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Wir lassen uns nicht von der Straße verscheuchen: Ein Bericht von der Frontlinie der Revolte in #Portland

Morgen wird die zweite Ausgabe von Sūnzǐ Bīngfǎ veröffentlicht. In der zweiten Ausgabe findet sich u.a. ein aktuellerer Bericht aus Portland. Als Vorgeschmack publizieren wir hier auf dem Enough Blog ein Bericht vom 6. Juli 2020, über die anhaltende Welle von Demonstrationen als Reaktion auf den Polizeimord an George Floyd aus Portland, Oregon.

Ursprünglich veröffentlicht von Its Going Down (am 06. Juli, 2020). Übersetzt von Enough 14.

Am 30. Juni veranstalteten PNWYLF, Direct Action Alliance, Femmes Strike Back PDX und Revolution Rising ein gemeinsames Festmahl, eine Kundgebung und einen Protestmarsch gegen das Portland Police Bureau. Unsere Motivation für diese Veranstaltung war es, die Aufmerksamkeit auf die anhaltende Brutalisierung und Ermordung schwarzer Einwohner Portlands durch die Polizei von Portland zu lenken. Die Portland Police hat seit 1992 mehr als 65 Menschen ermordet, vor allem Schwarze, Menschen ohne Unterkunft und Menschen mit psychischen Problemen. Wir wollten auch die Rolle der Portland Police Association (unserer Schweinegewerkschaft) hervorheben, welche die Bullen jahrzehntelang vor jeder Art von Verantwortung geschützt hat.

Das gemeinsame Festmahl begann um 15.00 Uhr im Peninsula Park, jenem Ort, an dem am 29. Mai nach dem Mord an George Floyd massiv gegen die Polizei protestiert wurde. In der Nacht vom 29. Mai wurden in der ganzen Stadt ausgedehnte Enteignungen und Umgestaltungen vorgenommen, wobei im sogenannten Justizzentrum Brände gelegt wurden. Die Proteste begannen zwei Tage zuvor am 27. Mai in Portland, als das (Un-) Justice Center von einem langjährigen schwarzen Aktivisten besetzt wurde. Seither laufen die Proteste jeden Tag weiter, trotz der schweren staatlichen Gewalt und der Bemühungen der so genannten „Führer*innen“ und opportunistischen liberalen Organisationen, sich zu erholen. Diese Kundgebung am 30. Juni war die 35. Nacht der Proteste in Folge.

Die Kundgebung begann kurz nach 18.00 Uhr und umfasste Redner verschiedener lokaler Gruppen sowie Auftritte lokaler Künstler und eine Anerkennung des Landes [1]. Die Kundgebung endete mit einem Redner von Direct Action Alliance, und wir begannen mit einer stabilen Menschenmenge von über 300 Personen in Richtung Westen zu marschieren.

Bild von Robert Evans (@iWriteOk). Auf dem Transpi steht: Schafft das PPB ab (Fuck 12) Andre Gladen, Vernon Allen, Deontae Keller, Patrick Kimmons, Aaron Campbell, Keaton Otis, Kendra James, Quanice Hayes, Tony Stevenson, Jahar Perez.

Das Ziel der Demo wurde jedoch erst zu Beginn des Zuges bekannt gegeben. Ein Arsch voll Bullen war auf dem nördlichen Revier stationiert, wo vor weniger als einer Woche ein Aufstand stattgefunden hatte. Die Menge wuchs weiter an, als wir durch die Wohnviertel im Norden marschierten. Die Menge rief: „Cops here, Army there, US out of everywhere“ und die Namen von Patrick Kimmons, Quanice Hayes, Kendra James und Jason Washington. Als der Demonstrationszug sich bis auf ein Dutzend Blocks an das Gebäude der Polizeigewerkschaft von Portland (PPA) näherte, erfuhren wir, dass die Bereitschaftspolizei unterwegs war. Die Demonstration traf gegen 21 Uhr ein, und die Bereitschaftspolizei hatte einen engen Ring um ihr (von ihr) geschätztes, nicht gekennzeichnetes Bürogebäude gebildet.

Das LRAD-Fahrzeug [2] wurde einige Blocks weit entfernt positioniert, und nach ein paar Minuten wurde das LRAD dazu genutzt, um bekannt zu geben, dass es sich bei diesem Protest nunmehr um eine „unrechtmäßige Versammlung“ handele. Dies kam für einige überraschend, da der Marsch vollkommen friedlich verlaufen war. Aktionen wie diese machen nur umso deutlicher, dass der Staat keinerlei Rechtfertigung braucht, um Proteste anzugreifen, und daher sind Aufrufe zu „friedlichen Protesten“ gefährlich und fern jeder Logik oder bezug zur Geschichte.

