
Was folgt, ist die Übersetzung eines Beitrags von Wolfi Landstreicher: „Notes Toward a New Analysis of Institutions of Domination“, der ursprünglich in Killing King Abacus #2 (Frühjahr 2001) erschienen ist. Im Moment wird die komplette Killing King Abacus #2 Anthologie übersetzt. Dieser Beitrag ist ein Teil davon (Stay tuned für die komplette Anthologie).
Ursprünglich veröffentlicht in Killing King Abacus #2 (Frühjahr 2001). Übersetzt von Riot Turtle.
Noch vor 65 Jahren war es üblich, in der anarchistischen Literatur Analysen der Institutionen zu finden, in denen sich die verschiedenen Formen der Herrschaft manifestierten. Wenn man über die Unterdrückung der Frauen schrieb, wurden die Familie und die Ehe untersucht und bloßgestellt. Ginge es um die Unterdrückung des Vergnügens und der Lebensfreude, so würden Religion und das Rechtssystem unter die Lupe genommen werden. Der institutionelle Rahmen, auf dem diese Gesellschaft aufgebaut ist, wurde als Quelle von Ausbeutung, Beherrschung und Entfremdung erkannt.
Es scheint, dass dieser institutionelle Rahmen in letzter Zeit weitgehend vergessen wurde. Von den verschiedenen Institutionen, in denen unser entfremdetes kreatives Potenzial zu unserem Nachteil akkumuliert wurde, scheinen nur noch der Staat und das Kapital (und gelegentlich die Technologie) in nennenswertem Umfang erwähnt zu werden, und selbst diese werden häufig eher als Geisteszustände und nicht als konkrete soziale Institutionen behandelt. So stellen wir fest, dass Anarchist:innen eher gegen den Staatismus (was immer das ist) als gegen den Staat sind. So kann Bookchin behaupten, antistaatistisch zu sein, während er den antiken griechischen Stadtstaat als Modell für seine demokratische Version der „Anarchie“ propagiert.
Jede andere Form der Unterdrückung wird ebenfalls zu einem „Ismus“ (Rassismus, Sexismus usw.) oder noch schlimmer (Homophobie impliziert eine psychische Störung, die einer Therapie bedarf, und nicht eine Form der sozialen Unterdrückung, die nach Revolte ruft). Natürlich leugnen wir die Realität der Ideologien der Bigotterie und ihr Eindringen in die Gedanken und Gefühle der Ausgebeuteten und Unterdrückten nicht. Aber ohne ein Verständnis des institutionellen Rahmens von Unterdrückung und Herrschaft ist es nicht möglich zu verstehen, wie die herrschende Klasse diese Ideologien benutzt, um diejenigen zu spalten, die sie ausbeuten.
Selbst die scheinbar Radikalsten (weil rhetorisch am extremsten) im anarchistischen Milieu entgehen dem nicht. Die Kritik, die aus primitivistischen und antizivilisatorischen Kreisen kommt, zielt viel zu oft mit ihrem verbalen Angriff auf eine nebulöse, schwach definierte Zivilisation. Gewiss, „für die Zerstörung der Zivilisation“ klingt radikal. Aus meiner Sicht stimme ich dem sogar zu. Aber für mich ist Zivilisation nicht irgendeine nebulöse, größtenteils mentale Kategorie, die dem Rationalismus oder der westlichen Mentalität oder welcher unerwünschten Denkweise auch immer entspringt; sie ist ein Netzwerk konkreter sozialer Institutionen, mit denen ich in meinem täglichen Leben konfrontiert bin: der Staat, die Wirtschaft, die Religion, die Familie, technologische Systeme und so weiter, alles sehr reale Entitäten, die Mensch mit Gedankenspielereien nicht auslöschen kann.
Und genau hier greift die aktuelle Tendenz zu kurz. Wenn die Analyse des institutionellen Rahmens von Unterdrückung, Ausbeutung, Herrschaft und Entfremdung vergessen wird, ersetzt die Therapie die Revolution. Wir sind gezwungen, uns mit den pathetischen, weinerlichen Bekenntnissen eines Chris Crass oder der schlechten Pop-Psychologie der Autoren von „Stick it to the Manarchy“ [1] (die Verwendung von Begriffen wie „Manarchie“ ist ein sicheres Zeichen dafür, dass jemand nichts sagt, was es wert ist, gehört zu werden) zu befassen, während sie versuchen, ihren krankhaften „Sexismus“, „Rassismus“, „Homophobie“ und „Klassismus“ zu verarbeiten, die keine Ideologien der Bigotterie mehr sind, sondern niedere Geisteskrankheiten, unter denen die selbsternannten „Privilegierten“ aller Klassen leiden.
Jeder ernsthafte revolutionäre Anarchist:in muss all dies als einen weiteren Trick der Feiglinge und derjenigen sehen, die immer noch ein gewisses Interesse an der gegenwärtigen Ordnung haben, um die wirkliche Entscheidung darüber hinauszuschieben, auf welcher Seite sie im Kampf gegen diese Gesellschaft stehen. Diejenigen von uns, die es ernst damit meinen, die gegenwärtige Welt zu zerstören, um unser Leben selbst zu gestalten, haben keine Zeit für diese selbstverliebten Gedankenspiele, die an 12-Schritte-Gruppen erinnern („Mein Name ist … und ich bin süchtig nach meiner eigenen Unterdrückung“). Unsere Aufgabe liegt vor uns: die Institutionen, die uns unser Leben gestohlen haben, zu entlarven und anzugreifen und uns dabei unser eigenes Leben wieder anzueignen. Was auch immer an kleinen Fetzen unterdrückender Mentalität in diesem Prozess überleben mag, kann beseitigt werden, wenn wir diese Aufgabe bewältigt haben.
Wolfi Landstreicher
Fußnoten
[1] Manarchie ist eine Ideologie, die behauptet, Widerstand gegen systemische Unterdrückung zu leisten, aber durch ihr eigenes Privileg geblendet ist; größtenteils die Domäne junger, heterosexueller, weißer, körperlich fähiger, cisgeschlechtlicher Männer mit Hochschulbildung. Ein Zusammenschluss aus „Mann“ und „Anarchie“ https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Manarchy
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