
6. März 2021. Dimitris Koufontinas ist noch am Leben, nachdem er gestern fast gestorben wäre. Seinen persönlichen Ärzten bleibt das Recht verwehrt, das von der Polizei bewachte Krankenhaus zu betreten. Der Staat spielt auf Zeit, indem er die letzte erwartete Entscheidung hinauszögert und gleichzeitig verhindert, dass er stirbt. Eine psychische und physische Folter, die die Demonstranten gestern Abend anprangerten, bevor sie gewaltsam unterdrückt wurden. Im Moment finden überall in Griechenland neue Kundgebungen statt, unterstützt von Solidaritätsaktionen in anderen Teilen der Welt. Der Sohn von Dimitris wurde gerade verhaftet…
Ursprünglich veröffentlicht von Blog YY. Geschrieben von Yannis Youlountas. Übersetzt von Sebastian Lotzer.
“Koufontinas zeigt uns das wahre Gesicht der Macht”.
Diesen Satz hat gestern eine Bekannte von mir geäußert, eine Dame, die der Familie meines Vaters in Griechenland nahe steht, eine diskrete Nachbarin, die mit uns bisher nie über Politik gesprochen hat. Sie hatte bei den Kämpfen und Solidaritätsaktionen immer distanziert gewirkt, eher passiv vor ihrem Fernseher, wenn wir vorbeikamen, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Und dann, ganz plötzlich, trotz der Medienpropaganda über den „blutrünstigen Verbrecher, der die Republik bedroht“ (wie von mehreren Ministern dargestellt), äußert sie schließlich zum ersten Mal ihre Empörung: „Ich mag Koufontinas nicht, aber was sie mit ihm machen, ist schrecklich! Können sie ihn nicht ein bisschen in Ruhe lassen? “ und fügt hinzu: „Auch ich unterstütze Koufontinas im Angesicht all dieser verkommenen Menschen. Er zeigt uns, wer die wahren Monster sind. In seinem Unglück zeigt uns Koufontinas das wahre Gesicht der Macht.“
Eine neue Generation von Rebellen?
In Athen gelang es den Demonstranten gestern Abend nicht, den Syntagma-Platz vor dem Parlament zu erreichen. Die Regierung befürchtet, dass die Situation eskalieren und außer Kontrolle geraten könnte. Mehrere Minister erwähnten das Risiko eines neuen Dezember 2008 (Unruhen in ganz Griechenland nach der Ermordung des jungen Alexis Grigoropoulos durch einen Polizisten im Bezirk Exarcheia). Infolgedessen wurden die Anti-Covid19 -Maßnahmen vor drei Tagen zu einem günstigen Zeitpunkt verschärft, nämlich genau zu dem Zeitpunkt, als sich die Demonstrationen vervielfachten und immer zahlreicher wurden und ein sehr breites Spektrum an politischen Meinungen zusammenbrachten. In der vergangenen Nacht wurden Demonstranten wegen Reiseverboten und Ausgangssperren mit 300 Euro Strafe belegt. Die Worte „Reisen, um jemandem in Not zu helfen“ wurden abrupt aus dem offiziellen Formular zum Herunterladen entfernt, da dies das Kästchen ist, das viele Demonstranten in ganz Griechenland angekreuzt haben. (1)
Der Sohn von Dimitris Koufontinas, Ektoras Koufontinas, wurde ebenfalls daran gehindert, für seinen Vater auf der Athener Demonstration zu marschieren, ebenso wie die “Anwälte der ersten Reihe”, die nach einer angespannten persönlichen Begegnung mit den MATs von Wasserwerfern getroffen wurden.