Die Polizei von Portland begann gegen 21.30 Uhr die Menge auf der Lombard Street anzugreifen und in den Osten zu drängen. Schweine in Kampfanzügen, einige von der Oregon State Police sowie einige State Troopers, schlugen mit Schlagstöcken auf die Menschen ein, sogar auf Pressevertreter*innen und Menschen, die auf Parkplätzen und Bürgersteigen herumstanden. Die Polizei hielt in der Lombard Street eine Linie aufrecht und schützte das PPA-Gebäude samt dem gegenüberliegenden Donut-Shop vor Unruhen. Den Anwohner*innen wurde der Zutritt zu ihren Häusern verwehrt, weshalb diese über die Reaktion der Polizei sehr verärgert waren. Einige beschimpften die Polizei von Balkonen und Türen aus. Es ist nicht alltäglich, dass Ihr Viertel von einer weißen Rassistenbande in Beschlag genommen wird.

Der Donut-Shop direkt gegenüber der Polizeigewerkschaft von Portland ist der Ort, an dem die Polizei von Portland 1998 Richard „Dickie“ Dow ermordet hatte. Ein SRO (School Resource Officer) [3] der nahe gelegenen Schule reagierte auf einen Bericht über einen Kampf im Donut-Laden und begann damit, Dickie zu verfolgen. Als Verstärkung eintraf, umzingelte die Polizei von Portland Dickie und schlug ihn vor den Augen seiner Eltern ( welche sie verhafteten) und Nachbar*innen mit Schlagstöcken. Am darauffolgenden Tag wurde er für tot erklärt. Dickie Dow litt an einer psychischen Erkrankung, und kein Bulle wurde jemals für seine Ermordung zur Rechenschaft gezogen.

Die Polizei von Portland hält vor einem Donut-Laden in der North Lombard Avenue Wache. 1998 ermordete die Polizei von Portland Dickie Dow, nachdem sie ihn hier gestellt hatte.

Die Menge zog hastig Müllcontainer und anderes Material auf die Straße, um das Vorrücken der Bullen einzuschränken. Mehrere Personen waren mit Pfefferspray besprüht worden und mussten medizinisch betreut werden, während andere von Markerpatronen und Pepperballs getroffen worden waren. Schließlich wurde noch ein Abfallbehälter angezündet, was sich in der Vergangenheit als effektive Hinhaltetaktik erwiesen hatte, obwohl der Wind den Rauch in Richtung der Demonstrant*innen und nicht in Richtung der Schweine blies ( bedenkt immer den Wind, Leute)! Währenddessen hielten die Bullen ihre Reihe aufrecht und schossen weiter mit Projektilen auf die Demonstrant*innen. Ohne jede Vorwarnung stürmte die Polizei mit voller Geschwindigkeit auf die Menge zu und schlug mit Schlagstöcken auf die Menschen ein, wobei sie Transparente und Schilder entwendeten. Rauchgranaten wurden weit über die Demonstrant*innen hinaus verschossen und landeten im Verkehr. Viele der Rauchgranaten wurden auf die Polizei von Portland zurückgeworfen, welche diese dann anschließend wieder in die Menge schleuderte.

Die Polizei von Portland greift Demonstrant*innen an und stiehlt das Transparent „Abolish the PPB“. Pfefferkugeln werden aus nächster Nähe abgefeuert.

Zu diesem Zeitpunkt hielten wir es für notwendig, die Veranstaltung zu einem Bullenkrawall zu erklären, da die Polizei Eigentum stahl und eine Bedrohung für die Sicherheit der Menschen darstellte. Die Polizei löste sich trotz mehrfacher Warnungen nicht auf, so dass die Demonstrant*innen halbleere Wasserflaschen in ihre Richtung schleuderten. Diese reagierten mit noch mehr Rauchkanistern, Pfefferkugeln und weiterer Munition.

Nachdem die Bullen die Menge mehrere Blocks weit vor sich hergeschoben hatte, gab das LRAD-Fahrzeug bekannt, dass der Protest nun ein Aufruhr sei. Es wurde deutlich, dass dies nur dazu diente, um die Menge mit Tränengas zu vergiften, zumal die Bereitschaftspolizei begann, ihre Gasmasken aufzusetzen. In früheren Nächten warnte die Polizei vor Angriffen auf Menschen mit Ausdrücken wie „zivilen Unruhen“ oder „unrechtmäßigen Versammlungen“. Sie bezeichneten den Protest als „Aufruhr“, weil die am 26. Juni verabschiedete Gesetzesvorlage 4208 den Einsatz von CS-Gas verbietet, sofern es nicht zu einem „Aufruhr“ kommt. Die Polizei von Portland untersteht ebenfalls einer einstweiligen Verfügung, welche den Einsatz von Tränengas verbietet, und die von Don’t Shoot Portland eingereicht wurde.

