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Eine antifaschistische Botschaft aus den Schatten Mittel- und Osteuropas [Tschechische Republik, Ukraine]

In dieser langen Text erläutert Czech Antifa (tschechische Antifa) ihre Sicht des Ukraine-Konflikts, kritisiert die primär westliche Logik, die einen Großteil der entstandenen Debatte prägt, und spricht die ihrer Meinung nach kolonialen Überbleibsel an, die die Reaktionen auf den russischen Imperialismus handlungsunfähig macht.

Bild oben: Butscha nach der russischen Invasion in der Ukraine. Bild von Oleksandr Ratushniak, lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International Lizenz.

Ursprünglich veröffentlicht von Freedom News. Übersetzt von Riot Turtle.

Der russische Imperialismus bringt Faschismus und Völkermord, getarnt in der Sprache des Antifaschismus, nach Mittel- und Osteuropa (MOE). Mitteleuropäische Antifaschist*innen gehörten zu den ersten, die auf die gefährliche systematische und massive Unterstützung Russlands für Ultranationalist*innen und Neonazis in ganz Europa seit 2014 aufmerksam machten. Heute ist aus der stillschweigenden Unterstützung ein offener Krieg geworden, und die mitteleuropäischen Antifas senden eine Botschaft – Russland muss um jeden Preis besiegt und vertrieben werden, oder Tod, Dunkelheit und Unterwerfung werden über die mitteleuropäische Region hereinbrechen, und alle emanzipatorischen Aktivitäten sowie ihre Träger werden eine Kugel zwischen die Augen bekommen.


Wenn wir eine Zeitmaschine hätten und euch in die Vergangenheit und die jüngste Vergangenheit mitnehmen könnten, wisst ihr, was ihr sehen würdet, wenn ihr euch umschauen würdet?

Das Russische Reich im Osten, das Deutsche Reich im Westen und das Türkische Reich im Süden. Drei Imperien, viele historische Formen und ein allzu oft geteiltes Ziel, die „Krankheit“ aller Imperien, nämlich das Bedürfnis, ihren Einflussbereich zu erweitern, die Räume um sie herum zu besetzen, zu erobern.

Und wissen ihr, was ihr zwischen ihnen, in ihrem Schatten, sehen würdet? Kleine, historisch, geografisch und sprachlich vielfältige Regionen und politische Gebiete, die sich von Estland bis Rumänien, von der Tschechischen Republik bis zur Ukraine erstrecken und bis heute trotz der Imperien und manchmal auch trotz ihrer selbst überlebt haben.

Willkommen in unserer Region, Mittel- und Osteuropa (MOE).

Eine Region, die historisch durch das Aufeinandertreffen dreier Imperien geprägt ist.

Eine Region, die nicht durch die Küsten der Ozeane, sondern von außen und geopolitisch definiert wurde – nämlich dadurch, ob eines der benachbarten Imperien Teile von MOE erobern und unterwerfen wollte – wie in der Tschechoslowakei 1938 und 1968, in Polen 1939, im Baltikum 1940, in Ungarn 1956.

In einer Region, in der die Kleinen manchmal kontroverse Allianzen schmieden müssen, um sich gegen die Imperien zu verteidigen.

In einer Region, deren Stimme und Perspektive chronisch übersehen und ignoriert wird.

In einer Region, die weder der reiche Westen oder Norden, noch der bevölkerungsreiche Osten, noch der arme Süden ist.

In einer Region, deren Leben und Identität nun wieder auf dem Spiel steht – wenn die heutige Türkei ihre imperialen Ambitionen nach Osten richtet und Deutschland einen Wandel durchgemacht hat, der seine imperialen Bestrebungen hoffentlich für lange Zeit zum Erliegen gebracht hat -, ist es Putins Russland, das weiterhin die Linie der imperialen Politik gegenüber Mittel- und Osteuropa sowie anderen Regionen, die es als seine „Einflusssphäre“ betrachtet, beibehält.

Gegen „antifaschistischen Faschismus“

Als die organisierte antifaschistische Bewegung in den 1990er Jahren in den MOE-Ländern entstand, war die Situation klar. Das Sowjetimperium hatte sich von der Ideologie des Staatskommunismus verabschiedet, und es war die Nazi-Ideologie, die im postsowjetischen Raum Fuß zu fassen begann. Rassistische Übergriffe und Morde waren an der Tagesordnung, die kommunistische Polizei tat oft so, als würde sie nichts sehen, und uns war klar, dass niemand diese Aufgabe für uns übernehmen würde. Also begannen wir, unsere Gebiete systematisch selbst zu entnazifizieren.

