerstört, weshalb sie sich rechtmäßig zur Rebellion erhoben haben“. Dazu benötigen sie einen Sündenbock.
Der Staat und die Medien sind verzweifelt darum bemüht, die Reaktion und die Erzählung der Demonstrationen zu korrigieren und umzustrukturieren. Es ist jedoch recht schwierig, einen Aufstand, der so dezentralisiert, spontan und organisch ist, ohne einen imaginären Buhmann, dem man die ganze Schuld zuschieben kann, wieder zu beheben. Wir sind von dieser Reaktion nicht überrascht, und es ist auch nicht zum erste Mal so, dass Anarchist*innen in den Vereinigten Staaten als Staatsfeind Nr. 1 betrachtet werden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bewegung angegriffen wird, ist also sehr hoch. Aber keiner von uns hat Angst. Keiner von uns ist überrascht. Jeder hat erkannt, dass die USA schwach sind und einzig und allein durch Terror regieren können. Wenn die Menschen keine Angst mehr haben, wird die Macht des Regimes erheblich geschwächt. Die größte Unterstützung, um die wir bitten können, besteht darin, die USA so lange anzugreifen, bis dieses elende Imperium endgültig der Vergangenheit angehört.
Soweit uns bekannt ist, wurden über zehntausend Menschen verhaftet. Wir wissen auch, dass auf den Straßen nicht nur die örtliche Polizei, sondern auch die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement), das FBI und verschiedene andere Instanzen die verhafteten Demonstrant*innen verfolgen, überwachen und verhören. Es gibt bereits Menschen, die aufgrund des Werfens defekter Molotovs wegen versuchten Mordes zu langfristigen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Sogar vor all dem haben wir einen anarchistischen Langzeit-Häftling, der mehr als 10 Jahre dafür einsitzt, dass er einen nicht einwandfrei funktionierenden Molotowcocktail gegen das Gebäude einer Bundesbehörde geworfen hat.
Trump und seine Reaktion auf das Thema “ Law and Order “ ist ein Aufruf zu einer konterrevolutionären staatlichen Repressionskampagne, eine die ebenso beispiellos ist wie der Aufstand, welcher derzeit durch die Straßen Amerikas fegt.
Leider waren liberale Aktivist*innen und die Medien Teil dieses Versuchs, Anarchist*innen und Antifaschist*innen zu vertreiben. Zu den widerwärtigen Dingen die passieren, wenn reformistische Gruppen beginnen einen Dialog zu kooptieren, gehört es den so genannten weißen Provokateur*innen die Schuld an dieser Gewalt zuzuschieben, Informationen über mutmaßliche Randalierer*innen ins Netz zu stellen und auch, dass liberale Aktivist*innen, die gegen Demonstrant*innen vorgehen, welche Sachbeschädigungen begehen, diese später der Polizei ausliefern.
Anstatt die Solidarität in den Aktionen der Anarchist*innen und Antifaschist*innen anzuerkennen, welche sich horizontal an den Krawallen beteiligen, degradieren viele aus der politisch korrekten Mittel- und Oberschicht sowie liberale schwarze Führer*innen, welche dem weißen Mainstream entgegenkommen, die mutige Gewalt gegen die Polizei, indem sie sie als „politischen Opportunismus durch weiße Agitator*innen“ abstempeln. Ungeachtet solch absurder Behauptungen, die im Einklang mit anderen liberalen Verschwörungstheorien stehen, wissen wir alle, dass Anarchist*innen und Antifaschist*innen für die Intensität des Widerstands eine weitaus geringere Rolle spielen als all die informell politischen Schwarzen und Braunen Menschen sowie die Leute aus der Arbeiter*innenklasse, welche das Elend des amerikanischen Alltags ganz einfach satt haben.Als Anarchist*innen weisen wir allerdings den Vorwurf der Kooptierung schwarzer Kämpfe zurück und werden auf ewig als Kompliz*innen des Aufstandes gegen die weiße Vorherrschaft auftreten, im Gegensatz zu jenen Verbündeten, welche nur aus der Sicherheit von Computern und Wahlurnen heraus unterstützen.
Es passiert so unglaublich viel, es wird noch so viel erwartet, und all die Informationen sind im Augenblick einfach nur überwältigend. Wir fügen diesem Text eine Liste von Kautionsfonds, Anti-Repressions-Gruppen und Internetseiten bei, welche häufig aktualisiert werden und sich auf den anhaltenden Aufstand beziehen.
Bail Funds (Kautionsfonds) – Riesige Sammlung von Kautionsfonds und Unterstützungsgruppen, welche im Laufe des aktuellen Aufstands geschaffen und zur Durchführung desselben verwendet werden.
Revolutionary Abolitionist Movement (RAM)

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