Gegen 22.15 Uhr begann die Bereitschaftspolizei, Tränengas (CS-Gas) in die Menge zu verschießen. Die ersten Kanister wurden weit über die Menge hinaus in jene Richtung gefeuert, in die sich die Menschen auflösen sollten. Einige Kanister wurden in Richtung einer Tankstelle an der Ecke Interstate Avenue und Lombard geschossen. Mehrere Fahrzeuge, die nichts mit dem Protest zu tun hatten, befanden sich noch auf der Fahrbahn, als die Bullen mit der Vergasung begannen, und auch draußen warteten Menschen auf die gelbe Linie MAX und mehrere Buslinien. Die Polizei feuerte Dutzende von Tränengaskanistern in die Menge und schoss weiter auf die Menschen, während diese sich in Sicherheit brachten. Die Tränengaswolken waren so dicht, dass es selbst mit einer luftdichten Schutzbrille schwierig war, etwas zu erkennen. Viele Menschen strömten in die Wohnstraßen und riefen den Nachbarn zu, dass sie ihre Fenster und Türen schließen sollten. Andere wateten durch den Verkehr und rannten nach Osten in Richtung einer mehrspurigen Kreuzung. Es dauerte mehrere Minuten, bis die Menschen wieder zu Atem kamen und die Augen wieder geöffnet hatten.

Einigen gelang es, sich neu zu formieren und den Lombard östlich der Interstate Avenue zu halten. Die Menge hatte sich zu diesem Zeitpunkt ausgedünnt, aber es blieben noch mindestens 150 Menschen übrig. Die Polizei randalierte weiter durch die Straßen von Portland und schoss Blendgranaten und weitere Munition in die Menge, während sich die Menschen weiter östlich bewegten. Zu diesem Zeitpunkt intensivierte die Polizei ihre Bemühungen um Verhaftungen. Wie schon in den vorangegangenen Nächten hatte die Polizei Journalist*innen und Livestreamer*innen im Visier, mit dem Ziel, sie festzunehmen. Zwei dem KBOO angeschlossene Videofilmer, Cory Elia und Lesley McClain, wurden verhaftet, obwohl sie Presseausweise und die Aufschrift „PRESSE“ auf ihrer Kleidung trugen. Zu Beginn dieser Nacht stahl die Polizei dem Fotojournalisten Alex Milan Tracy aus Portland einen Go-Pro.

Die verbleibende Gruppe von Demonstrant*innen marschierte zum nördlichen Polizeirevier, und die Zusammenkunft wurde sofort zu einer „unrechtmäßigen Versammlung“ erklärt. Die Bereitschaftsbullen drängte die Menschen ostwärts weiter nach Killingsworth ab, wo die Polizei einen dritten Journalisten von Portland Independent Documentarians festsetzte.

Am Tag nach dem PPA-Protest stimmte der Stadtrat einstimmig für eine Verlängerung des Vertrags mit der Polizei von Portland, wozu auch eine dreiprozentige Lohnerhöhung für die Bullen zählt. Bürgermeister Ted Wheeler (Tear Gas Tevis) bekräftigte symbolische „Community Leaders“, die für das jahrhundertealte Outside Agitator Märchen werben, und bewies damit, dass die Stadt Portland nur dann auf schwarze Stimmen hören will, wenn es politisch sinnvoll ist. Wir lehnen daher all die leeren Reformen ab, welche von unseren „progressiven“ Führer*innen aus der Stadtregierung gelobt werden. Tränengas tut ebenso weh, selbst wenn es von einer Polizeibehörde mit einem schwarzen Chef verschossen wird. Wir verurteilen aufs Schärfste die gezielte Verfolgung von Journalist*innen und Pressevertreter*innen durch die Polizei in Portland, und wir fordern, dass ihre Anklage zusammen mit den Anklagen gegen alle anderen, welche im Laufe des George-Floyd-Aufstandes verhaftet wurden, fallen gelassen werden. Wir lehnen die Gasangriffe und Attacken der liberalen Torwächter ab, welche behaupten, die “ Bewegung “ werde durch den Plünderer und den Steinewerfer geschädigt.

Wir sind nicht müde, wir sind angepisst – und wir haben gerade erst angefangen.

Wir haben ein PDF unseres Zines über die Portland Police Association, „Porkland Mafia“, zum Herunterladen bereitgestellt. (Englisch-> hier)

Fußnoten

[1] Eine Anerkennung des Landes ist eine formelle Erklärung, die die indigenen Völker als traditionelle Verwalter dieses Landes und der andauernden Beziehung, die zwischen den indigenen Völkern und ihren traditionellen Territorien besteht, anerkennt und respektiert. https://www.northwestern.edu/native-american-and-indigenous-peoples/about/Land%20Acknowledgement.html

[2] Das Long Range Acoustic Device (LRAD) ist ein von den US-Streitkräften benutztes akustisches Gerät, mit dem sowohl normale Lautsprecher-Durchsagen als auch schmerzhaft laute Töne ausgesendet werden können. https://de.wikipedia.org/wiki/Long_Range_Acoustic_Device

[3] Das Justizministerium der Vereinigten Staaten definiert School Resource Officers (SROs) als „vereidigte Strafverfolgungsbeamte, die für die Sicherheit und Verbrechensverhütung an Schulen verantwortlich sind“. https://en.wikipedia.org/wiki/School_resource_officer



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1 Gedanke zu „Wir lassen uns nicht von der Straße verscheuchen: Ein Bericht von der Frontlinie der Revolte in #Portland

  1. […] Seit Beginn des George-Floyd-Aufstandes war Portland Schauplatz einer fast ununterbrochenen Militanz gegen die Polizei. […]

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