Aber die Situation begann sich allmählich zu ändern. Es gelang uns, die rassistischen Skinhead-Banden zu vertreiben, aber an ihre Stelle drängte allmählich ein neuer Feind, Autokrat*innen, Autoritäre, Nationalist*innen, Traditionalist*innen aller Art, die zwar ausgefeilter waren, aber im Grunde das Gleiche wollten wie der glatzköpfige Abschaum – einen nationalkonservativen Staat.

In den letzten Jahren haben wir mit großem Misstrauen die „Braunfärbung des Mainstreams“ an verschiedenen Orten beobachtet, vor allem aber in Russland. Russland ist zu einem Regime geworden, das sich seit Putins Machtübernahme zu einer konservativen Autokratie entwickelt hat, die eng mit der orthodoxen Kirche verbunden ist, die nicht nur jegliche politische Opposition, unabhängige Medien, fortschrittliche Aktivitäten, LGBTQI+-Minderheiten und Nichtregierungsorganisationen unterdrückt, vertreibt und tötet, sondern auch Ultranationalist*innen beträchtlichen Raum gibt und Neonazis als Teil der Herausbildung einer großrussischen imperialen Überzeugung in der Bevölkerung duldet. Und nicht nur das – Neonazis gibt es nicht nur in paramilitärischen pro-russischen Gruppen wie Wagner und Rusich, sondern es gibt auch Hinweise auf Verbindungen zwischen lokalen Neonazis und dem Geheimdienst FSB.

Wenn Putins Russland durch die Ideologie des „Antifaschismus“ geschützt wird, die es durch nationalistische Jugendorganisationen wie Naschi fördert, dann landen die wirklichen Antifaschist*innen, die die Neonazis dort bekämpfen, in Gefängnissen, im Exil und in Leichenhallen. Es ist höchst absurd, dass Russland seine „Braunfärbung“ und die Tatsache, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten zum weltweiten Hauptzentrum der Autokratie, des Traditionalismus, des Ultranationalismus, der Zensur, des Konservatismus, der extremen Rechten, des Chauvinismus und des spezifisch russischen „Antifaschismus“ geworden ist, mit der Sprache des Antifaschismus ummantelt.

Ihr wollt einen quantitativen Beweis? Wie wäre es mit der Zahl der politisch motivierten Morde, die von Anhänger*innen der extremen Rechten begangen wurden? Allein zwischen 2000 und 2017 wurden in Russland 459 Morde registriert. Im übrigen Europa gab es zwischen 1990 und 2015 330 solcher Morde, darunter alle 77 Opfer von Anders Breivik. Wenn es also ein Land gibt, das einer tiefgreifenden Entnazifizierung bedarf, dann ist es in erster Linie Russland.

Mehr noch, etwa 2014 und im Zusammenhang mit der Krim-Invasion, aber auch mit der Rückkehr zu einer Außenpolitik der Intervention und der Einflusssphären, begann Russland, diese Dinge zu exportieren. Nein, russische Exporte sind nicht nur Erdgas und Öl, sondern auch Faschismus und Ultranationalismus. Wie verschiedene Wissenschaftler und auch unsere eigenen Recherche auf www.antifa.cz zeigen, hat Russland in den letzten acht Jahren begonnen, nicht nur verschiedene linksautoritäre Zusammenschlüsse, sondern auch offene Ultranationalist*innen und Neonazis in ganz Europa finanziell, materiell, aber auch durch systematische Desinformation im Internet zu unterstützen – von der slowakischen LSNS über die deutsche AfD, Orbán in Ungarn, die FPÖ in Österreich bis zu Le Pen in Frankreich. Heute wissen wir auch, dass dies Teil einer umfassenderen Strategie war, die im Kriegseintritt in die Ukraine gipfelte, im Bestreben, die MOE-Länder zurückzuerobern und Russland in die Grenzen und imperialen Einflusssphären der Sowjetunion zurückzuführen. Nach 30 Jahren will das östliche Imperium zurückkehren, so viel wie möglich von unserem Raum abtrennen und ihn übernehmen, wobei es sich unter anderem einer sorgfältig gepflegten fünften Kolonne ultranationalistischer Parteien und Bewegungen in Europa bedient, die in ihrer Hand sind.