Der Abend endete mit Zusammenstößen am Rande von Exarcheia: das anarchistische Viertel bleibt weiterhin eine Rückzugszone während der Spannungen im Stadtzentrum, obwohl es nicht mehr so gut geschützt ist wie früher. 8 der zahlreichen Festnahmen wurden zu Verhaftungen, hauptsächlich wegen des Transports oder der Verwendung von Molotowcocktails. 7 der 8 Verhafteten sind Minderjährige: eine Bestätigung für das Aufkommen einer neuen Generation unter den Aufständischen, ein Phänomen, das auch rund um die sehr zahlreichen Schüler- und Studentendemonstrationen der letzten Monate verifiziert wurde. Eine Generation, die von der Politik von Mitsotakis angewidert ist, die von einer hypothetischen Rückkehr von Tsipras an die Macht in zwei Jahren nichts erwartet und die im Kontext einer Pandemie erstickt, die in Griechenland mit sehr restriktiven staatlichen Maßnahmen beantwortet wird.
Mobilisieren ohne Grenzen
Eine weitere Nachricht, die Koufontinas Unterstützer stark bewegt: Die internationale Mobilisierung scheint heute sehr wichtig zu sein. Sogar George Ibrahim Abdallah (2), der älteste Gefangene Frankreichs, der nach 37 Jahren Haft immer noch eingesperrt ist (10 Jahre mehr als Mandela!), beteiligt sich an diesem internationalen Tag der Unterstützung für Koufontinas: Der libanesische Gefangene hat beschlossen, heute in den Hungerstreik zu treten, um seinen griechischen Kameraden zu unterstützen. Ein weiteres Beispiel: die Teilnahme von Jean-Marc Rouillan (3), den ich im Namen des Unterstützungskomitees von Koufontinas anrufen sollte. Jean-Marc, der ebenfalls viele Jahre im Gefängnis verbracht hatte und auch danach noch unter der Verfolgung des Staates zu leiden hatte, sagte sofort ja zu einer Anfrage für ein Treffen/Debatte via Skype zum Thema Situation der Gefangenen für die Versammlung in Thessaloniki. Aus vielen Teilen der Welt erreichen uns immer wieder Botschaften der Unterstützung und Solidaritätsaktionen mit dem Hungerstreikenden, der in Lamia in Mittelgriechenland stirbt.
Koufontinas wird seiner Ärzte beraubt
Gleichzeitig wird den Vertrauensärzten von Dimitris Koufontinas weiterhin das Recht vorenthalten, das von der Polizei bewachte Krankenhaus zu betreten. Thodoris Zdoukos und Katerina Douzepi gaben die folgende Erklärung ab:
„Der Gesundheitszustand des sich im Hunger- und Durststreik sich befindenen Dimitris Koufontina ist äußerst kritisch, da er ein akutes Nierenversagen entwickelt hat und nun ein hohes Risiko eines Komas oder plötzlichen Todes besteht. Aufgrund des Ernstes der Lage haben wir als Ärzte der persönlichen Wahl von Dimitris Koufontinas, den wir mehrmals im Gefängnis von Domokou und dann auf der Intensivstation des Krankenhauses von Lamia besucht haben, auf seinen Wunsch hin die Verwaltung des Allgemeinen Krankenhauses von Lamia um die Möglichkeit gebeten, weiterhin kommen zu können. Die Kollegen auf der Intensivstation stimmten unserer Bitte zu. Trotz unserer wiederholten Bemühungen, die entsprechende Genehmigung zu erhalten, ist dies jedoch nicht möglich gewesen. Gestern weigerte sich der Direktor des Krankenhauses, Andreas Kolokythas, offenbar auf Anweisung der Regierung, erneut – unter dem Vorwand von Schutzmaßnahmen gegen Covid19 – uns die Bescheinigungen für unsere Bewegung und Reise (4) zu schicken. Heute antwortet er nicht einmal auf unsere Anrufe auf seinem Haustelefon, in seinem Büro oder per E-Mail. Wir fordern das Gesundheitsministerium und den Direktor des Lamia General Hospital auf, diese Taktik zu stoppen und uns zu erlauben, unseren Patienten Dimitris Koufontinas auf seinen Wunsch hin zu besuchen und uns die notwendigen Zertifikate zu schicken.