Kämpfen für das Leben der Region

Unsere MOE-Region kämpft wieder einmal um ihr Leben – und das ist keine Metapher, keine Übertreibung, keine rhetorische Wendung, sondern eine greifbare Realität, deren Konturen heute in Butscha, Irpin, Hostomel und vielen anderen Orten zu sehen sind. Es ist nichts anderes als ein Völkermord an den Ukrainer*innen, der sich in der Ukraine abspielt. Schließlich ist es das, was das ideologische Sprachrohr des Putin-Regimes, Alexander Dugin, seit 2014 fordert, als er die Ukrainer*innen als eine „Rasse von Bastarden“ bezeichnete. In diesem Sinne ist das Vorgehen der russischen Soldat*innen nicht überraschend. Unter dem bizarren Deckmantel der Entnazifizierung wird in der Ukraine eine Politik der Ausrottung betrieben – eine der Säulen des Nationalsozialismus. „Ein Nazi“, so der Historiker Timothy Snyder über den von Russland konzipierten Nationalsozialismus, „ist ein Ukrainer*in, der sich weigert, zuzugeben, dass er/sie Russ*in ist.“ Wenn heute jeder Ukrainer*in in den Augen Russlands ein Nazi ist, so ist es jeder Bürger*in in MOE, vor allem wir, als organisierte Antifaschist*innen.

Putins Regime in der Ukraine ermordet nicht nur das zivile Leben selbst, sondern auch die Bedingungen des zivilen Lebens. Denn wenn das russische Imperium gewinnt, werden alle sozialen, emanzipatorischen, liberalen, anarchistischen, feministischen, antifaschistischen, ökologischen, autonomen, menschenrechtlichen, subkulturellen und sonstigen Aktivitäten in den Boden gestampft, und mit ihnen ihre Vertreter*innen und Verteidiger*innen. Wie es im heutigen Russland der Fall ist.

In diesem Sinne geht es im heutigen Krieg in der Ukraine nicht nur um das Leben, sondern auch um die Bedingungen des zukünftigen Lebens. Und die Menschen vor Ort sind sich dessen sehr wohl bewusst, weshalb sich die Bevölkerung in großer Zahl und weit über die so genannte Territorialverteidigung hinaus dem Kampf anschließt, um ihr Zuhause zu verteidigen. Einer der Freiwilligen der in Lviv ansässigen Initiative Operation Solidarity erklärt: „Wenn die Russ*innen die [Ukraine] besetzen, werden sie jeden politisch Aktiven umbringen, unabhängig von seiner [politischen] Einstellung … wenn der Kampf verloren geht, wird niemand mehr übrig sein, [kein rechter, kein linker Flügel], er wird ausgelöscht.“ Entweder die imperiale Versklavung, die Ausrottung, die Kolonisierung durch eine konservative Autokratie oder die Verteidigung einer Welt, die zwar nicht ideal ist, aber zumindest die Kultivierung von Vielfalt und die Ausweitung von Alternativen zulässt und nicht Gefängnis, Exil oder eine Kugel für abweichende Meinungen vorsieht. Ein andere Aktivist*in der Operation Solidarity in der Ukraine drückte es noch deutlicher aus: „Wir sind vom ukrainischen Staat nicht begeistert (er ist eher neoliberal als nazistisch oder stark autoritär) – er hat eine Menge Probleme wie ein oligarchisches System, Korruption, Zerstörung der sozialen Sicherungsnetze, Polizei- und Nazigewalt usw. Gleichzeitig ist die Ukraine ein Raum mit relativ geringer staatlicher Kontrolle, der auf der einen Seite wächst, auf der anderen Seite aber auch ein Raum des Aufbegehrens progressiver sozialer Kräfte ist. Wir leisten also Widerstand, weil es um unsere Zukunft geht (physisch und politisch). Wenn Russland gewinnt, werden alle fortschrittlichen Dinge, die wir durch soziale Kämpfe erreicht haben, vergewaltigt, mit Füßen getreten und vernichtet.“

Mit diesen Karten auf dem Tisch ist es nicht verwunderlich, dass an der Front gegen die russische Invasion Vertreter*innen aller politischen Richtungen, Lebensstile, kulturellen Strömungen und sozialen Schichten anzutreffen sind, von Tierschützer*innen, den ärmeren und reicheren Schichten der Gesellschaft, über Anhänger*innen von musikalischen Jugend-Subkulturen oder Menschenrechtsorganisationen bis hin zu antifaschistischen Hooligans oder organisierten Anarchist*innen.

Ihre Vielfalt geht weit über die Sichtweise des russischen Staates hinaus, der zu behaupten versucht, dass nur ukrainische Nationalist*innen und Neonazis gegen ihn agieren.

Die Aufgabe ist klar und wird von allen geteilt – den russischen Imperialismus mit allen Mitteln zu stoppen und ihn mit Gewalt zu besiegen. Dank unserer historischen Erfahrung in den MOE-Ländern wissen wir, dass dies das Einzige ist, was für Russland zutrifft bzw. was es versteht. Eine Appeasement-Politik wird nicht helfen, wie sich Europa aus den Ereignissen nach dem Münchner Abkommen mit Hitler 1938 sehr gut erinnern sollte, als es diesen fatalen Fehler schon einmal gemacht hat. Sie wird das Imperium nur zu einer weiteren Expansion ködern.

Und bei dieser neuen Aufgabe, diesen imperialen Stolz einzuschläfern (wie auch die Kampagne der ukrainischen Antiautoritären, GNIP – Good Night Imperial Pride, genannt wird), haben wir keine andere Wahl, als uns situativ und positionell mit fast jedem zu verbünden … so wie die Antifaschist*innen bereit waren, sich im Kampf gegen Nazideutschland während des Zweiten Weltkriegs mit jedem zu verbünden. In einem Krieg, der das Leben und die Lebensbedingungen einer ganzen Region auslöscht, gibt es keine andere Möglichkeit. Ja, wenn Putin verliert, wird es ein Problem mit den neuen Ultranationalist*innen geben, für die die totale Militarisierung Mittel- und Osteuropas ein Katalysator ist, aber dieses Problem wird ganz andere Parameter haben und unvergleichlich einfacher zu lösen sein, als wenn der imperiale Putin gewinnt, weiter nach Mittel- und Osteuropa vordringt, dort ein dunkles Zeitalter einführt und die EU durch die Unterstützung einer fünften Kolonne ultranationalistischer Parteien und Bewegungen im übrigen Europa weiter demontiert.

Dies ist unsere Position und Perspektive – eine Botschaft einiger der Einheimischen, nämlich der Antiautoritären und Antifaschist*innen, die in der MOE-Region zu Hause sind, sie verteidigen und sie so gut wie nur irgendwie möglich gegen jede Form der Unterdrückung verteidigen werden. Es ist unsere Perspektive, die wir in die Welt senden, basierend auf einer praktischen Perspektive, auf unserem Leben, auf unserer Erfahrung, auf unserer Entschlossenheit, aber auch auf unserer Sorge um die Zukunft unserer Kinder.

Aber wird sie jemand hören? Wird sie ernst genommen werden? Wir hoffen es, aber wir fürchten auch, dass sie es nicht tun werden. Und warum? Weil die Stimme der MOE-Region in diesem Krieg ignoriert wird, wie schon seit langem. Sie wird ignoriert und bleibt unsichtbar.

Das leere Gefäß von Mittel- und Osteuropa

Beim Lesen der Texte, die seit dem Ausbruch des Krieges im Westen und insbesondere von der westlichen Linken verfasst wurden, stoßen wir auf drei wesentliche Rahmen, die die Ereignisse in der Ukraine prägen: Symmetrisierung, Verallgemeinerung und Ideologisierung.