Katerina Douzepi, Anästhesistin und Theodoros Zdoukos, Allgemeinmediziner“.
Das Verbot zu sterben
Bislang haben weder der Direktor des Lamia General Hospital noch der Gesundheitsminister auf den offenen Brief der Ärzte von Dimitris Koufontinas geantwortet. Um dieser psychischen und physischen Folter noch eins draufzusetzen, hat sich das Zentrale Verlegungs-Komitee (KEM) gestern nicht die Zeit genommen, zu entscheiden, ob Dimitris Koufontinas in sein früheres Gefängnis, Korydallos, westlich von Athen, wo er zuerst inhaftiert war, verlegt werden soll oder nicht. Obwohl die Dringlichkeit dieser Maßnahme angesichts des Zustandes der sich im Hunger- und Durststreik sich Befindenden bekannt ist, hielt es die Präsidentin der KEM nicht für sinnvoll, sich zu beeilen. Sie verspricht eine Antwort „innerhalb der nächsten Tage“ und provoziert damit den Zorn der Unterstützer des Gefangenen, der jeden Moment sterben kann. Die KEM-Vorsitzende, Sofia Nikolaou, ist auch Generalsekretärin des “Anti-Verbrechensverbandes”, Mitglied der rechtsgerichteten Partei Neue Demokratie und steht dem griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis nahe. Über den Gesundheitszustand des Hunger- und Durststreikers sagte sie gegenüber Journalisten: „Unsere Ärzte wachen über ihn, sie werden ihn nicht sterben lassen. Sie haben ihn schon einmal wiederbelebt, sie werden es notfalls wieder tun. Nachdem wir ihn gestern reanimiert hatten, brauchten unsere Ärzte ihn nicht zu zwingen, das Serum zu verabreichen, denn er stimmte schließlich zu. Aber wenn nötig, werden sie es gegen seinen Willen verabreichen. Es liegt nicht an ihm, das zu entscheiden. „
Koufontinas Sohn wurde soeben verhaftet
Soeben wurde die neue Kundgebung auf dem Syntagma-Platz, vor dem Parlament, von der Polizei gewaltsam unterdrückt und aufgelöst. Ektoras, der Sohn von Dimitris, dem bereits das Recht genommen wurde, seinen Vater zu sehen, wurde gerade brutal von der Polizei aufgegriffen, zusammen mit anderen Demonstranten, die gejagt wurden. In mehreren Straßen in Athen kommt es derzeit zu Zusammenstößen. Die unnachgiebige, provokative und grausame Vorgehensweise der Regierung lässt die Situation täglich schlimmer werden. Eine Haltung, die sich bald gegen sie wenden könnte, da die Revolte in Griechenland rumort.

- In Griechenland ist, wie auch lange Zeit in Franreich, beim Verlassen der Wohnung ein Formular mit sich zu führen, aus dem der (triftige) Grund dafür benannt wird (d.Ü.)
- In der Linken umstrittender politischer Gefangener, dem von einigen eine antisemitische Haltung unterstellt wird (d.Ü.)
- Historisches Gründungsmitglied der Action Direct, daß von 1982 -2012 im Knast saß, wurde dann unter Hausarrest gestellt, inkl. der Verpflichtung eine elektronische Fußfessel zu tragen (dÜ.)
- siehe (1)
[…] Le point sur la situation est également disponible sur le site https://enough-is-enough14.org avec d’autres sources, textes et photos, ainsi que des traductions en anglais et en allemands de mes publications.Celle d’hier en français :http://blogyy.net/2021/03/06/koufontinas-nous-montre-le-vrai-visage-du-pouvoirEn anglais :https://enoughisenough14.org/2021/03/06/koufontinas-shows-us-the-true-face-of-power/#more-92867En allemand :https://enough-is-enough14.org/2021/03/06/koufontinas-zeigt-uns-das-wahre-gesicht-der-macht/ […]
[…] „Koufontinas zeigt uns das wahre Gesicht der Macht“ […]