Durch die Symmetrisierung wird der Konflikt als ein Zusammenstoß zwischen zwei gleichberechtigten Supermächten dargestellt, meist als Russland gegen die Nato oder Russland gegen die USA, seltener als Russland gegen die EU. Bei dieser Sichtweise muss man hinter allem ein großes Spiel der Supermächte vermuten, ein Aufeinandertreffen von Imperien um Einflusssphären auf dem globalen Schachbrett, und die Ukraine auf eine Marionette reduzieren, die von einer höheren Macht kontrolliert wird. Diese Ansicht wird nicht nur von vielen politischen Organisationen geteilt, sondern auch von prominenten westlichen Intellektuellen und Politiker*innen – von Jeremy Corbyn über Noam Chomsky bis zu Yanis Varoufakis. Diese Haltung, die nur Imperien und Supermächten historische Handlungsfähigkeit zuschreibt, ist im Westen so weit verbreitet und verbreitet, dass man ihr einen Namen gegeben hat – manchmal nennt man sie imperialen Narzissmus, manchmal westlichen Exzeptionalismus, am häufigsten aber Westsplaining. Westsplaining ist vielfach kritisiert worden – vor allem von verschiedenen Autoren aus den MOE-Ländern (siehe z.B. den Text von Zosia Brom). Die Hauptgefahr des Westsplaining besteht darin, dass die Handlungsfähigkeit ausschließlich dem Westen und den USA zugeschrieben wird, was zu einem egozentrischen Antiimperialismus in der Kriegskritik führt, der die Handlungsfähigkeit nicht-westlicher Akteur*innen, ihre Bedürfnisse und Haltungen übersieht. In einem etwas anderen Kontext hat die britisch-syrische Autorin und Aktivistin Leila Al-Shami den Begriff „Antiimperialismus der Idiot*innen“ geprägt, um die Position derjenigen zu kritisieren, die nur die Rolle der USA sehen, aber die Handlungen Russlands, Irans oder Assads in Syrien übersehen.

Im Falle des Krieges in der Ukraine führt der Antiimperialismus der Idiot*innen nicht dazu, die Rolle Russlands zu ignorieren, sondern vielmehr zu einer Symmetrisierung beider Konfliktseiten und einer daraus resultierenden Relativierung des Krieges und einer anschließenden Demobilisierung jeglicher Unterstützung. Vielmehr läuft es auf die Feststellung hinaus, dass beide Seiten eigentlich gleich viel Verantwortung für den Krieg tragen und dass es problematisch ist, in einem solchen Konflikt Stellung zu beziehen.

Durch Verallgemeinerung und Multiplikation wird der Konflikt zur Abwechslung entweder als ein allgemeines Beispiel für einen Krieg dargestellt, der auf dieselbe allgemeine Weise bekämpft werden muss, oder als ein Beispiel für die vielen Kriege, die derzeit in der Welt stattfinden und die gemeinsam bekämpft werden müssen, weil sie alle Kriege auf demselben globalen Schachbrett sind. Es handelt sich um eine Sichtweise, die globale Perspektiven, Universalismus und den Blick auf abstrakte Gemeinsamkeiten auf Kosten konkreter Kontexte und Besonderheiten fetischisiert. Sie sucht nach gemeinsamen globalen Nennern, um alle Kriege als kapitalistisch und neoliberal zu erklären und sie als solche einheitlich zu verurteilen, um nirgendwo Partei ergreifen zu müssen. In einer solchen Konstellation wird die lokale und regionale Perspektive im Vergleich zur globalen naturgemäß immer unvergleichbar, erniedrigt, provinziell, unreif und unvollständig sein.

Nicht zuletzt wird der Konflikt durch die Ideologisierung als bloße Meinungsäußerung und Debatte dargestellt, in der die Reinheit der ideologischen Positionen verteidigt wird, was alle praktischen, realistischen und strategischen Lösungsvorschläge, die zum Abschluss umstrittener Bündnisse führen, befleckt. Es handelt sich um einen Ansatz, der von Natur aus risikofrei ist – kultiviert aus der Bequemlichkeit eines Zuhauses, das weit genug entfernt ist, um nicht in die lebensbedrohliche Einflusssphäre des russischen Neoimperialismus zu fallen. Es handelt sich letztlich um eine Exit-Strategie, die nicht darauf abzielt, einen konkreten Feind zu bekämpfen, sondern sich im Schoß der privilegierten Ideologie, der abstrakten und allgemeinen Haltungen, der Relativierung und Symmetrisierung zu verstecken, um irgendwo weit weg von der Ukraine ein sorgenfreies Leben zu führen. In diesem Fall ist der Krieg eine Frage der Meinung und der Ideologie, nicht von Leben und Tod.

Was haben diese Framings gemeinsam? Zwei wesentliche Merkmale – die Missachtung der Stimmen aus MOE und die Übernahme von Putins Logik. Durch die völlige Missachtung von Perspektiven, Positionen und Stimmen aus MOE wird unsere Region implizit als ein Raum ohne eigene Fähigkeit und Kapazität, frei zu handeln und zu entscheiden, und daher als eine Region ohne eigene Handlungsfähigkeit und Relevanz für die Welt betrachtet … ein leeres Gefäß, in das von den Großmächten geschriebene Versionen der Geschichte nach Belieben gegossen werden können. Die MOE-Region wird hier als zu klein, zersplittert, vielfältig, nichtssagend, ohne eigene Geschichte und zu unbedeutend gesehen, um den Lauf der Geschichte aktiv zu beeinflussen. So wird sie zum passiven Objekt – reduziert auf eine bloße „Einfluss- und Interessensphäre“, eine „Pufferzone“ oder einen „entbehrlichen Raum“.

Diese Missachtung von MOE und das oben beschriebene Framing spielt auch dem Kreml in die Hände. Wie Smolenski und Dutkiewitz gezeigt haben. Im Rahmen des Westsplaining werden die Sorgen Russlands anerkannt, die Osteuropas jedoch nicht. In der Tat ist es der Kreml, wie Putin bereits 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz gezeigt hat, der sich die Welt als einen Zusammenprall großer Imperien vorstellt, die die Fäden über ihre Einflusssphären ziehen, und eine Welt, in der winzige Regionen vom Typ MOE nicht als unabhängig, eigenständig und ihrer eigenen Stimme und ihres Respekts würdig existieren. Wer in einer solchen Konstellation in Zeiten des Krieges symmetrisiert, verallgemeinert, ideologisiert, wird zum nützlichen Idiot*in für Putin.

Kolonialismus wissentlich ignorieren

Wie ist eine solche chronische Missachtung von Positionen und Stimmen aus der MOE-Region zu verstehen, zumal in einem Krieg, in dem es primär um die MOE-Region geht? Als eine spezifische Variante des Kolonialismus. Ja, Kolonialismus. Es ist also nicht nur Russland, das sich gegenüber MOE positioniert, sondern in gewisser Weise auch der Westen mit seiner umfangreichen kolonialen Vergangenheit. Warum eine bestimmte Variante? Weil es sich seitens des Westens um Kolonialismus gegenüber der Semi-Peripherie auf der Ost-West-Achse handelt und nicht gegenüber der Peripherie des globalen Südens. Dies geschieht nicht so sehr durch physische Gewalt, Ausrottung, Unterwerfung und Herrschaft, wie im Falle des russischen Kolonialismus, sondern vielmehr durch die Missachtung und das Ignorieren der Andersartigkeit und Besonderheit der Region, die unter anderem durch die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen den drei Imperien gegeben ist.

Wenn wir den westlichen Kolonialismus überschauen, sehen wir ihn als einen längerfristigen Prozess, der, wie wir selbstkritisch zugeben, nicht nur uns selbst durch die unvollendete Aufholjagd des Westens seit den 1990er Jahren aufgedrückt wurde. Die MOE-Perspektive ist in der Antiglobalisierungsbewegung, aber auch in älteren Formen antiautoritärer Kämpfe zurückgegangen – von der Zurückdrängung der MOE-Perspektive in der Antiglobalisierungs-, aber auch in der ein Jahrzehnt später primär an einer Nord-Süd-Achse orientierten Anti-Austeritätsbewegung bis hin zum Paternalismus einiger antifaschistischer Gruppen und Plattformen aus Deutschland. Nein, für eine detaillierte Analyse dieses Kolonialismus ist in diesem ohnehin schon voluminösen Text kein Platz, wohl aber für seine nachdrückliche Ablehnung und die kriegsmotivierte Dekolonisierung MOEs. Wie?

Eine Welt, in die viele Welten passen, auch die MOE-Welt

Wie kann man also die MOE-Länder entkolonialisieren? Nichts Neues unter der Sonne. Man muss nur von den Dekolonisierungsprozessen lernen, durch die der Westen lernt, sich selbst in Bezug auf die Orte seiner ehemaligen Kolonien zu verändern. Die Grundregel lautet: Man muss lernen, die Stimmen der Menschen vor Ort in ihrer Andersartigkeit zu hören und deshalb ernst zu nehmen und anzuerkennen, dass jede Stimme, auch die aus dem imperialen Zentrum, durch den Kontext der Zeit und des Raums geprägt ist, in dem sie entstanden ist.

Mit anderen Worten: Es kommt auf die Perspektive an, was ein belarussischer Aktivist*in in einer Reihe von Interviews, die anarchistischen Stimmen aus der Ukraine, Belarus und Polen zum aktuellen Krieg einen Platz einräumen, perfekt auf den Punkt bringt: „Es ist klar, dass die Menschen aus ihrer Perspektive sprechen werden, aus der Perspektive der Orte, an denen sie leben, aus der Perspektive der Realitäten, in denen sie leben, und aus der Perspektive der Kämpfe und Schlachten, in denen sie aktiv sind. Ich habe mein ganzes Leben lang in einer Kolonie Moskaus gelebt … Meine Perspektive ist also von einem anderen Feind geprägt.“

Ähnliche dekolonisierende Fähigkeiten des Zuhörens und der Anerkennung des Andersseins, die Menschen aus dem globalen Norden und Westen auf Solidaritätsreisen in die Kriegsgebiete der südmexikanischen Zapatist*innen oder nach Rojava erlernen, müssen auch beim Blick auf den Krieg in der Ukraine aktiviert werden. Denn wenn die Zapatist*innen sagen, dass sie eine Welt wollen, die viele Welten beherbergen kann, um deutlich zu machen, dass der Blick aus ihrer Ecke der Welt einzigartig und respektvoll ist, dann stimmen wir ihnen vollkommen zu. Und wir fügen hinzu, dass eine dieser Welten die MOE-Welt ist, mit ihrer einzigartigen Perspektive, die historisch durch den Zwiespalt zwischen den drei Imperien geprägt ist, und ihrer aktuellen Position, die durch die akute Bedrohung für das Leben der Region und insbesondere für das Leben der Ukraine geprägt ist. Und es sind die Stimmen aus der Ukraine, denen wir heute vorrangig zuhören müssen, mit denen wir voll und ganz solidarisch sind und deren Worte wir ernst nehmen müssen. Wie der tschechische Journalist Ondřej Bělíček betont: „Bei all diesen geopolitischen Debatten über die Nato und Russland sollten wir die Ukrainer*innen und ihr Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden, nicht vergessen. Ihr Land ist seit Jahrzehnten Spielwiese der geopolitischen Ambitionen rivalisierender imperialer Blöcke. Wir sollten ihren Kampf für die Verteidigung ihrer Unabhängigkeit unterstützen.

Um es klar zu sagen: Wir schlagen nicht vor, auf die ukrainischen Oligarchen zu hören. Wir schlagen auch nicht vor, auf Ultranationalisten wie den Rechten Sektor zu hören, dessen Einfluss in der Ukraine zugunsten Putins stark übertrieben ist und nicht mit dem Einfluss von Parteien wie der AfD in Deutschland, Einiges Russland in Russland oder Politikern wie Orban in Ungarn oder Le Pen in Frankreich verglichen werden kann. In dieser Hinsicht stimmen wir voll und ganz mit den autonomen Antifaschist*innen aus der Ukraine überein, die sagen: „Einige Tausend Nazis, mit minimaler Unterstützung durch Wähler*innen in einem Land mit 40 Millionen Einwohner*innen, sind weder eine Bedrohung noch ein Grund für eine Invasion… Ja, es gibt Nazis in der Ukraine, genauso wie in anderen Ländern. Nein, wir brauchen nicht die Hilfe von Putin oder anderen autoritären Kräften, um mit ihnen fertig zu werden. Wir schaffen das selbst.“

Wir schlagen vor, dass ihr in erster Linie auf die Stimmen der Menschen und der organisierten Aktivist*innen hört, die sich praktisch, still und leise, ohne Medienrummel, der bewaffneten Verteidigung der Ukraine und den Netzwerken der gegenseitigen Hilfe angeschlossen haben, die von unten, gegen die Behörden, antifaschistisch und im Geiste engagierter ukrainischer Anarchist*innen wie Nestor Makhno vorgehen. Wir denken dabei an Initiativen und Aktivitäten wie die Operation Solidarity, die sagen: „Wir wollen nicht sterben, wir wollen nicht fliehen, wir wollen nicht gehorchen, so ein Privileg haben wir nicht. Wir sind verdammt wütend und wir wollen unsere Freiheit!“ oder das Resistance Committee/Antiautoritäre Union, die wiederum sagen: „Wir alle wurden in den Krieg getrieben, weil wir uns der russischen imperialistischen Aggression widersetzen wollten. Wir sind hier, um die Invasoren zu besiegen und um die ukrainische Bevölkerung, ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit, zu verteidigen.

Wir sind in diese Sache mit ihnen involviert.

Sei mit uns dabei.

Wir sind heute alle Ukrainer*innen.

Російський військовий корабель, иди на хуй!


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